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Wie geht es Dir, Gewaltlosigkeit?
08.09.2004


Uri Avnery
Übersetzung Ellen Rohlfs






Bei der Massenkundgebung mit Arun Gandhi, dem Enkel des Mahatma, in Abu Dis beobachtete ich die Gesichter der Teilnehmenden. Während Gandhi von Gewaltlosigkeit predigte, stellte ich mir ein Gespräch zwischen zwei jungen Palästinensern unter den Zuhörern vor.

Yussuf: "Er hat recht. Die bewaffnete Intifada hatte keinen Erfolg."

Hassan: "Im Gegenteil. Ohne die Aktionen der Märtyrer hätte uns die Welt längst vergessen."

Yussuf: "Seit einem halben Jahr gab es in Israel keinen Selbstmordanschlag - und sieh, was wir erreicht haben."

Hassan: "Wir haben nichts erreicht. Im Gegenteil. Die israelischen Generäle rühmen sich, sie hätten uns mit ihren gezielten Tötungen, dem wiederholten Eindringen in unsere Gebiete und all den anderen Akten der Unterdrückung besiegt. Und während dessen haben sie die Siedlungen vergrößert, neue 'Außenposten' errichtet und die rassistische Mauer weiter gebaut."

Yussuf: "Du vergißt, daß der Internationale Gerichtshof erklärt hat, die Mauer sei illegal, und die UN-Vollversammlung hat dies mit großer Mehrheit bestätigt. Ganz Europa hat zu unseren Gunsten abgestimmt. Wir gewinnen in der Arena der weltweiten öffentlichen Meinung."

Hassan: "Welchen Wert hat dies, wenn in der Zwischenzeit Sharon tut, was er will, Arafat weiter im Käfig hält und ins Gesicht von Abu Ala spuckt, während Abu Ala sich für Gewaltlosigkeit ausspricht?"

Yussuf: "Sogar die ranghohen Juristen Israels warnen Sharon, wenn er so weiter mache, werden die UN am Ende Sanktionen gegen Israel verhängen."

Hassan: "Aber in der Zwischenzeit geschieht das Gegenteil. Infolge der Pause von Selbstmordattentaten erholt sich die israelische Wirtschaft. Der durch unsere Angriffe zum Erliegen gebrachte Tourismus nach Israel, beginnt wieder. Wenn sich die Israelis sicher fühlen und keine Angst mehr von Selbstmordattentaten haben, warum sollten sie dann mit uns reden? Warum sollten sie irgendwelches Land zurückgeben? Warum sollten sie aufhören, die Siedlungen zu vergrößern? Das ist ihnen doch scheißegal."

Yussuf: "Wir müssen die weltweite öffentliche Meinung gewinnen. Wir können dies nur mit Gewaltlosigkeit erreichen. Ich bewundere die Märtyrer, die bereit sind, für unser Volk zu sterben. Ich bin stolz darauf, daß wir solche Helden haben. Aber sie bringen uns nicht weiter. Sie versorgen Sharon nur mit Vorwänden, uns noch mehr zu unterdrücken."

Hassan: "Als ob Sharon Vorwände benötigt! Er will uns brechen, und die weltweite öffentliche Meinung wird keinen Finger für uns rühren. Die verräterischen arabischen Führer werden auch nichts für uns tun. Allein unsere Helden werden uns retten."

Yussuf: "Aber Gandhi behauptet, daß gewaltfreie Methoden mehr Erfolg haben. Sein Großvater hat dies in Indien bewiesen."

Hassan: "Er kennt die Israelis nicht. Die israelische Armee wird das Feuer auf jede gewaltfreie palästinensische Demonstration von ernstzunehmendem Ausmaß eröffnen."

Yussuf: "Sieh dort, unsere Brüder, die an der Mauer hochklettern! Das ist ein Beispiel für eine erfolgreiche, gewaltfreie Aktion, die das Gesetz des Besatzers offen und ohne Furcht verletzt!"

