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Spieltheorie

Gedanken zur palästinensischen Zukunft

01.06.2006  


Gideon Levy
Übersetzung Ellen Rohlfs




Dies war ein besonders kurzer Maskenball: zwei oder drei Monate und die "Boykott"-Partei gegen die palästinensische Behörde endete. Es war auch ein besonders dummer Maskenball: Hamas kann jetzt mit einer wirklichen Errungenschaft herumwedeln. Israel und die Welt haben bedingungslos aufgegeben und das Geld fließt wieder in die Gebiete.

Das Problem ist, daß einige Masken geblieben sind und die Torheit weitergeht: Israel und die Welt werden kein Gelder "direkt" an die Hamas-Regierung transferieren, sondern über einen speziellen „Hamas-Umgehungs“-Mechanismus. Diese unnötige Maske wird auch bald fallen.

Was hat Israel von diesem Spiel gewonnen? Nichts. Es hat nur verloren. Die Bilder der Knappheit und des Elends sind Israel angekreidet worden – und das ist richtig so.Und wie sieht die Welt aus, wenn sie automatisch nach Israels Pfeife tanzt ? Abgesehen von weiteren Tausenden von Familien, die sich in den besetzten Gebieten dem Kreis der Armen angeschlossen haben, ist nichts bei dem unter Israels Anweisung von der Welt gespielten Katz und Mausspiel mit der gewählten Palästinensischen Regierung herausgekommen. Ein Nobelpreis, den ein Israeli kürzlich für die Spieltheorie erhalten hat, war sicher nicht für Spiele wie diese gedacht gewesen.

Jetzt benötigt die Welt für einen Augenblick eine Pause, um sich selbst zu fragen, wie kann so ein kleines Land sich selbst auf diese Weise so zum Gespött machen und Großmächte veranlassen, sich so dumm zu verhalten. Jeder, der die Entscheidung des Quartetts, die Hamas zu boykottieren, prüft, kann sich nur noch wundern, woher Israel die Macht bekommt, immer mehr Entscheidungen zu erpressen, die im Gegensatz zum internationalen Interesse liegen und im Grunde auch gegen seine eigenen. Die Welt, die nicht an einer humanitären Katastrophe in Rafah interessiert ist, hätte sofort die israelische Forderung, die Hilfsgelder nicht in die besetzten Gebiete zu transferieren, zurückweisen müssen, stattdessen wurde sie in diese Farce gezerrt, die noch nicht beendet ist. Wird Israels eingebildete diplomatische Stärke ihm langfristig helfen? Gewiss nicht. Der Tag wird kommen, dass die Welt der unnötigen Spiele überdrüssig wird, die Israel und die US-Macht mit ihr spielen.

Erinnern wir uns an zwei unabänderliche Wahrheiten: Zunächst einmal hat das palästinensische Volk die Hamas in demokratischen Wahlen gewählt., die auf die Initiative der USA und in Übereinstimmung mit Israel zustande kamen. Zweitens trägt der Staat Israel die Verantwortung für das Schicksal der besetzten Gebiete. Ihr wolltet Wahlen? Hamas wurde gewählt. Ihr wolltet die palästinensische Behörde unter der Führung der PLO kippen. Hier ist das Ergebnis. Ihr wollt Besatzung? Dann müsst ihr auch den Preis dafür zahlen. Es gibt keinen anderen Weg.

Die 165.000 Familien, deren schmales Einkommen von der palästinensischen Behörde kommt, mußten in den letzten beiden Monaten ohne Gehalt auskommen. In einer so armen und unsicheren Wirtschaft ist dies von enormer Bedeutung. Der größte Teil der 3,5 Millionen Palästinenser lebt in akuter wirtschaftlicher Not, zu der nun noch das Defizit, das mit dem Einfrieren der Hilfsgelder zusammenhängt, dazu kommt. In den besetzten Gebieten lebt ein Volk , das keine Möglichkeit hat, sich selbst zu unterstützen, da ihm alle Möglichkeiten verschlossen sind. Es hat keine Möglichkeit auf den Arbeitsmarkt Israels zu kommen, es hat keinen Seehafen, keinen Flughafen und Mengen von Absperrungen hindern es, sich zu bewegen. Es gibt keinen Ausweg.

Die Welt hat entschieden, indirekte Verantwortung für das zu übernehmen, was geschieht: Statt für ein Ende der Besatzung zu sorgen, gewährt sie lieber Hilfsgelder. Für die Fans der Besatzung in Israel ist dies eine sehr günstige und bequeme Lösung; darum ist es unmöglich zu verstehen, warum Israel versuchte, auch dies zu sabotieren. Warum ist das Transferieren des Geldes an die nicht korrupte Hamas nicht annehmbar – aber das Transferieren des Geldes an die korrupte Fatah annehmbar? Die Annahme, dass wirtschaftlicher Druck auf die PA zum Fall der gewählten Regierung führen soll, war eine verrückte Idee. Ein Druck dieser Art stärkt nur die Hamas und die Feindschaft gegenüber Israel. Es gibt keine "Hamas-Umgehungs-Straße". Das muß Israel anerkennen. Jeder diplomatische und wirtschaftliche Fortschritt wird forthin über das Hauptquartier der Bewegung gehen, die gewählt wurde, um zu regieren. Genau wie der wirtschaftliche Boykott nur ein paar Wochen gehalten wurde, wird auch der diplomatische nicht lange dauern. Schweden hat bereits zwei Vertreter von Hamas in seinem Land begrüßt, die andern europäischen Staaten werden folgen, die UN werden sich anschließen und Israels Zeit wird auch kommen, wenn auch schrecklich spät – und es wird die Hamas-Regierung anerkennen. Deshalb sollte man fragen: Warum damit warten? Die Lektion aus dem kurzlebigen wirtschaftlichen Boykott muss jetzt gelernt werden. Israel hat schon den Abu-Mazen-Zug versäumt. Er ist nun der palästinensische Shimon Peres: es ist zwar ganz nett mit ihm zu plaudern, aber was er sagt, hat keine Bedeutung mehr.

Doch trotz allem, nachdem Israel ein halbes Jahr für diplomatische Verhandlungen bestimmt hat, muss es nun sofort ein Treffen mit dem Vorsitzenden der Palästinensischen Behörde Mahmoud Abbas (Abu Mazen) initiieren, wenn er wirklich verhandeln will. Statt nach Washington und Kairo zu reisen, sollte Ministerpräsident Ehud Olmert zuerst nach Ramallah gehen.





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