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Die Falle

Der zukünftige israelische Verteidigngsminister

04.05.2006  


Uri Avnery
Übersetzung Ellen Rohlfs




Wenn man jemanden auf eine Falle zugehen sieht, schreit man: "Paß' auf!" Aber was, wenn man jemanden wissentlich, mit offenen Augen, in eine Falle gehen sieht?

Amir Peretz ist im Begriff, Verteidigungsminister zu werden und er weiß, daß es eine Falle ist. Also warum tut er es?

Seine Motive sind klar und verständlich. Um einen grundlegenden Wechsel in der politischen und sozialen Politik zu bewirken, muß er Premierminister werden. Das entspricht auch seinen persönlichen Ambitionen. Aber in Israel braucht eine Person, die Premierminister werden will, eine militärische Visitenkarte.

Die letzten Wahlen haben dies wieder gezeigt. Peretz wollte als ein "sozialer" Kandidat gewinnen. Alle Umfragen bewiesen, daß er tatsächlich von der Mehrheit der Wähler als der glaubwürdigste Kandidat für soziale Angelegenheiten wahrgenommen wurde. Die Schlacht wurde aber von dem Kandidaten gewonnen, der den Ort des Schlachtfeldes bestimmen konnte. Peretz schaffte es nicht, soziale Angelegenheiten auf die Mitte der Bühne zu ziehen. Olmert gelang es, die Sicherheit dort zu behalten.

Der Hamas-Sieg bei den palästinensische Wahlen, der fortgesetzte Beschuß mit Qassam-Raketen vom Gaza-Streifen aus auf Israel, der israelische Armeeangriff auf das Gefängnis in Jericho, die sich verschlimmernde atomare Bedrohung durch den Iran – all dies schob die sozialen Probleme beiseite. Die Öffentlichkeit war nicht bereit, eine Person "ohne Erfahrung in Sicherheitsfragen" zu wählen.

In den letzten 30 Jahren hatte Israel sieben Premierminister. Drei von ihnen (Yitzhak Rabin, Ehud Barak und Ariel Sharon) waren Generäle. Zwei (Menachem Begin und Yitzhak Shamir) hatten einen herausragenden Ruf als Anführer von militärischen Untergrundgruppen und Shamir hatte außerdem als hochrangiger Mossad-Offizier gedient. Einer (Shimon Peres) war zuvor Verteidigungsminister und ist der Vater der israelischen Atombombe. Binyamin Netanyahu war nur Hauptmann in einer Kommandoeinheit, aber er badete sich im Ruhm seines heldenhaften Bruders Jonathan, der in Entebbe gefallen war.

Peretz benötigt ein Sicherheitszertifikat, um sich für die nächste Runde im Kampf für den Posten des Ministerpräsidenten vorzubereiten. Deshalb nahm er den Job des Verteidigungsministers an, wohl wissend, daß dies zu einer Horrorshow werden könnte.

Sobald er das Amt des Verteidigungsministers übernimmt, wird Peretz sich entscheiden müssen, sich den Kannibalen anzuschließen oder von ihnen aufgefressen zu werden.

In dem zu seinem neuen Büro führenden Korridor hängen die Photos all seiner Vorgänger. Er wäre gut beraten, einen Moment vor dem zweiten in der Reihe, Pinhas Lavon, innezuhalten und nachzudenken.

Wie Peretz war Lavon ein Politiker der Arbeitspartei, dem jede "Sicherheitserfahrung" fehlte. 1953 überraschte David Ben-Gurion alle, indem er ihn zu seinem Nachfolger im Verteidigungsministerium ernannte. Auch damals hatten einige den Verdacht, daß dies eine Falle sei. Ben-Gurion, der sich damals vorübergehend in den Negev zurückzog, übergab diesen Posten der ungeeignetsten Person, um keinen ernsthaften Rivalen zu haben, wenn oder falls er sich entscheiden sollte, zurückzukehren.

Lavon, bis dahin die friedlichste aller Tauben, wurde über Nacht zu einem kreischenden Falken. Als zum Beispiel Soldaten bei einer Hausdurchsuchung die Möbel einer arabischen Familie zerstört hatten, bemerkte er zynisch: "Sie waren nicht aus Mahagoni, oder?" (Wir vom Haolam Hazeh Magazin nannten ihn danach "Pinchas Mahagoni") Er autorisierte brutale "Vergeltungsaktionen" und billigte die Entscheidung des Militärs, das Regime des neuen ägyptischen Führers Gamal Abd al-Nassar zu sabotieren.

Das Ende war traurig. Die Armee führte eine getarnte Sabotagekampagne gegen US-amerikanische und britische Ziele in Ägypten durch, die dazu bestimmt war, Zwietracht zwischen Ägypten und dem Westen zu säen. Die Aktion mißlang, die Agenten wurden gefangengenommen und die Armeechefs beschuldigten Lavon, der beschämt zurücktrat. (Diese "Affäre" hatte weitreichende politische Folgen und führte schließlich zum Sturz von Ben-Gurion selbst.)

Bis jetzt sind fast alle Verteidigungsminister Generäle gewesen. Die wenigen Ausnahmen – Levy Eshkol, Shimon Peres und Moshe Arens – nahmen den einfachsten Ausweg. Sie gaben den Generälen alles, was sie wollten und übernahmen ihre Perspektive. Aus diesem Grund wurden sie als "gute Verteidigungsminister" angesehen.

Wenn Peretz diesen Weg gehen sollte, würde er all die in ihn gesetzten Hoffnungen enttäuschen.

