www.freace.de
Impressum und Datenschutz

Nachrichten, die man nicht überall findet.





Wer ist der Hund? Wer ist der Schwanz?

Die Beziehung zwischen den USA und Israel

23.04.2006  


Uri Avnery
Übersetzung Ellen Rohlfs




Für gewöhnlich erzähle ich diese Geschichten nicht, denn sie könnte den Verdacht aufkommen lassen, ich sei paranoid.

Z.B. wurde ich vor 27 Jahren zu einer Vortragsreise in 30 amerikanische Universitäten eingeladen, einschließlich all der berühmten wie Harvard, Yale, Princeton, MIT, Berkeley und so weiter. Meine Gastgeberin war die Gesellschaft für Versöhnung (Fellowship of Reconciliation), eine geachtete nicht-jüdische Organisation, die Vorträge selbst aber wurden unter der Schirmherrschaft der jüdischen Bet-Hillel-Rabbiner gehalten.

Bei der Ankunft am New Yorker Flughafen wurde ich von einem der Organisatoren empfangen. "Da gibt es einen kleinen Haken", sagte er mir, "29 der Rabbiner haben Ihren Vortrag abgesagt."

Am Ende fanden alle Vorträge statt, unter der Schirmherrschaft christlicher Geistlicher. Als wir zu dem einen Rabbiner kamen, der meinen Vortrag nicht abgesagt hatte, erzählte er mir das Geheimnis: die Vorträge waren durch einen vertraulichen Brief der Anti-Diffamierungs-Liga (Anti-Defamation League, ADF), der Gedanken-Polizei des jüdischen Establishments, verboten worden. Der wichtigste Satz blieb mir im Gedächtnis: "Zwar kann nicht gesagt werden, daß der Knesset-Abgeordnete Avnery ein Verräter ist, jedoch ..."

Und eine andere Geschichte aus dem wirklichen Leben: ein Jahr später flog ich nach Washington, D.C., um die Zwei-Staaten-Lösung zu "verkaufen", die zu jener Zeit als ausgefallene, um nicht verrückte zu sagen, Idee betrachtet wurde. Im Laufe meines Besuches waren die Quäker so freundlich, eine Pressekonferenz für mich zu arrangieren.

Als ich ankam, war ich sehr erstaunt. Der Raum war proppenvoll; praktisch alle bedeutenden amerikanischen Medien waren vertreten. Viele kamen direkt von einer Pressekonferenz mit Golda Meir, die auch gerade in der Stadt war. Die Veranstaltung sollte wie üblich eine Stunde dauern, aber die Journalisten ließen nicht locker. Sie bombardierten mich weitere zwei Stunden lang mit Fragen. Offensichtlich waren die Dinge, die ich zu sagen hatte, ihnen ziemlich neu und interessierten sie.

Ich war neugierig, wie dies in den Medien berichtet werden würde. Und in der Tat war die Reaktion erstaunlich: nicht ein Wort erschien in irgendeiner Zeitung, im Radio oder im Fernsehen. Nicht ein einziges Wort. Übrigens gab ich vor drei Jahren wieder eine Pressekonferenz – diesmal auf dem Kapitol in Washington. Es war eine genaue Wiederholung des letzten Males: viele Reporter, ihr offensichtliches Interesse, die Fortsetzung der Konferenz über die angegebene Zeit hinaus – und kein einziges Wort in den Medien.

Ich könnte noch ein paar solcher Geschichten erzählen, aber der Punkt ist klar. Ich erzähle sie nur im Zusammenhang mit dem Skandal, der kürzlich von zwei amerikanischen Professoren, Stephen Walt von Harvard und John Mearsheimer von der Universität von Chicago verursacht wurde. Sie veröffentlichten ein Forschungspapier über den Einfluß der Israel-Lobby in den Vereinigten Staaten.

Auf 80 Seiten – 40 davon Fußnoten und Quellenangaben – zeigen die beiden, daß die pro-Israel-Lobby eine ungezügelte Macht in der US-Hauptstadt ausübt, wie sie Mitglieder des Senates und des Repräsentantenhauses terrorisiert, wie das Weiße Haus nach ihrer Pfeife tanzt (falls ein Haus tatsächlich tanzen kann), wie die bedeutenden Medien ihren Befehlen gehorchen und wie selbst auch die Universitäten in Angst vor ihr leben.

Dieser Aufsatz verursachte einen Sturm. Und ich meine nicht die voraussagbaren wilden Angriffe der "Freunde Israels" - die meisten Politiker, Journalisten und Professoren. Sie bewarfen die Autoren mit den all üblichen Anklagen: sie seien Antisemiten, sie ließen "die Protokolle der Weisen von Zion" wiederaufleben und so weiter. Es gab etwas Paradoxes in diesen Angriffen, da sie nur die Argumente der Autoren bestätigten.

