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Die Gladiatoren

Überraschung in Israel

03.10.2005  


Uri Avnery
Übersetzung Ellen Rohlfs




Der Kampf zwischen Binyamin Netanyahu und Ariel Sharon im Likud-Zentralkomitee glich einem Duell zweier Gladiatoren in der römischen Arena. Um so mehr, als sich viele der Komiteemitglieder wie der römische Mob benahmen, der schrie, randalierte und Blut verlangte.

Bei diesem Kampf glich Netanyahu dem Retiarius, einem Gladiator, der nichts als eine kurze Tunika anhatte und der versuchte, seinen Gegner mit einem in seiner Rechten gehaltenen Wurfnetz zu fangen und falls ihm das gelingen würde, mit einem Dreizack, den er in der Linken trug, zu erledigen. Sharon glich dem Sekutor, der eine Rüstung trug und mit einem Schwert bewaffnet war. Der erste hatte den Vorteil der Beweglichkeit und Agilität, der andere bewegte sich schwerfällig, war aber gut geschützt.

Es gab für viele ein erleichtertes Aufatmen, als Netanyahu im letzten Augenblick besiegt wurde - entgegen den Erwartungen und den Meinungsumfragen. Seitdem sich Netanyahu selbst auf die äußerste Rechte positioniert hatte, die Siedler unterstützte und gegen jeden Abzug war, erschien Sharon wie der "Mann des Friedens". Doch das ist natürlich eine Illusion. Den Unterschied zwischen beiden ist, falls es ihn überhaupt gibt, vernachlässigbar. Wenn Netanyahu Premierminister wäre, würde er sich genau wie Sharon verhalten - und Sharon würde sich in der Oppositon genau wie Netanyahu verhalten.

Sharon macht nun friedliebende und kriegerische Erklärungen - je nachdem, an welches Publikum er sich wendet. Vor der UN-Generalversammlung und den Amerikanern singt er ein Lob auf den Frieden, aber dem Likud schwört er, keinen weiteren Zoll aufzugeben. All diese Erklärungen sind "keine Knoblauchschale wert", um einen hebräischen Ausdruck zu benützen. Man sollte ihm kein Wort, das er spricht, glauben, nur seine Handlungen zählen. Inzwischen baut er den Trennungszaun weiter, erweitert die Siedlungen, initiiert Provokationen, läßt bomben und verhaften.

Vordergründig hat deshalb nichts von dem, was sich im Likud-Zentralkomitee ereignete, Einfluß auf die Friedenschancen. Nur ein Duell zwischen zwei Gladiatoren in der Arena, viel Lärm um nichts. Das ist aber eine optische Täuschung.

Tatsächlich hat der Frieden in der Likud-Arena einen großen Sieg errungen.

Das hat nichts mit der Persönlichkeit oder den Absichten Sharons zu tun, aber alles mit dem Inhalt der Entscheidung.

Theoretisch stand keine ideologische Sache auf dem Spiel. Die Komiteemitglieder stimmten offiziell nur über einen technischen Punkt ab: ob die Vorwahlen für den Parteivorsitzenden schon im nächsten Monat oder zu ihrer geplanten Zeit - in einem halben Jahr - abgehalten werden sollen. Große Sache.

Aber was wirklich zur Debatte stand, war, ob man Sharon hinauswerfen solle, weil er die Siedlungen aufgelöst und aus dem Gaza-Streifen abgezogen ist. Die Angriffe auf ihn waren auf diesen Punkt konzentriert. Seine Gegner behaupteten, daß er die Likud-Prinzipien verraten habe, daß der Likud gegen jedes Überlassen jeglichen Teils des "Vaterlandes" an den "arabischen Feind" sei, daß die Räumung jeder Siedlung ein Verbrechen sei. Das war es, worum es in dieser Schlacht ging.

Die Entscheidung war deshalb von historischer Bedeutung. Der Likud ist die derzeitige Inkarnation der revisionistischen Partei, die vor etwa 80 Jahren unter dem Slogan gegründet wurde: "Der Jordan hat zwei Ufer - das eine gehört uns und das andere auch." Allein der Name reflektiert diese Behauptung. Der Gründer, Vladimir (Ze'ev) Jabotinsky, wollte die Entscheidung der britischen Regierung von 1920, die Trennung Transjordaniens (das heutige Königreich Jordanien) von Palästina, rückgängig machen. Das war die "Revision", die er anstrebte.

