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Sharons Vermächtnis

Die Dimension des geteilten Wortes

02.06.2006  


Tanya Reinhardt
Übersetzung Ellen Rohlfs




Zur Zeit scheint die westliche Welt sich noch unter der legendären Faszination Ariel Sharons zu befinden, der - so wird erzählt – eine riesige Veränderung in die israelische Politik gebracht haben soll: von Expansion und Besatzung zur Mäßigung und zu Konzessionen, einer Vision, die von seinem Nachfolger Ehud Olmert ausgeführt wird. Seit der Evakuierung der Siedlungen im Gaza-Streifen ist der westliche Standpunkt gewesen, daß Israel nun seinen Teil zur Beendigung der Besatzung getan habe und seine Bereitschaft erklärt habe, weitere Schritte zu tun – und nun seien die Palästinenser dran, zu zeigen, daß sie in der Lage sind, mit ihrem gutwilligen Nachbar zusammenzuleben.

Wie konnte es geschehen, daß Sharon, der brutalste, zynischste, rassistischste und manipulativste Führer, den Israel je hatte, seine politische Karriere als legendärer Friedensheld beendete? Die Antwort: ich bin davon überzeugt, daß Sharon sich nicht verändert hat. Es ist eher so, daß der Mythos, der um ihn herum aufgebaut wurde, die augenblickliche Omnipotenz des Propagandasystems widerspiegelt, das - nach Chomsky - eine Perfektion erreicht habe, das Bewußtsein der Öffentlichkeit zu manipulieren.

Das, was Sharon in den Augen der Welt verwandelt hat, war die Evakuierung der Siedlungen im Gaza-Streifen. Ich werde zu diesem Punkt zurückkommen und behaupten, daß Sharon sogar dies nicht aus freiem Willen tat, sondern weil er unter unerhörtem Druck von Seiten der USA stand. Auf jeden Fall machte Sharon von Anfang an klar, daß diese Evakuierung der Siedlungen nicht bedeutet, daß er Gaza aufgibt. Der Trennungsplan, der in israelischen Zeitungen (16.4.04) veröffentlicht wurde, setzte von vornherein fest, daß "Israel weiterhin die Grenzen des Landes einschließlich des Luftraumes über dem Gaza-Streifen überwachen und weiterhin militärische Aktivitäten im Küstenraum des Gaza-Streifens durchführen werde."

Werfen wir kurz einen Blick auf Sharons andere Leistungen.

Während der vier Jahre im Amt würgte Sharon jede Chance für Verhandlungen mit den Palästinensern ab:

2003 – während der Fahrplan-Phase – akzeptierten die Palästinenser den Plan und erklärten eine Feuerpause. Doch während die westliche Welt eine neue Ära des Friedens feierte, intensivierte die israelische Armee unter Sharon ihre Politik der gezielten Tötungen und schikanierte täglich die besetzten Palästinenser und erklärte schließlich einen umfassenden Krieg gegen die Hamas und tötete alle hochrangigen militärischen und politischen Führer.

Als die Welt später nach anderthalb Jahren Wartens auf den geplanten Gazarückzug wieder ihren Atem anhielt, tat Sharon alles, damit der palästinensische Führer Mahmoud Abbas, der im Januar 2005 gewählt wurde, ja keinen Erfolg hat. Sharon erklärte, daß Abbas kein passender Partner sei (weil er den Terror nicht bekämpfe) und lehnte alle Angebote, Verhandlungen neu aufzunehmen, ab.

Die tägliche Realität der Palästinenser in den besetzten Gebieten war bis dahin nie so schlimm wie in der Periode von Sharon.