Die Debatte, die mich fasziniert, ist jedoch von anderer Art. Sie brach zwischen hochrangigen Intellektuellen aus, vom legendären Noam Chomsky, dem Guru der Linken in aller Welt (einschließlich Israels), bis zu den progressiven Websites überall. Der Zankapfel: die Schlußfolgerung des Papiers, daß die jüdisch-israelische Lobby die US-Außenpolitik beherrsche und sie israelischen Interessen – in krassem Widerspruch zu den nationalen Interessen der USA selbst - unterwerfe. Ein einschlägiger Fall: der amerikanische Angriff auf den Irak.

Chomsky und andere erhoben gegen diese Behauptung Einspruch. Sie leugnen nicht die tatsächlichen Erkenntnisse der beiden Professoren, sondern widersprechen ihren Schlußfolgerungen. Ihrer Ansicht nach lenkt nicht die pro-Israel-Lobby die amerikanische Politik, sondern die Interessen der großen Unternehmen, die das amerikanische Imperium beherrschen und Israel für ihre eigenen selbstsüchtigen Ziele ausbeuten.

Einfach gesagt: wedelt der Hund mit seinem Schwanz, oder wedelt der Schwanz mit dem Hund?

Ich bin nervös, mich in die Debatte solch berühmter Intellektueller einzumischen, aber ich fühle mich trotzdem verpflichtet, meine Ansichten dazu zu äußern.

Ich will mit dem Juden beginnen, der zum Rabbi ging und sich über seinen Nachbarn beschwerte. "Du hast Recht", erklärte der Rabbi. Dann kam der Nachbar und beschwerte sich über den Klageführer. "Du hast Recht", verkündete der Rabbi. "Aber wie ist das möglich?", rief die Ehefrau des Rabbis aus. "Es kann doch nur einer der beiden Recht haben!" - "Und Du hast auch recht!", sagte der Rabbi.

Ich befinde mich in einer ähnlichen Situation. Ich denke, daß beide Recht haben, (und hoffe damit, auch selbst Recht zu haben).

Die Erkenntnisse der beiden Professoren sind bis ins letzte Detail richtig. Jeder Senator und jedes Kongreßmitglied weiß, daß Kritik an der israelischen Regierung für ihn politischen Selbstmord bedeutet. Zwei von ihnen, ein Senator und ein Kongreßmitglied, versuchten es - und wurden politisch hingerichtet. Die jüdische Lobby wurde komplett gegen sie mobilisiert und jagte sie aus dem Amt. Dies geschah vor aller Augen, um ein öffentliches Exempel zu statuieren. Wenn die israelische Regierung morgen ein Gesetz haben möchte, das die Zehn Gebote für ungültig erklärt, dann würden mindestens 95 Senatoren den Gesetzesentwurf unverzüglich unterschreiben.

Präsident Bush zum Beispiel hat sich von allen etablierten amerikanischen Positionen, die unsern Konflikt betreffen, zurückgezogen. Er akzeptiert automatisch die Positionen unserer Regierung, gleichgültig wie sie sind. Fast alle amerikanischen Medien sind für Palästinenser und israelische Friedensaktivisten verschlossen. Was die Professoren betrifft, so wissen fast alle, welche Seite ihres Brotes mit Butter bestrichen ist. Wenn trotz allem einer von ihnen den Mund zu öffnen wagt und etwas gegen die israelische Politik sagt – was alle paar Jahre einmal vorkommt – wird er unter einem Hagel von Verwünschungen begraben: Antisemit, Holocaustleugner, Neo-Nazi.

Nebenbei gesagt, sind amerikanische Gäste in Israel, die wissen, daß es zuhause verboten ist, über den Einfluß der jüdischen Lobby zu reden, sprachlos, wenn sie feststellen, daß hier die Lobby ihre Macht in Washington nicht verheimlicht, sondern offen damit angibt.

Die Frage ist deshalb nicht, ob die beiden Professoren mit ihren Ergebnissen Recht haben. Die Frage lautet eher, welche Schlußfolgerungen können aus ihnen gezogen werden?

Nehmen wir mal die Irakaffäre. Wer ist der Hund? Wer der Schwanz?

Die israelische Regierung betete um diesen Angriff, der die strategische Bedrohung Israels durch den Irak vernichtete. Amerika wurde von einer Gruppe Neo-Konservativer, fast alles Juden, die einen großen Einfluß auf das Weiße Haus haben, in den Krieg gestoßen. Früher waren einige von ihnen Berater von Binyamin Netanyahu gewesen.