Selbst wenn die Partei in ihren sukzessiven Inkarnationen praktisch den Anspruch auf Transjordanien aufgegeben hat, bestand sie nachdrücklich auf "Dem Ganzen Erez Israel" zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan. Um dies zu erreichen, wurden die Siedlungen in allen besetzten Gebieten gefördert, die Existenz des palästinensischen Volkes schlicht geleugnet und jeder Schritt, der in Richtung Frieden mit diesem führte, blockiert.

Und nun stimmte am Montag, dem 26. September 2005, das Zentralkomitee dieser Partei für einen Führer, der 25 Siedlungen räumte und zerstörte, der die israelische Armee dazu benützt hat, "Juden zu vertreiben" und der offiziell einen Teil von Erez Israel aufgegeben hat. Seit diesem Tag ist der Likud nicht mehr das, was er war.

Einige Leute haben diesen Sieg auf die leichte Schulter genommen, weil er nur mit einer winzigen Mehrheit erreicht wurde - 52 Prozent gegen 48 Prozent. Aber das ist nicht wichtig. Erstaunlich daran ist, daß überhaupt Komiteemitglieder für den Mann stimmten, der dies getan hat.

Es wird gesagt, daß diese Entscheidung keine ideologische, sondern eine jobologische gewesen sei. Die Komiteemitglieder hätten gegen ihre eigene Überzeugung gestimmt, um den Likud an der Macht zu halten und ihre Regierungsjobs zu retten. Die Meinungsumfragen hätten gezeigt, daß der Likud die Wahlen verlieren würde, wenn Sharon hinausgeworfen würde. Der Kopf habe das Herz besiegt, die Machtgier sei stärker als die Ideologie gewesen.

Wenn das wahr wäre, wäre der Sieg sogar noch bedeutsamer. Die 3.060 Mitglieder des Likud-Zentralkomitees kommen aus allen Teilen Israels. Sie kommen aus allen Volksschichten, nicht nur aus der "Elite". Sie spüren die Stimmung der allgemeinen Öffentlichkeit. Wenn sie zu dem Schluß gekommen waren, Loyalität gegenüber den Siedlungen und Groß-Israel ließe sie die Wahlen verlieren, so ist das von weitreichender Bedeutung.

Vor kurzem schrieb ich, "die Mitte hat gehalten". Nun ist auch klar, daß der rechte Flügel gegenüber Sharon loyal geblieben ist. Seine Gegner, die Loyalisten von Groß-Israel, befinden sich in einem Zustand des Zusammenbruchs. Nach ihrer Schlappe im Zentralkomitee gehen sie auch bei den 100.000 Parteimitgliedern unter. Umfragen zeigten, daß eine große Mehrheit unter ihnen jetzt Sharon unterstützt. Die Likudminister und Knessetmitglieder verhalten sich wie Soldaten einer besiegten Armee nach dem Ruf: "Rette sich wer kann!"

Damit ist es nicht zu Ende. Im Gegenteil, vor uns liegt ein hartes Jahr. Sharon wird versuchen, alles zu blockieren, außer dem Bau des Zaunes und der Erweiterung der Siedlungen. Der Vorwand dafür wird sein, daß man auf die Ergebnisse der palästinensischen Wahlen im Januar 2006 warten müsse, um zu wissen, "mit wem man es zu tun habe". Danach werden die israelischen Wahlen stattfinden, wahrscheinlich im November 2006. und "keiner kann von Sharon erwarten, daß er vor den Wahlen unpopuläre Schritte unternimmt". Präsident Bush, selbst durch und durch ein Politiker, wird das sicher verstehen. Die anhaltende Blockade kann neue Katastrophen auslösen.

Trotz alledem hat der lange Marsch in Richtung Frieden einen Schritt getan. Einen kleinen, aber einen wichtigen Schritt.

Und daß dies ausgerechnet im Likud-Zentralkomitee geschehen würde. Wer hätte das je geglaubt?





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