In der West Bank begann Sharon ein massives Projekt der ethnischen Säuberung in den Randgebieten zu Israel. Sein Mauerprojekt nimmt den palästinensischen Dörfern in diesem Gebiet Land weg, riegelt ganze Städte ab und läßt die Menschen ohne Lebensunterhalt. Wenn das Projekt so weitergeht, werden viele der 400.000 Palästinenser davon betroffen sein, weggehen und sich in den Außenbezirken anderer Städte im Zentrum der West Bank eine Möglichkeit des Lebens suchen, wie es schon in der nördlichen West Bank-Stadt Qalqilia geschehen ist.

Die israelischen Siedlungen im Gaza-Streifen sind evakuiert worden, der Gaza-Streifen aber bleibt ein großes Gefängnis, vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten, nahe am Hungertod und vom israelischen Militär von der Land- und Meerseite her und aus der Luft terrorisiert.

Die Frage, die die israelischen politischen und militärischen Eliten so beschäftigte, seitdem sie 1967 die palästinensischen Gebiete erobert hatten, war: wie kann man ein Maximum des Landes mit einem Minimum der palestinensischen Bevölkerung behalten? Der Alon-Plan der Arbeitspartei, der in Oslo verwirklicht wurde, war: etwa 40 Prozent der West Bank zu behalten, den Palästinensern aber in den übrigen 60 Prozent Autonomie zu erlauben. Doch Sharon und Barak zerstörten die Oslo-Abkommen. Das Modell, das Israel unter Sharon entwickelte, ist nun ein komplexes System von Gefängnissen. Die Palästinenser werden in abgeschlossene Enklaven gestoßen, die von außen vollkommen von der israelischen Armee kontrolliert werden und die die Enklaven jederzeit betreten können. So weit ich weiß, ist diese Einkerkerung eines ganzen Volkes ein Präzedenzfall von Besetzung und dies wird mit einer erschreckenden Geschwindigkeit und Effizienz durchgeführt.

Gleichzeitig hat Sharon bis zur Vollkommenheit hin die "Produktion/Manipulation des Bewußtseins"(„manufacturing of consciousness“ - Chomsky) geschaffen, damit Krieg als unermüdliche Bemühung um den Frieden vermarktet werden kann. Er stellte unter Beweis, daß Israel die Palästinenser einsperren, sie aus der Luft bombardieren, ihr Land in der West Bank stehlen, jede Chance für Frieden zurückweisen - und trotzdem von der westlichen Welt als die friedliche Seite des Israel-Palästina-Konfliktes dargestellt werden kann.

Sharon hat sich nun aus dem politischen Leben zurückgezogen, aber dies allein bedeutet noch keinen Wandel. Sharons Vermächtnis lebt lebendig weiter. Er hatte über ein Jahrzehnt im israelischen Militär gewirkt, das praktisch der dominante Faktor in Israels Politik ist. Das Militär ist der stabilste, der gefährlichste und politischste Faktor in Israel. wie ein israelischer Analyst es schon 2001 feststellte: in den letzten sechs Jahren – seit Oktober 1995 – gab es "fünf Ministerpräsidenten und sechs Verteidigungsminister, aber nur zwei Generalstabschefs". Die israelischen militärischen und politischen Systeme waren immer eng miteinander verwoben mit Generälen, die von der Armee direkt in die Regierung wechselten. Der politische Status der Armee wurde während der Sharonperiode aber noch weiter verfestigt. Es wird immer wieder deutlich, daß die wirklichen Entscheidungen eher vom Militär als von den politischen Rängen gemacht werden. Die ranghohen Militärs instruieren die Presse (sie beanspruchen wenigstens die Hälfte des Nachrichten-Raums in den israelischen Medien und instruieren und gestalten die Nachrichten der ausländischen Diplomaten; sie gehen auf diplomatische Missionen ins Ausland, arbeiten politische Pläne für die Regierung aus und drücken ihre politischen Ansichten bei vielen Gelegenheiten aus).

