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Wallajeh
09.03.2005


Meir Margalit
Übersetzung Ellen Rohlfs






Am Morgen des 18.Januar 2005 fielen Sicherheitskräfte, die von Inspektoren des Innenministeriums und der Jerusalemer Stadtverwaltung begleitet wurden, in das Dorf Wallajeh ein, erklärten es zum militärischen Gebiet und begannen mit einer Kampagne der Schikane und Zerstörung. Nach vier Stunden Verwüstung verschwanden sie wieder und hinterließen fünf zerstörte Häuser und sieben zerstörte Hühner- und Viehställe.

Für die Bewohner von Wallajeh war der Überfall nichts Neues. Die militärische Aktivität, die dem Überfall vorausgegangen war, ließ sie vermuten, dass die Bulldozer bald wieder kommen würden, um mit einer neuen Zerstörungswelle weiterzumachen.

Die Bewohner von Wallajeh, einem ländlichen Ort genau zwischen Beit Jala und Jerusalem, sind solch leidvolles Tun gewöhnt. 1948 wurden sie von ihrem Land vertrieben. Sie siedelten sich auf einem Hügel an, von dem aus sie die Reste ihres Dorfes sehen konnten - jetzt liegt dort der Biblische Zoo von Jerusalem. In den frühen 80ern wurde die relative Ruhe, die das Dorfleben kennzeichnete, dadurch zerstört, daß den Behörden klar wurde, daß dem Stadtplan nach die Hälfte des Dorfes innerhalb der Stadtgrenze Jerusalems liegt. Bis dahin hat man es als einen Teil des Bethlehemdistriktes betrachtet. Ein Anwalt mit scharfen Augen entdeckte dies, während er eine Klageakte gegen die Zerstörung eines Hauses durch die Zivilverwaltung anlegte. Nach Überprüfung seiner Behauptung - daß die Verwaltung nicht das Recht habe, das Haus zu zerstören, da es auf israelischem Gebiet läge - kam tatsächlich heraus, daß nach dem Krieg von 1967, als die Grenzen von Jerusalem neu festgelegt und aufgezeichnet wurden, das Dorf versehentlich "geteilt" wurde. Sein westlicher Teil blieb in der Jurisdiktion von Jerusalem.

Die Stadtverwaltung, die sich bis in die frühen 80er Jahre dessen nicht bewusst war, verwandelte die andere Hälfte des Dorfes in einen "integralen Teil der vereinigten Stadt". Sie hat seine Bewohner allerdings nie mit städtischen Diensten (wie zum Beispiel Müllabfuhr) versorgt. Sie behauptet, es sei unmöglich, das Dorf mit der Stadt zu vernetzen.

Und obwohl das Rechtssystem bestätigte, daß das Land innerhalb der nationalen Grenzen Israels liege, weigerte sich das Innenministerium, seine Bewohner mit israelischen Personalausweisen auszustatten.

So entstand eine ungewöhnliche Situation: das Land wurde annektiert, aber ohne seine Bewohner. Es geschah das erste Mal, daß Bewohner von zu Israel gehörigem Land nicht in der Bevölkerungsliste registriert waren und bis heute Personalausweise aus den besetzten Gebieten haben.

Es ist schwierig, die Dorfbewohner von Wallejeh zu irritieren, obwohl sie zugeben, daß sie bis jetzt eine solch radikale Einschüchterung nicht erlebt haben. Mehr als 20 Bauten sind in den vergangenen paar Jahren abgerissen und Abrißbefehle für weitere 30 schon ausgestellt worden - auch wenn sie vorläufig nicht in Kraft treten; dank eines Prozesses, der einen neuen Plan für das Dorf zur Folge haben soll. In diesem arg geschundenen Dorf mit seinen 2.000 Einwohnern ist fast jedes Haus vom Abriß bedroht. Der Vorwand für diese Situation ist das Fehlen von Baugenehmigungen, also wird illegal gebaut.

