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Zwei Jahre...
30.03.2005


Riverbend






Wir haben zwei Jahre seit Beginn des Krieges hinter uns gebracht. Diese letzten beiden Jahre fühlten sich an wie zwei Jahrzehnte, aber ich kann mich an den Krieg selbst erinnern, als wäre es gestern gewesen.

Der Himmel war am 21. März 2003 von roten und weißen Blitzen erleuchtet und der Boden erzitterte von Explosionen. Die Bombardierung hatte tatsächlich am Morgen des 20. März begonnen, aber am 21. wurde sie wirklich schwer. Ich erinnere mich, die Treppe hinauf gewesen zu sein, als das schwerere Bombardement begann. Ich versuchte, eine schwere Baumwollmatratze aus meinem Raum für eine Tante, die uns für einige Wochen besuchte, nach unten zu ziehen, als ich plötzlich ein weit entferntes "whiiiiiiiiiz" hörte, das sich anhörte, als würde es näher kommen.

Ich begann, mich dann zu beeilen - die schwere Matratze zu ziehen und zu schieben, versuchte sie halb, sie die Stufen hinunterzustoßen und halb sie hinunterzuziehen. Ich blieb in der Mitte der Treppe stecken und zu dem Zeitpunkt war das pfeifende Geräusch so laut geworden, daß es schien, als würde es aus meinem Kopf kommen. Ich schob erneut an der Matratze und rief E.'s Namen, damit er mir half, das Ding herunterzubringen, aber E. war draußen mit meinem Cousin und versuchte zu sehen, wo die Raketen hinflogen. Ich stellte mich um und begann die schwere Matratze zu treten, mir war völlig egal, wie das Ding unten ankommt, ich wollte nur im Erdgeschoß sein wenn die Rakete einschlug.

Die Matratze bewegte sich schließlich und begann, die restlichen zehn Stufen herunterzurutschen und landete als großer Haufen am Ende der Treppe. Ich folgte ihr eilig, nahm zwei Stufen auf einmal, erwartete in jedem Moment, ein großes "BOOM" zu fühlen. Ich stolperte in der Hetze zum Erdgeschoß auf der letzten Stufe und endete als Haufen auf dem Baumwollgewühl auf dem Boden. Die Explosion kam im selben Moment - gefolgt von einer Reihe größerer Explosionen, die sich nicht wie die Raketen anhörten, die wir in den letzten 40 Stunden oder so gehört hatten.

Das Haus war in dem Moment im Chaos. Die Eltern liefen, Vater versuchte sein batteriebetriebenes Radio zu finden und Mutter überprüfte, daß der Ofen abgeschaltet war. Sie rief außerdem Befehle über ihre Schulter, befahl uns, in das "sichere Zimmer" zu gehen, das wir extra mit Klebeband und weichen Kissen dekoriert hatten, oder "bomben-gesichert", wie mein Cousin es gern nannte. Die Tante, die bei uns war, lief umher und schrie gellend nach ihren beiden Enkeln (die bereits in dem sicheren Zimmer bei ihrer Mutter waren). Der Cousin rannte umher, schaltete Ölöfen aus und öffnete Fenster, damit sie beim Einschlag nicht zerschlagen würden. E. kam von draußen hereingelaufen und versuchte seinen Gesichtsausdruck unter der Blässe seiner Haut lässig aussehen zu lassen.

Während all dem wurde das Bombardement lauter und häufiger - die Erde rumpelte und wurde von jeder Explosion erschüttert. E. sagte etwas über den Himmel, aber das pfeifende Geräusch von oben war so laut, daß wir nicht hören konnten, was er sagte. "Der Himmel ist voll von roten und weißen Lichtern..." Er schrie und half mir, wacklig von der Matratze aufzustehen. "Willst Du rausgehen und es dir ansehen?" Ich sah ihn an, als wäre er verrückt geworden und brachte ihn dazu, mir zu helfen, die Matratze ins Wohnzimmer zu zerren. Wir hetzten zurück in das sichere Zimmer und die Bomben fielen weiterhin laut und schnell, eine nach der anderen. Manchmal fühlte es sich an, als würden sie direkt vor der Tür einschlagen und manchmal, als wäre es ein paar Blocks entfernt. Wir wußten, daß sie weiter entfernt als das waren.

Die Gesichter in dem Zimmer waren weiß vor Anspannung. Die Frau meines Cousins saß in der Ecke, eine Tochter an jeder Seite, ihre Arme um ihre Schultern und murmelte leise Gebete. Mein Cousin ging düster dreinblickend vor der Tür zum sicheren Zimmer auf und ab und mein Vater versuchte einen anständigen Radiosender mit dem kleinen UKW-Radio, das er überall mit hinnahm, zu finden. Meine Tante hyperventilierte zu dem Zeitpunkt und meine Mutter saß neben ihr und versuchte sie mit der Stimme des Typs im Radio, der über den Bombenhagel auf Baghdad sprach, abzulenken.

Nach fast endlosen 40 Minuten gab es eine leichte Pause des Bombardements - es schien sich entfernt zu haben. Ich nutzte die relative Ruhe und versuchte das Telephon zu finden. Das Haus war kalt, weil die Fenster offen standen, um ihr Zerbersten zu verhindern. Ich griff nach dem Telephon in der Erwartung, es tot vorzufinden, aber ich war überrascht, daß ich einen Wählton erhielt. Ich begann Nummern zu wählen - Freunde und Verwandte. Wir kontaktierten eine Tante und einen Onkel in anderen Teilen Baghdads und die Stimmen am anderen Ende waren wacklig und vorsichtig. "Geht es euch gut? Geht es allen gut?" War alles, was ich am Telephon fragen konnte. Es ging ihnen gut... aber das Bombardement war überall in Baghdad schwer. "Shock and awe" (Schock und Ehrfurcht) hatte begonnen.

Diese Woche vor zwei Jahren.

Was folgte war fast ein Monat der schweren Bombardierung. Jene chaotische Nacht wurde zum Beginn endloser chaotischer Tage und langer, schlafloser Nächte. Man kommt während fortgesetzter Luftangriffe an einen Punkt, an dem man das Gefühl für die Tage verliert. Man verliert das Zeitgefühl. Die Woche besteht nicht mehr aus Freitag, Samstag, Sonntag und so weiter. Die Tage bestehen nicht mehr aus Stunden. Man beginnt die Zeit durch die Zahl der fallenden Bomben zu messen, die Zahl der Minuten, die der Schrecken anhielt und wie oft man mitten in der Nacht durch Schüsse und Explosionen aufgeweckt worden ist.

Wir versuchen es aus den Köpfen zu bekommen, aber es kommt trotzdem zurück. Wir sitzen manchmal herum, wenn es keinen Strom gibt oder wenn wir uns zum Mittag- oder Abendessen versammeln und jemand sagt "Erinnert ihr euch, vor zwei Jahren, als..." Erinnert ihr euch, als sie Mansur, ein Wohnviertel, bombardierten... Als sie begannen, die Autos in den Straßen mit Apaches zu verbrennen... Als sie den Flughafen mit der Bombe trafen, die die halbe Stadt erleuchtete... Als die amerikanischen Panzer begannen, in Baghdad hereinzurollen... ?

Erinnert ihr euch, als die Angst noch frisch - und der Schrecken relativ neu - war und es möglich war, im Irak erschreckt und in Ehrfurcht versetzt zu werden?





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