Im Gegensatz zur militärischen Stabilität befindet sich das politische System Israels in einem Prozeß der Auflösung. In einem Bericht der Weltbank vom April 2005 wird Israel als eines der korruptesten und am wenigsten effektivsten der westlichen Welt hingestellt, gleich nach Italien im Regierungs-Korruptions-Index und zuunterst auf dem Index politischer Stabilität. Sharon persönlich war zusammen mit seinen Söhnen wegen schwerer Bestechung angeklagt worden, was aber nie richtig vor Gericht kam. Die neue von Sharon gegründete Kadima-Partei, die nun die Regierung anführt, ist ein hierarchisches Konglomerat von Individuen ohne Parteiinstitutionen und örtliche Ableger. Ihre am 22.November 2005 veröffentlichten Richtlinien machen es ihren Führern möglich, alle normalen demokratischen Prozesse zu umgehen und die Liste der Parteikandidaten fürs Parlament ohne Abstimmung zu bestimmen.

Die Arbeitspartei war unfähig, eine Alternative anzubieten. Bei den letzten beiden israelischen Wahlen, wählte die Arbeitspartei Tauben als Premierminister: Amram Mitzna (2003) und Amir Peretz (2006). Beide wurden anfangs mit großer Begeisterung empfangen, wurden aber von ihrer Partei und ihren Beratern und von sich selbst auferlegter Zensur sofort zum Schweigen gebracht, um sich selbst ins "Zentrum der politischen Landkarte" zu bringen. Bald konnte man ihr Programm nicht mehr von dem Sharons unterscheiden. Peretz erklärte sogar, daß er, was ausländische Angelegenheiten und die Sicherheit betreffen, genau wie Sharon oder wie Olmert handeln würde; nur bei sozialen Problemen würde er anders entscheiden. So helfen diese Kandidaten, die israelischen Wähler zu überzeugen, daß Sharons Weg der richtige war.

In den letzten Jahren gab es keine wesentliche Opposition von Seiten des linken Flügels gegenüber der Regierung Sharons und der Generäle, da sich die Arbeitspartei nach den Wahlen immer der Regierung angeschlossen hat und so den Generälen für die internationale Schau ein gemäßigtes Image abgab.

Mit dem Kollaps des politischen Systems, blieb die Armee die Institution, die Israels Politik gestaltet und ausführt, und wie es schon jetzt nach wenigen Monaten nach Sharons Amtsaufgabe deutlich wird, ist die Armee entschlossen, sein Vermächtnis zusammen mit Sharons Nachfolger Ehud Olmert auszuführen. Egal was Israel tut, es wird eine "schmerzhafte Konzession" sein. Genau jetzt erleben wir das Morgendämmern eines neuen "Friedensplans" – der von Olmert geliefert wird.

Olmert mag den Namen dieses Planes erfunden haben, aber das Urheberrecht gehört Sharon. Am 2. Januar 2006 – kurz bevor Sharon sein Amt verließ – machten die israelischen Zeitungen den Plan bekannt, den er für die West Bank darzustellen beabsichtigte. Der Plan beruhte auf der eventuellen Kenntnis der USA, daß der Fahrplan in eine Sackgasse führte und daß er praktisch schon immer ein Reinfall war, vorausgesetzt daß (nach israelisch offizieller Version) es niemals einen ernsthaften Partner für den Frieden gegeben hat.. Dies war noch vor den palästinensischen Wahlen, die Hamas zur Macht brachten. Aber aus Israels Perspektive war die palästinensische Führung nie ein geeigneter Partner. Sharon behauptet, daß die PA unter Abbas ihre Verpflichtung, das Terrornetzwerk zu bekämpfen, verfehlt habe. In Abwesenheit eines passenden Partners sollte Israel die Grenzen einseitig ziehen – das heißt selbst entscheiden, wieviel palästinensisches Land es nehmen soll und sich vom Rest zu trennen. Nach diesem Plan sollten Verhandlungen mit den USA zu einem "unterzeichneten Abkommen mit Washington führen, das die östlichen Grenzen Israels bestimmt." Das amerikanisch-israelische Abkommen wird die "schnelle Fertigstellung des Zaunes/Mauer einschließen, der/die dann die wirkliche Grenze werden wird".

