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Willig und billig?
22.04.2005








Am Freitag veröffentlichte die taz einen Kommentar des Professors der Wirtschaftswissenschaften Gert G. Wagner, in dem dieser sich vehement für eine Abschaffung der Wehrpflicht in Deutschland einsetzt.

Die Wehrpflicht sei "gesellschaftlich und ökonomisch unsinnig", so Wagner. Die Bundeswehr müsse in eine Berufsarmee und der Zivildienst in ein freiwilliges soziales Jahr umgewandelt werden.

Grundlage für seinen Kommentar ist ein Verweis dreier Verfahren durch das Kölner Verwaltungsgerichts an das Bundesverfassungsgericht. Die Kölner Richter wollten sich nicht einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts beugen, das die derzeitige Einberufungspraxis für Wehrpflichtige als verfassungskonform bezeichnet hatte.

Die Tatsache, daß mittlerweile "deutlich weniger als die Hälfte der in Frage kommenden jungen Männer" auch tatsächlich eingezogen würden, widerspricht nach Ansicht der Kölner Richter dem Grundgesetz, aus dem ein Gebot der "Wehrgerechtigkeit" auf Grundlage des Artikel 3 "Gleichheit vor dem Gesetz" abgeleitet wird.

Zweifellos ist eine solche "Wehrgerechtigkeit" aufgrund der geringen Zahl der tatsächlich eingezogenen Wehrpflichtigen - ganz zu schweigen von der großen Zahl der mehr oder minder "Untauglichen" - nicht mehr gewährleistet. Ausgerechnet von einer Bundesregierung, die - gemeinsam mit der Opposition - schon den ehernen Grundsatz des Verbots des Auslandseinsatzes der Bundeswehr erfolgreich ignoriert hat, zu erwarten, daß sie sich in diesem Punkt buchstabengetreu an ein derart gar nicht festgelegten Artikel des Grundgesetzes hält, ist sicherlich pures Wunschdenken. Daraus die Forderung nach einer vollständigen Abschaffung der Wehrpflicht abzuleiten erscheint geradezu widersinnig.

Insbesondere die von Wagner in diesem Zusammenhang - konsequenterweise - geforderte gleichzeitige Abschaffung des Zivildienstes und dessen "Ersatz" durch ein "freiwilliges soziales Jahr" kann bestenfalls als Wunschdenken bezeichnet werden. Schon jetzt wir das "freiwillige soziale Jahr" nur von einem geringen Bruchteil jener durchgeführt, die hierfür in Frage kämen. Der Wehrdienst selber soll dabei nach Wagners Vorstellung durch den Aufbau einer Berufsarmee ersetzt werden.

Wagner führt an, daß derart "Zwangsrekrutierte" die "sie einsetzenden Organisationen" - also die Bundeswehr - im Gegensatz zu "anderen Inputs" "nur wenig kosten" würden. Daraus ergebe sich ein "Anreiz, relativ viele Dienstpflichtige einzusetzen, am nötigen Material aber zu sparen", so Wagner. Hätte er mit dieser Behauptung recht, wären die jährlichen Bemühungen, für die zahlenmäßig geringen Schulabgänger Lehrplätze zur Verfügung zu stellen kaum vorstellbar. Wäre ein derart steter Zufluß an "unwissenden Auszubildenden" tatsächlich der feuchte Traum eines jeden Arbeitgebers - nichts anderes scheint die Bundeswehr nach Wagners Ansicht ja zu sein - müßten sich die Betriebe nicht um die relativ wenigen Ausbildungsplatzsuchenden geradezu schlagen?

Wenn Wagner es als eine "Binsenweisheit" bezeichnet, daß "Freiwilligkeit einen positiven Einfluß auf Einsatzbereitschaft und Verantwortungsbewußtsein" habe, so scheint er sich schon lange nicht mehr mit Verantwortlichen von freiwilligen Feuerwehren - deren Dienst sogar als vom Wehrdienst befreiend anerkannt ist - unterhalten zu haben, da diese deutliche Nachwuchssorgen haben.

Spätestens an den Punkt, da Wagner den Wehrdienst nur noch unter "steuerpolitischen Gesichtspunkten" betrachtet, wird deutlich, daß er bestenfalls ein eingeschränktes Gesichtsfeld besitzt. Seine Argumentation, daß es sich beim Wehrdienst letztlich um eine Naturalsteuer handelt, da sie von den Bürgern eben nicht in Heller und Pfennig, sondern vielmehr in für alle Betroffene gleicher Zeit zu bezahlen ist, ist sicherlich richtig. Seiner Behauptung, daß dies ein Relikt der Vergangenheit sei und "grundlegenden Werten und Normen einer aufgeklärten Gesellschaft" widerspreche ist allerdings wiederum zu widersprechen.