Oberflächlich betrachtet, ein klarer Fall. Die pro-Israel-Lobby drängte zum Krieg, Israel profitiert am meisten davon. Wenn der Krieg in einem Desaster für Amerika endet, dann wird sicher Israel die Schuld dafür gegeben werden.

Wirklich? Und was ist mit dem amerikanischen Ziel, seine Hände auf die Weltölreserven zu legen, um die Weltwirtschaft zu beherrschen? Was mit dem Ziel, eine amerikanische Garnison im Zentrum der wichtigsten ölproduzierenden Region, über dem irakischen Öl, zu plazieren, zwischen dem Öl Saudi-Arabiens, des Irans und des Kaspischen Meeres? Wie ist es mit dem immensen Einfluß der großen Öl-Gesellschaften auf die Bush–Familie? Was ist mit den großen multinationalen Unternehmen, deren hervorstechendster Vertreter Dick Cheney ist, die hofften, hunderte Milliarden beim "Wiederaufbau des Iraks" zu machen?

Die Lektion der Irakaffäre ist, daß die amerikanisch-israelische Verbindung am stärksten ist, wenn es scheint, daß amerikanische und israelische Interessen übereinstimmen (ungeachtet, ob dies auf lange Sicht tatsächlich der Fall ist). Die Vereinigten Staaten benutzen Israel, um den Mittleren Osten zu beherrschen, Israel benutzt die Vereinigten Staaten, um Palästina zu beherrschen.

Wenn aber etwas Außergewöhnliches geschieht, wie die Jonathan-Pollard-Spionage-Affäre oder der Verkauf eines israelischen Spionage-Flugzeugs an China und sich so eine Kluft zwischen den Interessen beider Seiten öffnet, dann ist Amerika fähig, Israel zu ohrfeigen.

Die amerikanisch-israelischen Beziehungen sind tatsächlich einzigartig. Es scheint, als gäbe es dafür keinen Präzedenzfall in der Geschichte. Es ist als hätte König Herodes Kaiser Augustus Befehle gegeben und bestimmt, wer Mitglied des römischen Senats werden soll.

Ich denke nicht, daß dieses Phänomen allein durch wirtschaftliche Interessen erklärt werden kann. Selbst die orthodoxesten Marxisten müssen anerkennen, daß dies auch eine geistige Dimension hat. Es ist kein Zufall, daß amerikanische (als auch britische) fundamentalistische Christen die zionistische Idee erfunden haben, bevor Theodor Herzl sich darauf stürzte. Die evangelikale Lobby ist nicht weniger bedeutend im heutigen Washington als die jüdische. Nach ihrer Ideologie müssen Juden das ganze Heilige Land in Besitz nehmen, um die Wiederkunft Christi möglich zu machen (und dann – was sie nicht laut verkünden - werden einige Juden Christen und der Rest wird in der Schlacht von Armageddon, heute Meggido im Norden Israels, vernichtet).

An der Basis des Phänomens liegt die unheimliche Ähnlichkeit zwischen den beiden national-religiösen Geschichten, der amerikanische Mythos und der israelische. In beiden haben Pioniere, die wegen ihrer Religion verfolgt wurden, die Küsten des "Verheißenen Landes" erreicht. Sie wurden gezwungen, sich gegen die "wilden" Einheimischen zu verteidigen, die sie vernichten wollten. Sie erlösten das Land, brachten die Wüste zum Blühen, schufen mit Gottes Hilfe eine blühende, demokratische und moralisch hochstehende Gesellschaft.

Beide Gesellschaften leben in einem Zustand der Leugnung und der unbewußten Schuldgefühle - drüben wegen des Völkermords an den amerikanischen Ureinwohnern und der entsetzlichen Sklaverei der Schwarzen, hier wegen der Entwurzelung des halben palästinensischen Volkes und der Unterdrückung der anderen Hälfte. Hier wie dort glauben die Menschen an einen ewigen Krieg zwischen den Söhnen des Lichts und den Söhnen der Finsternis.

Jedenfalls ist die amerikanisch-israelische Symbiose einzigartig und ein zu komplexes Phänomen, um sie als einfache Verschwörung zu beschreiben. Ich bin sicher, daß die beiden Professoren dies auch nicht versuchten.

Der Hund wedelt mit dem Schwanz und der Schwanz wedelt mit dem Hund. Sie wedeln sich gegenseitig.





Zurück zur Startseite





Impressum und Datenschutz

Kontakt: E-Mail