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Drei in einem Bett

Bush, Sharon und Palästina

14.06.2005  


Uri Avnery
Übersetzung Ellen Rohlfs




"Der Präsident der Vereinigten Staaten und der Präsident der palästinensischen Behörde!" intonierte die Stimme, als die beiden Führer während eines Besuches von Mahmud Abbas im Weißen Haus vor den Journalisten erschienen.

George Bush redete seinen Besucher auch mit "Präsident Abbas" an - und das nicht zufällig. Die Benutzung dieer Anrede war eine bewußte Entscheidung.

Im Büro des Premierministers Sharon gab es viel Zähneknirschen. Fast alle israelischen Medien haben es mit Schweigen übergangen. Aber es kann gut sein, daß von den von Mahmud Abbas ("Abu Mazen") in Washington D.C. geernteten Früchten dies die bedeutsamste war.

Um dies recht zu verstehen, muß man zurückgehen. Bei den Verhandlungen, die 1993 zum Oslo-Abkommen führten, gab es viele Kontroversen wegen des für Yasser Arafat passenden Titels. Die Palästinenser forderten, er solle "Präsident" genannt werden, die Israelis waren nur bereit ihn als "Vorsitzender" zu bezeichnen.

Warum? Nun, "Präsident" klingt wie ein Staatsoberhaupt. Staaten haben Präsidenten. Gewöhnliche Institutionen haben Vorsitzende. Die israelischen Unterhändler waren unter keinen Umständen damit einverstanden, daß die palästinensische Behörde, die durch das Abkommen eingerichtet wurde, die Attribute eines Staates haben sollte.

Der schließlich erreichte Kompromiß wurde durch die Besonderheiten der arabischen Sprache möglich. Im Arabischen (wie im Französischen) gibt es keinen Unterschied zwischen "Präsident" und "Vorsitzender". Beide werden Ra'is (von Ras = Kopf) genannt. Deshalb besagt das Abkommen in seinen drei Versionen (englisch, hebräisch und arabisch), der Chef der palästinensischen Behörde werde den Titel "Ra'is" tragen.

Seitdem bestanden sowohl alle israelischen Medien als auch alle israelischen Politiker und Diplomaten darauf, Arafat den "Vorsitzenden der palästinensischen Behörde" zu nennen. Heute heften sie dieses Etikette Abu Mazen an.

Deshalb ist es ein Schlag ins Gesicht der israelischen Diplomatie und ein beabsichtigter Auftrieb für das Prestige des palästinensischen Führers wenn Bush seinen Gast mit "Präsident Abbas" anspricht.

Der nächste Schritt könnte eine Höherbewertung der Behörde selbst sein. In Oslo verlangten die Palästinenser, man solle sie "Palästinensische Nationalbehörde" nennen. Die israelische Seite war absolut dagegen und nur mit "Die Palästinensische Behörde" einverstanden. Sie bestanden hierauf mit all ihrer Macht. Als die Palästinenser im Widerspruch zum Abkommen Briefmarken mit der Aufschrift "Palästinensische Nationalbehörde" druckten, wurden sie gezwungen, den ganzen Satz einzustampfen und neue mit dem vereinbarten Namen zu drucken .

Trotzdem tragen alle offiziellen Dokumente der Behörde heute die stolze Aufschrift: "Die Palästinensische Nationalbehörde".

Eine ähnliche Schlacht fand seit Oslo um den Namen "Palästina" statt. Als die Palästinenser den Status eines "Beobachters" bei den Vereinten Nationen erhielten, stand auf dem Namensschild "Palästinensische Befreiungsorganisation". Nach langem und zähem Kampf, der von dem fähigen Neffen Arafats, Nasser al-Kidwah, ausgefochten wurde, wurde dieses durch ein anderes ersetzt, auf dem einfach "Palästina" steht. Immer mehr internationale Institutionen erkennen jetzt die "Palästina" genannte juristische Person an - als ob es den Staat Palästina schon gäbe.

Natürlich nicht in Israel. Es stimmt, selbst hier kann man es nicht vermeiden, über "einen palästinensischen Staat" zu sprechen und sogar Ariel Sharon ist bereit, diese Bezeichnung für das Inselreich von unzusammenhängenden Enklaven, das er den Palästinensern bieten will, zu verwenden, aber kein Israeli mit Selbstachtung wird die Bezeichnung "Staat Palästina" über seine Lippen kommen lassen. Bevor dies geschieht, wird der Oberrabbiner - Gott behüte! - öffentlich Schweinefleisch essen.

