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Nachrichten, die man nicht überall findet.




"Gib mir Kredit!"
28.11.2004


Uri Avnery
Übersetzung Ellen Rohlfs






"Gib mir Kredit!" rief der neue israelische Ministerpräsident Levi Eshkol bei der Versammlung der Arbeiterpartei im Februar 1965 an David Ben Gurion gewandt.

Vom ersten Augenblick an, in dem Ben Gurion sein Amt niederlegte, begann er gegen seinen Nachfolger zu arbeiten. Eshkol, der sich bis dahin nur mit Finanzen befaßt hatte, sah, verglichen mit seinem monumentalen Vorgänger, dem Vater des Staates und dem Anführer in zwei Kriegen, blaß und untauglich aus.

Eshkol meinte seine Worte ganz buchstäblich: "Ben Gurion, ich werde die Sprache des Finanzmannes gebrauchen: Gib mir Kredit! Das ist es, worum ich bitte, für eine Amtszeit, höchstens vier Jahre."

Der dramatische Aufschrei half ihm nicht. Ben Gurion verließ die Partei und fuhr fort, über Eshkol Feuer und Schwefel zu schütten.

Abu Mazen befindet sich heute in einer ähnlichen Situation. Auch er könnte ausrufen: "Gebt mir Kredit!"

Natürlich kann ihn sein großer Vorgänger nicht angreifen - es sei denn indirekt - durch sein Vermächtnis. Aber Abu Mazen hat in seiner eigenen Fatahpartei genug Gegner.

Das Fernsehen zeigt dies als persönlichen Kampf zwischen ihm und der nächsten Generation, besonders mit Marwan Barghouti. Das liegt in der Natur des Fernsehens. Da der kleine Fernsehschirm immer dann am besten ist, wenn er ein menschliches Gesicht zeigt, doch unfähig ist, Ideen zu zeigen, wird jede Kontroverse zur Angelegenheit einer menschlichen Gestalt ( und bestätigt so nebenbei den berühmten Ausspruch des kanadischen Denkers Marshall McLuhan: "Das Medium ist die Botschaft" und meint damit, daß die Realität dem Charakter der Medien entsprechend geformt wird.)

Natürlich reflektiert die Abu Mazen-Barghouti-Kontroverse teilweise eine Konfrontation, die persönlich und generationsbedingt ist. Abu Mazen repräsentiert die alte Fatah-Garde, während sein Gegner die Kämpfer der ersten und zweiten Intifada vertritt. Die wirkliche Konfrontation geschieht jedoch zwischen zwei Weltanschauungen und zwei Haupt-Strategien für den palästinensischen nationalen Befreiungskampf.

Den Namen Abu Mazen hörte ich zum ersten Mal 1974, als ich den Kontakt mit der PLO-Führung aufnahm. Ich fragte meinen ersten Gesprächspartner Sa'id Hamami, den Märtyrer für den Frieden, wer hinter ihm stehe. Im Vertrauen sagte er mir, dass die Fatah ein Drei-Mann-Komitee aufgestellt habe, um die Kontakte mit Israelis zu dirigieren. Ich nannte sie "Die drei Abus" - Abu Ammar (Yasser Arafat), Abu Mazen ( Mahmud Abbas) und Abu Iyyad (Salah Khalaf).

Unter den Dreien war Abu Mazen derjenige, der sich direkt mit israelischen Angelegenheiten befaßte. Seine Doktorarbeit an der Moskauer Universität beschäftigte sich mit den Aktivitäten der zionistischen Bewegung während des Holocaust und einmal wurde ich sogar darum gebeten, ihm Bücher über die Kastner-Affäre zu bringen (die Verhandlungen zwischen dem Zionistischen Rettungskomitee und Adolf Eichmann in 1944).

Persönlich traf ich Abu Mazen das erste Mal, als eine Delegation des Israelischen Rats für israelisch-palästinensischen Frieden (General Peled, der frühere Generaldirektor des Finanzministers Ya'acov Arnon und ich) eingeladen war, um Arafat im Januar 1983 in Tunis zu treffen. Vor dem Treffen sprachen wir mit Abu Mazen - wie es auch bei allen folgenden Treffen in Tunis war: wir diskutierten unsere Ideen zunächst mit Abu Mazen und brachten unsere Vorschläge zu Arafat, der dann das letzte Wort sprach.

Diese Erfahrungen helfen mir, heute Abu Mazens Vorgehensweise zu verstehen. Seine Strategie sieht folgendermaßen aus: die Hauptbemühungen der Palästinenser müssen auf die USA und die israelische Öffentlichkeit gerichtet sein. Jetzt gibt es eine Möglichkeit, die einseitige Politik von Präsident Bush zu ändern. Während seiner zweiten Amtszeit kann er die mächtige jüdische Lobby ignorieren, da er nicht noch einmal gewählt werden kann.

