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Hier kommt "Die Freiheit"
27.01.2005


Dahr Jamail






Mein Freund aus Baquba hat mich gestern besucht. Er brachte das übliche riesige Mittagessen selbstgekochter Speisen mit, das er immer mitbringt, wenn er mich besuchen kommt. Ich esse tatsächlich immer noch davon. Ich habe auch zu Abend davon gegessen. Ah, die typische irakische Mahlzeit.

Er besitzt vier große Zelte und vermietet sie an Leute in seiner Stadt für Totenwachen, Hochzeitsfeiern, Verhandlungen zwischen Stämmen, um Gärten zu überdachen und für andere Gelegenheiten.

Während der anglo-amerikanischen Invasion seines Landes im Frühjahr 2003, als Flüchtlinge aus Baghdad Schutz vor den fallenden Bomben suchten, überschwemmten viele der Familien seine Stadt. Nachdem sein Haus mit Flüchtlingen angefüllt war, ließ er andere seine Zelte benutzen, kostenlos natürlich.

Flüchtlinge aus Fallujah benutzen sie jetzt.

Mindestens 35 US-Soldaten sind heute im Irak gestorben. 31 von ihnen starben, als ein Chinook nahe der jordanischen Grenze abstürzte. Mindestens vier weitere starben bei Kämpfen in der Provinz al-Anbar. Eine Patrouille auf der Straße zum Flughafen wurde mit einer Bombe angegriffen, dabei wurde mindestens ein Fahrzeug des Militärs zerstört. Das Militär hat dazu bisher keine Angaben zu Opfern gemacht.

"Laßt sie nur kommen" hatte George Bush vor längerer Zeit gesagt, als der irakische Widerstand begann, an Fahrt zu gewinnen.

Heute sprach er bei einer Pressekonferenz über die bevorstehenden Wahlen im Irak.

"Offensichtlich gibt es einige, die eingeschüchtert sind", sagte er, "ich bitte dringend alle Leute zu wählen."

Ich möchte die Szene hier im "befreiten" Irak beschreiben.

Angesichts der nur noch drei Tage entfernten "Wahlen" sind die Menschen völlig verängstigt. Familien fliehen aus Baghdad ebenso, wie sie es vor Beginn der Invasion taten. Sie suchen Schutz vor einem von allen befürchteten massiven Anstieg der Gewalt in der Hauptstadt, lange Reihen von Autos stauen sich vor den Kontrollpunkten am äußeren Rand der Stadt.

Polizisten und irakische Soldaten versuchen die Leute zu überzeugen, in der Stadt zu bleiben und zu wählen.

Niemand hört ihnen zu.

Während Baghdad mit Flüchtlingen aus Fallujah gefüllt ist, füllen sich Dörfer und kleinere Städte am Rande Baghdads mit Wahlflüchtlingen.

Aber diese Orte sind auch nicht sicherer. In Baquba sind Angriffe auf Wahllokale ein fast tägliches Ereignis. Mörserangriffe auf Wahllokale sind selbst in so weit südlichen Gegenden wie Basra alltäglich. Eine Lastwagenbombe traf in einem kleinen Ort bei Mosul die Zentrale einer kurdischen Partei, tötete 15 Menschen und verletzte doppelt so viele. Eine Reihe von Autobomben explodierte vor Wahllokalen in Kirkuk, in dem bereits eine Ausgangssperre von 20:00 Uhr bis 05:00 Uhr verhängt worden ist, und tötete 10 Iraker.

Hier in Baghdad, obwohl das Hochkommissariat für Wahlen im Irak noch ihre Standorte bekanntgeben muß, werden bereits Schulen, die als Wahllokale eingerichtet werden, angegriffen.

Iraker, die in der Nähe dieser Schulen leben sind von dieser Aussicht völlig verängstigt.

"Sie können die gesamte Stadt absperren und die Leute können sich nicht bewegen", sagt ein Mann, der mit mir unter der Bedingung spricht, anonym zu bleiben, "Die Stadt ist tot, die Menschen sind tot. Wofür? Für diese erzwungenen Wahlen!"