Am Vorabend der israelischen Wahlen veröffentlichte er den Plan, der später der offizielle Plan der neuen israelischen Regierung unter dem Namen Konsolidierung beziehungsweise Konvergenz wurde. Er betonte, daß Israels neue Grenze mit dem Verlauf der Mauer übereinstimmen würde, die noch vor dem Rückzug (aus einigen kleinen Siedlungen) fertig gestellt werden wird. Um diesen Plan zu verwirklichen, würde die Mauer noch weiter nach Osten als ihre gegenwärtige Route gesetzt werden und Olmert ist deutlich beim Skizzieren seiner Ansichten der endgültigen Grenzfestsetzung. Er will absichern, daß "Israel an den großen Siedlungsblöcken von Ariel und Maaleh Adumim, dem Jerusalemumschlag und Gush Etzion" festhält, wie auch an der Errichtung israelischer Kontrolle über dem Jordantal. Ein Blick auf die Karte macht deutlich, daß die Gebiete, die Israel einseitig nach diesem Plan annektiert, etwa 40 Prozent der West Bank betragen.

Olmert glaubt, daß die Umstände gerade günstig sind, um solch eine Lösung den Palästinensern aufzwingen zu können; denn nach dem Sieg der Hamas wird aller Welt deutlich sein, daß es tatsächlich keinen palästinensischen Partner für Friedensverhandlungen gibt. Er sagte: "Nun – im Zusammenhang mit Hamas' Aufstieg zur Macht gibt es eine günstige Gelegenheit, um ein internationales Abkommen zur Festsetzung der Grenzen zu bekommen ..."

Auf Erklärungsebene schließt der Plan eine mögliche Evakuierung der Siedlungen östlich der neuen Grenze ein. Jedoch gibt es anders als beim Abzug aus dem Gaza-Streifen keinen Zeitplan für diese beabsichtigte Evakuierung und es wurde keine Liste der zu evakuierenden Siedlungen veröffentlicht. Auf jeden Fall lautet der Plan – sollte die Evakuierung wirklich stattfinden – daß die palästinensischen Enklaven unter voller israelischer Kontrolle bleiben, wie im Gaza-Streifen. Olmert war bei der öffentlichen Ankündigung seines Planes sehr deutlich. Die Vorkehrungen nach der Evakuierung wird "den israelischen Verteidigungskräften die Aktionsfreiheit in der West Bank" geben, ähnlich denen im Gaza-Streifen nach der Evakuierung.

Olmerts Plan ist es, Sharons Vermächtnis in die Realität umzusetzen: 40 Prozent der West Bank zu annektieren und das Gaza-Modell eines Gefängnisses auf die übrigen palästinensischen Enklaven auszudehnen. Aber Olmert ist Israels neuer Mann des Friedens.

Das werden schwierige Zeiten, in denen Sharons Vermächtnis zu siegen scheint – ohne die Schranken des internationalen Gesetzes oder der Gerechtigkeit - auf seinem Weg der Zerstörung.

Vor weniger als zwei Jahren, am 9.Juli 2004, gab der Internationale Gerichtshof in Den Haag ein Rechtsgutachten heraus "über die rechtliche Konsequenz des Mauerbaus in den besetzten Gebieten". Der Gerichtshof befand, daß der augenblickliche Mauerverlauf eine ernsthafte Verletzung des internationalen Rechtes sei. In Israel hat man sich sehr darüber aufgeregt. Im August 2004 präsentierte der Oberstaatsanwalt Mazuz der Regierung einen Bericht: "Man kann sich kaum die negativen Auswirkungen durch das Rechtsgutachten des ICJ auf verschiedenen Ebenen in Israel vorstellen, auch zu Dingen, die nichts mit der Trennungsmauer zu tun haben. Die Entscheidung schafft für Israel auf internationaler Ebene eine politische Realität, die zu beschleunigten Aktionen gegen Israel in internationalen Foren benützt werden könnten – ja, bis zu dem Punkt, daß sie zu Sanktionen führen."