Auch die öffentliche Meinung in Israel könnte verändert werden. Dazu muß die bewaffnete Intifada beendet werden. Nach Abu Mazens Ansicht hat diese für die Palästinenser keine Vorteile gebracht, sondern ihrer Sache nur geschadet.

Der größte Teil der jungen Fatahgeneration verwirft kurzerhand diese Ansicht. Sie ist davon überzeugt, daß sie auf Illusionen beruht. Bush steht unter dem Einfluß von Sharon und gehört auf jeden Fall zu den christlichen Fundamentalisten, die den extrem rechten Flügel in Israel unterstützen.

Es hat auch keinen Sinn, sich auf das israelische Friedenslager zu verlassen, das die Palästinenser in der Stunde ihrer größten Not alleingelassen hat. Außer einigen kleinen Gruppen haben sie nichts getan, um die brutale Besatzung, das Töten, die Zerstörung, das Aushungern, die abwürgende Trennungsmauer und die Enteignung von Land und Wasser zu beenden. Alles, was dies Lager tut, ist, Papiere herauszugeben, die überhaupt keine Wirkung haben.

Die bewaffneten Aktionen - so glauben die jungen Fatah-Aktivisten - tragen Früchte. Sie hätten die israelische Wirtschaft hart getroffen. Sie hätten in Israel eine Atmosphäre der Angst und eine Realität der Armut geschaffen. Sie hätten eine Bereitschaft produziert, die palästinensischen Gebiete aufzugeben. Die Israelis verstünden nur die Sprache der Gewalt.

Eine moderatere Variante dieser Haltung schlägt vor, die Angriffe auf die Siedler und Soldaten zu intensivieren, aber mit den Angriffen auf Zivilisten im eigentlichen Israel aufzuhören, also mit den Selbstmordanschlägen.

So lange Arafat am Leben war, lief die Kontroverse nicht außer Kontrolle, weil Arafat, wie er es gewohnt war, eine Synthese zwischen beiden Haltungen schuf. Er arbeitete - abwechselnd oder gleichzeitig - mit Diplomatie und Gewalt, je nach der Situation. Die Anhänger beider Strategien sahen ihn als ihren Führer an. Und tatsächlich führte Arafat die Strategie an, Israel anzuerkennen und mit ihm - wie in Oslo - nach Frieden zu trachten. Doch als er zu dem Schluß kam, daß diese Bemühungen gegen eine israelische Wand rannten, gebrauchte er Gewalt. Marwan Barghouti war sein Schüler.

Nun ist Arafat nicht mehr. Die beiden Strategien stoßen in der palästinensischen Gesellschaft aufeinander - und vielleicht in jeder Familie.

Eines muß klar sein: die Debatte über Strategien reflektiert keine Meinungsverschiedenheiten über das Ziel. Alle Fatah-Fraktionen sind in den von Arafat definierten Zielen einig: ein palästinensischer Staat, die Grenzen von vor 1967 ( mit möglichem kleinem Landtausch), Ost-Jerusalem als Hauptstadt von Palästina, die Souveränität über den Tempelberg, Auflösung der Siedlungen, eine Übereinkunft über das Flüchtlingsproblem. Darüber gibt es keinen Streit.

Wie wird der Streit also beigelegt werden?

Es wird für die Träger von Maßanzügen nicht einfach sein, die Träger der Kalashnikovs zu überzeugen, die täglich ihr Leben riskieren. Aber die Palästinenser werden ihre Intelligenz gebrauchen. Sie werden sich selbst fragen: Abu Mazen möchte Kredit? Geben wir ihn ihm! Er glaubt, Bush und Sharon Konzessionen abringen zu können? Warum ihm nicht eine Chance geben?

Soll er versuchen, das "gezielte Töten", das "Bestätigen des Todes", die Zerstörung der Häuser, die Demütigung an den Kontrollpunkten zu beenden. Laßt ihn versuchen, sinnvolle Friedensverhandlungen zu erreichen. Wollen wir mal sehen, ob Bush ihm mehr als leere Phrasen anbietet.

Als die Amerikaner die Palästinenser das erste Mal dazu drängten, Abu Mazen zum Ministerpräsidenten zu ernennen, erhielt er gar nichts. Sharon stach ihm das Messer in den Rücken . Bush ignorierte ihn.

Wenn er dieses Mal wirklich etwas erreichen kann, um so besser. Wenn nicht, werden die Kalaschnikovs wieder reden. Das ist der Hintergrund zu Marwan Barghoutis Entscheidung, sich diesmal nicht zur Wahl aufstellen zu lassen.

Jeder Kredit läuft irgendwann aus. Ein halbes Jahr? Ein Jahr? Sicher nicht länger. Abu Mazen hat Barghouti schon versprochen, innerhalb der Fatah nach neun Monaten Wahlen abzuhalten.

Wenn der Kredit keine Zinsen einbringt, dann wird sicherlich die 3.Intifada folgen.





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