Hassan: "Mach dich nicht lächerlich! Wenn Arun Gandhi und diese Israelis nicht hier wären, hätten die Soldaten geschossen und sie getötet. Später hätten sie gesagt, sie wären gesuchte Terroristen gewesen. Erinnerst du dich an den Anfang der Al-Aqsa-Intifada, als es unbewaffnete Massendemonstrationen gab? Die israelische Armee kam mit Scharfschützen und tötete die Anführer. Bitte, dies ist nicht Indien, und die Israelis sind keine Engländer. Sie verstehen nur die Sprache der Gewalt."

Yussuf: "Aber das ist ja genau das, was sie über uns sagen!"


Diese Art Gespräch wird nun überall in der palästinensischen Gesellschaft geführt, vielleicht in jeder Familie. Den Yussufs gelingt es nicht, die Hassans zu überzeugen, und ich fürchte, daß Gandhi auch keinen Erfolg haben wird, weil ihnen das entscheidende Argument fehlt. Abu Mazen, der Gewaltlosigkeit befürwortet, erhielt nichts von Sharon. Ein halbes Jahr ohne Selbstmordattentate innerhalb Israels hat den Palästinensern nichts gebracht.

Deshalb war der Selbstmordangriff in Beer Sheva, nur eine Woche nach Gandhis Kundgebung, zu erwarten.

Solange die Sharon-Regierung mit der aktiven Unterstützung von Präsident Bush die Siedlungen weiter vergrößert, die Mauer weiter baut und all die anderen Aktionen der Annektierung weiter verfolgt, gibt es keine Möglichkeit, die palästinensische öffentliche Meinung davon zu überzeugen, der Gewalt den Rücken zu kehren. Und nur ein entscheidender Wechsel in der palästinensischen öffentlichen Meinung kann die Selbstmordattentate zu einem Ende bringen. Keine Mauer wird Leute, die zu sterben bereit sind, daran hindern, einen Angriff auszuführen. Und die Palästinenser haben schon bewiesen, daß es jede Menge solcher Leute unter ihnen gibt.

Ehud Barak, eine sehr gewalttätige Person, hat einmal gesagt, daß er, wenn er ein junger Palästinenser gewesen wäre, sich einer Terrororganisation angeschlossen hätte. Offensichtlich glaubt er nicht, daß Gewaltlosigkeit gegenüber der israelischen Armee Erfolg hat. Und er sollte es wissen.

Ich war von der Lehre Mahatma Gandhis beeindruckt. Er war der größte Befreier des 20. Jahrhunderts, er erreichte Freiheit für den ganzen indischen Subkontinent, einschließlich des heutigen Pakistan und Bangladesh. (Aber Gandhi sagte auch, daß Hitler nur mit gewaltfreien Mitteln bekämpft werden sollte - und selbst seine größten Bewunderer hatten Mühe, dies zu akzeptieren)

In meiner Jugend schloß ich mich zwei sehr gewalttätigen Organisationen an (der Irgun und der israelischen Armee), aber nachdem ich zum Ende des Krieges von 1948 verwundet wurde, gab es einige Monate, in denen der pure Gedanke an Kampf mir körperliche Übelkeit verursachte. Ich verabscheue Gewalt in jeder Form - aber wie kann sie gestoppt werden?

Es gibt Leute unter uns, die für einen Kompromißfrieden bereit wären, die aber dahin gebracht wurden, zu glauben, es gäbe "niemanden, mit dem man verhandeln kann", weil "sie" keinen Frieden, sondern uns nur vernichten wollen. Wir müssen aber verstehen, daß diese palästinensische Gewalt, die so viel Blutvergießen verursacht, die voraussehbare Folge davon ist, daß wir ihnen jeden anderen Weg abgeschnitten haben.

Ich bin davon überzeugt, daß es möglich ist, der Gewalt in unserem Lande ein Ende zu machen - falls wir dem palästinensischen Volk einen alternativen, gewaltfreien Weg anbieten, um Freiheit und Gerechtigkeit zu erlangen. Jeder der glaubt, daß eine Mauer Erfolg verspricht, die Selbstmordattentate zu stoppen, könnte sich genausogut auch auf Amulette von kabbalistischen Rabbis verlassen.





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