Der Kampf um die palästinensischen staatsähnlichen Attribute hatte zuweilen groteske Ausmaße angenommen. In Oslo stritten die Unterhändler wochenlang, wie man es nennen sollte: ein palästinensisches "Reisedokument" oder "Reisepaß". Die Israelis waren unter keinen Umständen damit einverstanden, es Reisepaß zu nennen, da Reisepässe nur von Staaten und supranationalen Einrichtungen ausgegeben werden. Die Palästinenser beharrten darauf und schließlich wurde ein Kompromiß gefunden: auf dem Einband sollte oben das Wort "Reisedokument" und unten "Reisepaß" stehen. Die Palästinenser versuchten, schlau zu sein, und druckten es genau umgekehrt, aber erneut mußten sie die ganze Auflage einstampfen und neue drucken lassen.

Was hat Bush Abu Mazen, neben seiner Salbung als "Herr Präsident" noch gegeben?

Sehr viel oder sehr wenig - je nach Standpunkt.

Die Mitarbeiter des Premierministers haben Recht, wenn sie behaupten, Bush habe ihm nichts neues gegeben. Alles war schon zuvor gesagt worden. Aber wenn Bush alles wiederholt, was er vorher bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt hat und dies zu einem Bündel zusammenfaßt, erhält es eine neue Bedeutung. Quantität wird zu Qualität, wie Marx zu sagen pflegte.

Bush zufolge wird es einen Staat Palästina geben. Wann? Das wurde nicht gesagt. Es gibt keinen Zeitplan.

Bush sprach über "Gaza, die West Bank und Jerusalem". Die besondere Erwähnung von Jerusalem ist ein schwerer Schlag für Sharon, der fast zur selben Zeit erklärte, ganz Jerusalem bleibe "für die Ewigkeit der Ewigkeiten" israelisch. Nicht nur Ewigkeit, sondern "Ewigkeit der Ewigkeiten". (In der Vergangenheit machte er dieselbe Zusicherung über die Nezarim- und Kfar Darom-Siedlungen im Gaza-Streifen, die er in drei Monaten räumen lassen soll. Eine wirklich sehr kurze Ewigkeit. Eine Art Mini-Ewigkeit.)

Die Grenzen zwischen Israel und Palästina sollen Bush zufolge nur durch Verhandlungen und nach gegenseitigem Einverständnis festgelegt werden. Wie stimmt dies mit seiner schriftlichen Versicherung gegenüber Sharon überein, daß die "großen Bevölkerungszentren" (was vermutlich die großen israelischen Siedlungen in der West Bank meint) ein Teil Israels werden? Vielleicht gibt es da keinen Widerspruch: die Grenzen werden durch Verhandlungen festgelegt, aber die Vereinigten Staaten werden die israelischen Ansprüche unterstützen.

Schließt dies eine Lösung aus? Nicht notwendigerweise. Bei verschiedenen Gelegenheiten haben Palästinenser gesagt, sie wären mit einem begrenzten Gebietsaustausch auf der Basis von 1:1 möglicherweise einverstanden.

Bush sprach weder gegenüber Sharon noch gegenüber Abbas aus, an welche "Bevölkerungszentren" er dachte. Sharon erwähnt immer Ma'aleh Adumim, Ariel, Gush Etzion und andere Siedlungen.

Aus amerikanischen Äußerungen wird ziemlich klar, daß Bush Ma'aleh Adumim, dessen Annektierung die West Bank in zwei Teile spalten würde, und Ariel, das 25 Kilometer von der Grünen Linie entfernt liegt, nicht einschließt.

Aber Siedlungen wie Alfei Menasheh, Modi'in Illit, Efrat und Betar Illit, die nahe an der Grünen Linie liegen, könnten in die amerikanische "Vision" eingeschlossen sein.

Bush warf eine interessante Anmerkung ein: daß dies die amerikanische Position für die gesamten Verhandlungen sei. Was will er damit sagen? Daß dies auch für seine Nachfolger verbindlich sei, oder daß er die Verhandlungen bis zum Ende seiner zweiten Amtszeit in 2008 abschließen wird?

Bushs Musik klang in Abu Mazens Ohren sicher süß, aber sie muß für Sharon schrill gewesen sein.

Stimmt, die Musik verändert nicht die Fakten. Im Augenblick geht alles wie vorher weiter: der Mauerbau, die Annektierung von Land, die Erweiterung von Siedlungen.

Aber wenn sich die Musik ändert, könnten nach und nach auch die Fakten in Harmonie damit gebracht werden.

Der Premierminister befindet sich in der peinlichen Situation eines Mannes, der mit seiner Frau im Bett liegt und zu seiner Überraschung entdeckt, daß noch ein weiterer Mann im Bett liegt.

Und nicht nur ein anderer Mann, sondern sogar ein Präsident.

Er wird natürlich alles ihm mögliche tun, um ihn dort loszuwerden.





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