Israel beeilte sich, klarzustellen, daß die Mauer nur eine vorübergehende Sicherheitsbarriere sei, die auf keine Weise neue Fakten schaffen würde. In der augenblicklichen politischen Atmosphäre erklärt Israel jedoch, es beabsichtige, diese Mauer zur Grenze zu machen - und keine europäische Regierung reagiert erstaunt...

Vor einem Jahr feierte die westliche Welt die Morgendämmerung der Demokratie im Nahen Osten. Nach Arafats Hinscheiden waren die Palästinenser mit einer reellen Wahlkampagne beschäftigt. Hamas erklärte, an den Wahlen teilzunehmen, vom bewaffneten Kampf Abstand zu nehmen und auf politischer Ebene mitzuarbeiten. Man könnte denken, daß dies nach Jahren des Blutvergießens als ermutigende, positive Entwicklung angesehen werden kann. Tatsächlich bestand die USA darauf, daß - trotz Israels Opposition - diese Wahlen stattfinden. Aber leider haben die Palästinenser die falsche Partei gewählt. Es erscheint der westlichen Welt nun ganz normal, das palästinensische Volk für sein falsches Verständnis von Demokratie kollektiv strafen zu müssen. Die USA diktiert und Europa stimmt darin überein, daß den Palästinensern alle finanzielle Hilfe gestrichen wird und lässt sie nahe am Hungertod und Zusammenbruch der Infrastruktur und des Gesundheitssystems.

Trotzdem waren die letzten Jahre nicht nur Jahre des Sieges für Israels Ausdehnung. Aus der Perspektive der Bewahrung der israelischen Besatzung der West Bank war die Aufgabe der Siedlungen im Gaza-Streifen eine Niederlage.

Es wurde in kritischen Kreisen gesagt, daß Sharon wegen zu hoher Kosten entschieden habe, den Gaza-Streifen aufzugeben und er sich auf die Ausdehnung der Siedlungen in der West-Bank konzentrieren wolle. Aber dafür gibt es keine wirklichen Beweise.

Natürlich war die Besatzung des Gaza-Streifens immer teuer. Und selbst aus der Perspektive der engagiertesten israelischen Expansionisten braucht Israel dieses Land nicht, eines der am dichtesten bevölkerten Gebiete der Erde, das keinerlei natürliche Ressourcen hat. Das Problem liegt woanders: man kann den Gaza-Streifen nicht freigeben, wenn man die West Bank halten will. Ein Drittel der besetzten Palästinenser lebt im Gaza-Streifen. Wenn man denen die Freiheit gibt, werden sie zum Zentrum des palästinensischen Freiheitskampfes mit freiem Zugang zur westlichen und arabischen Welt. Um die West Bank zu kontrollieren, muß Israel den Gaza-Streifen auch festhalten. Wenn erst einmal klar ist, daß der Gaza-Streifen besetzt und kontrolliert werden muß, dann war das vorherige Modell der Besatzung die beste Wahl...die Kontrolle von außen mag zwar billiger sein, aber auf die Dauer gesehen wird sie keinen Erfolg garantieren.

Seit den Oslo-Jahren begriff man die Siedlungen außerdem auf lokaler wie internationaler Ebene als ein tragisches Problem, das trotz Israels guten Absichten nicht gelöst werden kann. Dieser zweckvolle Mythos wurde mit der Evakuierung der Gaza-Siedlungen gebrochen, die zeigte, wie einfach es ist, die Siedlungen zu evakuieren, und wie groß die Unterstützung in der israelischen Gesellschaft dafür ist.