Nicht nur, daß die realpolitische Erfahrung lehrt, daß eine tatsächliche Steuergerechtigkeit mit steigendem Einkommen immer unwahrscheinlicher wird, eine allgemeine Wehrpflicht erfüllt auch eine nicht zu unterschätzende Kontrollfunktion des Militärs eines Landes.

Bestes Beispiel für die Folgen einer konsequent verfolgten Politik einer Freiwilligenarmee sind derzeit sicherlich die USA. Dort werden für die Rekrutierung ganz gezielt ärmere Gegenden bevorzugt, da dort die Menschen am ehesten nach dem Strohhalm der Beschäftigung im Militärdienst greifen. Eine solcherart "soziale Wehrpflicht" ist aber insbesondere angesichts der kriegerischen Ambitionen der USA nicht nur menschenverachtend, sondern ebenfalls äußerst "wehrungerecht".

Erschwerend kommt allerdings hinzu, daß auf diesem Wege durchschnittlich ungebildetere Menschen für den Kriegsdienst rekrutiert werden, da diese keine andere Perspektive für einen Arbeitsplatz sehen. Dies führt wiederum zweifellos zu Soldaten, die erteilte Befehle deutlich weniger in Zweifel ziehen. Ein überdeutliches Beispiel für die Folgen einer solchen "sozialen Auswahl" mag das Verhalten der US-Soldaten im Irak sein, wo weder der Tod von weit über 100.000 Zivilisten noch die Folterung von Gefangenen von der überwiegenden Zahl der Soldaten infrage gestellt wird.

Zwar mag Wagner mit seiner auf einer Studie beruhenden Behauptung recht haben, daß auch in Deutschland geringer gebildete Menschen zur Bundeswehr tendieren, während höher Gebildete zum Zivildienst neigen, dies wäre allerdings sicherlich nur ein weiteres Beispiel von "Wehrungerechtigkeit", scheint es doch kaum wahrscheinlich, daß höher gebildete auch ein ausgesprägteres Gewissen besitzen. Vielmehr ist anzunehmen, daß sie sich der Tatsache bewußt sind, daß eine Auflehnung eine persönliche finanzielle Katastrophe nach sich ziehen würde, während Höhergebildete eher in der Lage sind, derartige Folgen abzufedern - und möglicherweise auch besser mit Rechtsvorschriften zur Ablehnung unmoralischer oder gar illegaler Befehle vertraut sind.

Schließlich behauptet Wagner gar, die Freiwilligkeit eines "soziale Jahrs" hätte gar den Vorteil, daß "Sozialorganisationen sich noch mehr Gedanken über die Ausgestaltung der Tätigkeiten, die sie anbieten, machen müßten, um für junge - und ältere - Freiwillige attraktiv zu sein." Hier kann nur noch die frage gestellt werden, ob es sich um eine bewußte Irreführung oder eine vollständige Realitätsferne handelt. Im Verhältnis zu anderen möglichen Zivildienstaufgaben mag zwar derzeit das Zählen von Robben an der Nordsee durchaus reizvoll erscheinen, die tiefgreifende Pflege alter Menschen wird diesen Status für die Mehrheit der 15- bis 19-Jährigen allerdings sicherlich nie erreichen.

Die Behauptung Wagners, daß der Staat durch die Abschaffung des Zivildienstes etwa 900 Millionen Euro einsparen könnte, kann nur als Augenwischerei bezeichnet werden. Zwar mag dies der hierfür veranschlagte Posten sein, andererseits wären die Pflegedienste entsprechend gezwungen, weitaus teureres Personal einzustellen. Diese Kosten würden letztendlich wiederum zu Lasten der Pflegeversicherung fallen.

Seiner Ansicht, daß durch eine solche Umstellung auf vollausgebildete Kräfte die Produktivität angehoben würde, mag nicht zu widersprechen sein, dies bedeutet aber nicht, daß dies auch ein Vorteil für die Gesamtbevölkerung wäre.

Zweifellos ist der derzeitige Zustand, daß faktisch nur jene noch tatsächlich zur Bundeswehr - und auch zum Zivildienst - eingezogen werden, die es aus Unwissenheit oder aus absichtlich versäumt haben, dies zu verhindern, zu verurteilen. Eine tatsächliche Wehrgerechtigkeit wäre sicherlich nur zu erreichen, wenn jeder Bürger - und dies schließt Frauen angesichts der im Grundgesetz ausdrücklich festgeschriebenen Gleichberechtigung von Männern und Frauen sicherlich ein - mit absoluter Sicherheit - wahlweise - Wehr- oder Zivildienst leisten müßte.





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