Tatsächlich befinden sich die Bewohner Wallajehs in einer unmöglichen Situation - sie sind nicht in der Lage, irgendeine Baugenehmigung zu erhalten, weil es keinen Plan gibt. Auf Grund dieser paradoxen Situation, bauen die Bewohner ohne Genehmigung, einfach weil es notwendig ist oder wie sie betonen - weil sie glauben, daß ein weit wichtigeres Gesetz Vorrang vor dem Planungs- und Baugesetz hat - das Gesetz des Lebens, das alle Individuen moralisch verpflichtet, ihren Kindern ein Heim zu bauen. Im Laufe der Jahre breiteten sich neue Bauten vom Ortskern nach Westen in den Jerusalemer Teil von Wallajeh aus, wo es noch Landreserven des Dorfes gab.

Dies ist nicht nur die Geschichte von Hauszerstörungen. Der Staat Israel hat seinen begehrlichen Blick immer wieder auf das Dorf geworfen und seit fast einem Jahr schikanieren seine Sicherheitskräfte die Dorfbewohner Tag und Nacht; sie nützen die Tatsache aus, daß sie Personalausweise der besetzten Gebiete haben. Grenzsoldaten überfallen Häuser und beschuldigen die Bewohner erlogener Tatsachen, wie zum Beispiel "illegale Gegenwart auf israelischem Gebiet". Männer werden verhaftet, verurteilt, mit Geldstrafen belastet und auf die andere Seite des Checkpoints geschickt. Natürlich kehren sie zu ihren Häusern zurück und das Spiel wiederholt sich immer wieder. Kürzlich haben Dorfbewohner eine Petition beim Gericht eingegeben, um den Staat daran zu hindern, die Bewohner nur deshalb zu schikanieren, weil sie keine israelischen Personalausweise haben. Daraufhin veränderten die Sicherheitskräfte ihre Taktik und begannen Autos zu konfiszieren, einschließlich dem einzigen Bus des Ortes. Sie behaupteten, sie seien ohne Genehmigung auf israelisches Gebiet gefahren. Mehrere Bewohner bestätigten, daß nach jedem Überfall oder jeder Hauszerstörung sie einen anonymen Anruf von jemandem mit arabischem Akzent erhalten, der Interesse am Kauf ihres Landes zeigt. Sie glauben, daß dies ein Strohmann sei, der für die Regierung oder für eine Siedleragentur arbeitet, die versucht, sich das Dorfland anzueignen.

Die Bedeutung der Schikanen liegt in einem Plan, der vor einem Jahr aufgedeckt wurde: eine neue jüdische Siedlung (13.500 Wohnungen) soll dort auf über 3.000 Dunam Land gebaut werden. Die neue jüdische Siedlung mit dem harmlosen Namen Givat Yael soll Jerusalem mit Gush Etzion verbinden und so einen territorialen Zusammenhang herstellen. Der Plan zeigt, daß die ersten Transaktionen für Landkauf schon vor zehn Jahren vom Jüdischer Nationalfonds (KKL) gemacht wurden, aber bis vor kurzem geheim blieben. Die Bewohner von Wallajeh hatten schon gerüchteweise vom Verkauf von Dorfland mit gefälschten Dokumenten gehört. Es war eine Affäre, die eine Welle von Auseinandersetzungen und schließlich auch die Vertreibung einer Familie aus dem Dorf und einen Mord zur Folge hatte. Es war dem Staat klar, daß wegen juristischer Probleme der Plan so nicht ausgeführt werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt wurde aus einer vergessenen Schublade als letzter Ausweg das "Gesetz vom Besitz Abwesender" hervorgeholt, um so in den Besitz des Dorflandes zu gelangen.