Die Armee wird verlangen, daß er "gezielte Tötungen" genehmigt, die Siedlungsblöcke (selbst wenn ein paar "isolierte" Siedlungen aufgelöst werden sollten) erweitert, weitere Straßensperren errichtet und allgemein das Leben der palästinensischen Bevölkerung unerträglich macht. Nach einem Jahr wird man keinen Unterschied mehr zwischen ihm und seinem Vorgänger ausmachen können.

Wenn er mit den Generälen in Frieden leben will, kann er keine nennenswerten Kürzungen des aufgeblähten Militärbudgets, des Hais, der alles frißt, das seinen Weg kreuzt, vornehmen. Ohne große Kürzungen gibt es aber keine Chance für den versprochenen sozialen Wandel. Doch solch eine Kürzung würde zur Entlassung tausender von Offizieren und Zivilangestellter führen, einschließlich der gut organisierten Angestellten der Rüstungsindustrie. Dann wird es einen Aufschrei geben: Peretz gefährdet die Sicherheit des Staates, er setzt uns der iranischen Atombombe aus, er ist schuld am Tod der Terroropfer.

Um als "guter Verteidigungsminister" angesehen zu werden, muß Peretz sich mit kosmetischen Budgetkürzungen zufriedengeben und die Leute, die ihn wählten, enttäuschen.

Wenn er sich für das Gegenteil entscheidet und den Generälen die Stirn bietet, indem er das Militärbudget kürzt und dem Militär eine politische Einstellung auferlegt, wird er sich als sehr kleiner David gegen einen sehr bedrohlichen Goliath wiederfinden.

Das israelische "Sicherheitsestablishment" ist ein Machtzentrum, das in keinem anderen demokratischen Staat eine Parallele hat. Es schließt nicht nur die riesige Armee und alle ihre Abteilungen, die große Rüstungsindustrie, den Mossad und den Shin Bet ein (die gar nicht unter seiner Kontrolle sind, sondern direkt dem Premierminister unterstehen) ein, es schließt auch viele hunderte pensionierte Generäle ein, die Schlüsselpositionen in allen staatlichen, politischen und wirtschaftlichen Bereichen haben und die sich gegenseitig und die Generalstabspositionen unterstützen.

Die israelische Armee ist nicht nur eine professionelle Körperschaft. Sie ist auch ein ideologisches Treibhaus. Von seiner Einführung als junger Rekrut bis zum Erwerb der Generalsinsignien auf seinen Schultern unterzieht sich der Offizier einer unbewußten täglichen Indoktrinierung, die eine so gut wie unveränderliche Weltanschauung in seinen Kopf einpflanzt. Diese nimmt er mit sich, wenn er beruflich aufsteigt, Kabinettsminister (ob Likud oder Arbeitspartei ist fast belanglos), Chef eines Industrieunternehmens oder der Generaldirektor eines bedeutenden öffentlichen Dienstbetriebes wird.

Dies ist eine politisch-ideologische Zwangsmaschine, gegen die keine Regierung etwas ausrichten kann. Ariel Sharon, selbst ein siegreicher General, konnte sich hier und dort gegenüber dem Militär durchsetzen. Das trifft aber nicht auf eine Regierung zu, die von drei Zivilisten geführt wird: Ehud Olmert (der kaum Soldat gewesen ist), Amir Peretz (ein niederer Offizier ohne Kampferfahrung) und Tsipi Livni (ohne nennenswerte militärische Leistungen). Sie werden befürchten, vom Generalstabschef beschuldigt zu werden, sie hätten keine Ahnung von Militärangelegenheiten und würden das Leben von Soldaten und Zivilisten gefährden. Dies um so mehr, als die Armee eine Position hält, die wichtiger ist als jede andere, vielleicht einschließlich des Premierministers ist: der Armee-Nachrichtendienstchef ist es, der die alleinige Verantwortung für die "nationale Beurteilung" trägt.

Das Weltbild, das vom militärischen Nachrichtendienst dem Kabinett vorgelegt wird, diktiert praktisch alle politischen und sicherheitsrelevanten Entscheidungen. Kein Minister wird jemals aufstehen und sagen: "Liebe Kameraden, das ist doch Blödsinn!" Nicht einmal, nachdem vor kurzem bekannt wurde, daß einer der letzten Militärnachrichtendienstchefs systematisch professionelle Erkenntnisse seiner untergeordneten Mitarbeiter gefälscht hat und dem Kabinett ein bewußt falsches Bild der palästinensischen Absichten vorgelegt hat.

Das obere Offizierskorps schaut seiner Natur entsprechend Israels Probleme nur durch das Zielfernrohr der Waffen – also mit einem geschlossenem Auge an.

Vielleicht wird Peretz die Situation ändern. Vielleicht wird er zeigen, daß er ein furchtloser Kämpfer ist, indem er den oberen Offizieren eine ihnen fremde Weltsicht auferlegt, das fette Militärbudget kürzt und auf moralischen Standards besteht. Hoffentlich.

Einige Militärexperten sagen, wenn Peretz versuche, seine Vorstellungen zu verwirklichen, dann würden der Generalstabschef und seine Generäle ihn zum Frühstück verspeisen. Peretz' Bewunderer glauben, daß er es sein wird, der dieses kannibalische Mahl mit vollem Magen verlassen wird.

Man sagt, daß ein kluger Mann weiß, wie er sich aus so einer Falle befreit, in die ein weiser Mann gar nicht erst getappt wäre. Aber wenn jemand mit offenen Augen in eine Falle tritt, dann kann man nur hoffen, daß er auch weiß, wie er wieder herauskommt – und ihm zumindest die Daumen dafür drücken!





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