Er ist wütend und frustriert weil seine Straße jetzt abgesperrt ist, da er neben einer kleinen Mittelschule lebt, die als Wahllokal genutzt werden wird.

In der Nähe besetzen einige US-Soldaten eine Polizeiwache, wie üblich. Einer von ihnen sah, wie ich Photos machte und versuchte meine Kamera zu konfiszieren.

Es war egal, daß ich ihm meinen Presseausweis zeigte. Nach einigem diskutieren ließ er mich die Photos löschen und weitergehen, mit der Kamera in der Hand.

Sandbarrieren blockieren das Ende einer Straße, die Schule, deren Inneres bereits verfällt, liegt direkt dahinter.

Mindestens 90 Straßen in Baghdad sind jetzt durch große Sand- und/oder Betonbarrieren und Stacheldraht abgesperrt. Ihre Zahl steigt täglich.

"Jetzt habe ich Angst, daß Mörser mein Haus treffen werden, wenn das Wahllokal angegriffen wird", fügt er hinzu. Er wird innerhalb des Ortes in ein Haus eines Verwandten umziehen, das nicht in der Nähe eines der gefürchteten Wahllokale liegt.

Der Besitzer eines kleinen Lebensmittelgeschäfts in der Nähe ist ebenso besorgt. Er mußte mit den Soldaten verhandeln, damit sie eine Öffnung am Ende der Sperre ließen, damit Leute sein Geschäft erreichen können.

"Ich lebe schon von meinen Lebensmittelrationen und mache kaum Umsatz", sagt er, während er auf die verwaiste Straße zeigt, "Wer will jetzt in die Nähe meines Geschäfts kommen? Wir alle haben Angst und wir alle leiden jetzt."

Ein in der Nähe stehender, müde aussehender Wächter namens Salman ergreift das Wort. "Ich müßte verrückt sein zu wählen, es ist jetzt so gefährlich", sagt er mit einer Zigarette in der Hand, "Außerdem, warum wählen? Natürlich bleibt Allwai. Die Amerikaner werden dafür sorgen."

Einer meiner Kontakte ist gerade nach einer Woche aus Fallujah zurückgekehrt. Wir teilten etwas von dem Essen, das mein Freund aus Baquba gebracht hatte.

"Ich bin eine Woche in Fallujah gewesen und alles was ich gesehen habe, waren brutale militärische Taktiken", erzählt er mir. "Sie verhaften Leute und stecken sie in diese Lastwagen, mit verbundenen Augen und gefesselt. Wo immer ich hinsah, war alles, das ich sah, völlige Verwüstung."

Er sprach mit vielen Familien, die ihm eine schreckliche Geschichte nach der anderen erzählten, Tod auf Tod auf Tod.

"Heute dann bringt das Militär ein dutzend Humvees und Bodentruppen, um ein kleines Gebiet in der Nähe eines Marktes praktisch abzuriegeln", fährt er fort, "inmitten von ihnen ein CNN-Kamerateam, das Soldaten dabei filmt, wie sie Kindern Süßigkeiten zuwerfen und diese Typen mit orangefarbenen Westen beginnen die Straßen um sie herum zu säubern."

Er lacht während er seine Arme hochhält und sagt: "Ich habe die Typen nie zuvor in der Stadt gesehen. Ich weiß nicht, wo sie herkamen."

Nach einer Pause, um einen Schluck Mineralwasser zu trinken, fügt er hinzu: "Ich hatte noch nie Stiefel auf dem Boden gesehen und urplötzlich sind da all diese Marines, die herumstehen als wäre alles in Ordnung. Es war das erste Mal, daß ich einen Soldaten sah, der nicht in einem Humvee oder Bradley war. Ich war wirklich erstaunt."

"Das alles war zu 100 Prozent inszeniert. Gute PR vor der Wahl", sagt er. Dann, bezugnehmend auf den amerikanischen Mainstream fügt er hinzu: "Fallujah geht es gut, geht jetzt schlafen."





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