Deshalb zerstört der Staat jetzt systematisch jedes Haus, das im Jerusalemer Teil von Wallajeh gebaut wurde, weshalb den Dorfbewohnern das Wohnrecht in der Stadt verweigert und sie wegen illegaler Anwesenheit auf israelischem Gebiet verhaftet werden. Ihre Anwesenheit auf israelischem Territorium lässt die Option nicht zu, daß das Land zu Besitz Abwesender erklärt werden kann. So lange die Landbesitzer im Jerusalemer Teil wohnen, können sie nicht als Abwesende erklärt werden. Ihr Land kann nur in einem langen und kostspieligen Enteignungsprozeß übernommen werden, der den Test beim Obersten Gerichtshof nicht immer besteht. Das Dorf liegt also stark im Interessenbereich des Innenministeriums. Die Schikanen wurden im vergangenen Jahr intensiviert. Das Planungsstadium ist abgeschlossen, und der Staat will das Projekt nun ausführen. Doch die Gegenwart der Bewohner wirft ihm quasi einen Knüppel zwischen die Beine und verzögert das Programm. Also bemüht sich der Staat besonders darum, das Land von seinen Bewohnern zu säubern, damit es diesen Landbesitz als einen von "Abwesenden" erklären und die Kontrolle desselben übernehmen kann.

Was in Wallajeh geschieht, gibt die ganze Geschichte der zionistischen Besiedlung wieder: das In-Besitz-nehmen des Landes, der fragwürdige Kauf mittels gefälschter Dokumente, das Leugnen grundsätzlicher Rechte, das Verfolgen der Bewohner, das Beschädigen der Besitzrechte, die Enteignung von Maschinen und Material und die Nichtbeachtung des Rechtssystems. Zu all dem kommt jetzt auch die Mauer, die das Dorf in ein Ghetto zu verwandeln droht und die Menschen von ihrem Land trennt. Das Leben in Wallajeh verlief, bis die "neuen Nachbarn" kamen, relativ ruhig, das heißt, bis der Staat sich entschloß, hier einen jüdischen Stadtteil zu bauen. Noch einmal bringt jüdische Besiedlung Schikanen, Verfolgung, Hetze und Demütigung mit sich. Der Kampf um das Land wird so durchgeführt, daß die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Seit seiner frühesten Zeit wandte das zionistische Projekt eine von Macht getriebene Art und Weise an, die keinen Raum für Koexistenz ließ - entweder sie oder wir. Wallajehs Bewohner - die meisten gehören der zweiten Generation der Flüchtlinge an - sind nur deshalb zum Ziel von Schikanen geworden, weil sich der Staat entschieden hat, in ihrer Nähe einen jüdischen Stadtteil zu bauen. Wallajehs Geschichte stellt eine Zusammenfassung der Geschichte des Zionismus dar. "Erlösung des Landes" bedeutet die Vertreibung der einheimischen Bevölkerung, eine Methode, die eng zum zionistischen Projekt gehört.

Die Regierung arbeitet jetzt unbarmherzig weiter nach diesem Muster. Sie sucht nach "legalen" Rezepten, um das Maximum an Land mit einem Minimum an Kosten zu übernehmen. Sie ist davon überzeugt, daß das Ergebnis die Mittel rechtfertigt. Sie kann sich an einen äußerst mächtigen Apparat wenden, der auf jede mögliche Weise versucht Land in Besitz zu bringen. An seiner Spitze steht das Büro des Staatsanwaltes, das nach Schlupflöchern im ottomanischen - britischen - jordanischen oder israelischen Gesetz sucht, um "legal" Land übernehmen zu können. An seiner Seite steht das Sicherheits-Establishment, das zum ausführenden Arm der nationalistischen Ideologie geworden ist. Hundert Jahre der Besiedlung sind eine unangenehme Geschichte von Landenteignung und Diebstahl, die immer und immer wieder Unglück über sie und uns bringt. Ist es nicht das, was der Prophet Habakuk meinte, als er sagte: "Weh dem, der eine Stadt auf Blut baut und eine Stadt auf Ungerechtigkeit errichtet."





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