Auch wenn ich hier nicht in die Details gehen kann, behaupte ich in (meinem Buch) "Das Erbe Sharons", daß Sharon die Evakuierung nicht aus freien Stücken tat, sondern weil er gezwungen worden war. Auf der Höhe des internationalen Drucks, der nach der Sabotage des Fahrplans und dem Mauerbau folgte, braute Sharon seinen Trennungsplan, um Zeit zu gewinnen. Zu jedem Zeitpunkt während der Ausführung suchte er nach Wegen, um sich aus der Verpflichtung herauszustehlen, so wie er es mit allen Verpflichtungen früher getan hat. Aber diesmal war er von der Bushregierung gezwungen, sie auszuführen.

Obwohl dies vollkommen geheimgehalten wurde, war der Druck massiv, einschließlich militärischer Sanktionen. Der offizielle Vorwand für Sanktionen war Israels Waffenverkauf an China. Bei früheren Gelegenheiten, war die Krise vorbei, wenn Israel den Deal zurückgenommen hat. Dieses Mal waren die Sanktionen beispiellos und dauerten bis zur Unterzeichnung eines Abkommens im November 2005.

Die Geschichte der Evakuierung aus dem Gaza-Streifen zeigt, daß internationaler Druck Israel zu Konzessionen zwingen kann. Ich behaupte (in "Das Erbe Sharons"), daß die Ursache für den ausgeübten Druck der USA auf Israel – das erste Mal in der Geschichte der letzten Zeit – darin lag, daß die USA immer tiefer in den Sumpf des Irak sanken. Es war unmöglich, die sich global verbreitende Unzufriedenheit über Israels Politik und die unerschütterliche Unterstützung derselben durch die USA zu ignorieren. (Zum Beispiel in einer umfassenden europäischen Volksbefragung sah die Mehrheit Israel als das Land an, das den Weltfrieden am meisten bedroht.) Die USA mußten auf die öffentliche Meinung reagieren.

Aus US-Perspektive war mit der Evakuierung der Siedlungen im Gaza-Streifen das Ziel der Befriedung des internationalen Druckes erreicht worden. Die westlichen Führer und Medien waren über die neue Entwicklung im Nahen Osten euphorisch. So lange wie die internationale Ruhe bewahrt bleibt, spielt das Leiden der Palästinenser in den Kalkulationen der USA keine Rolle. Die US-Regierung hatte "ihren Freunden in Europa und in der arabischen Welt klargemacht, daß Israel seinen Teil im ("Friedens"-) Prozeß erfüllt habe und es nun an der Zeit sei, Israel in Ruhe zu lassen und die Palästinenser ihren Teil dazu beitragen zu lassen."

Die Tatsache, daß Druck auf Israel – wenn auch nur für kurze Zeit – ausgeübt wurde, zeigt die Grenzen der Macht und der Propaganda. Trotz des scheinbaren Erfolges der Pro-Israel-Lobby, jegliche Kritik an Israels Politik im westlichen politischen Diskurs zum Schweigen zu bringen, hat der palästinensische Kampf um Gerechtigkeit das globale Gewissen erreicht. Dies beginnt beim palästinensischen Volk, das jahrelang die brutale Unterdrückung durch tägliche Standhaftigkeit und das Organisieren des Widerstandes durchgehalten und so die palästinensische Sache am Leben erhalten hat. Es ist etwas, was nicht alle unterdrückten Völker fertig gebracht haben. Es kämpft weiter mit internationalen Solidaritätsbewegungen, die ihre Leute in die besetzten Gebiete senden und zu Hause Mahnwachen halten, Professoren unterzeichnen Boykott-Petitionen, sie setzen sich selbst den täglichen Schikanen aus, ein paar mutige Journalisten bestehen darauf, die Wahrheit zu schreiben – auch gegen den Druck der sich sonst fügenden Medien und der Pro-Israel-Lobby. Oft scheint dieser Kampf sinnlos, doch hat es nun das globale Gewissen erreicht. Es ist dieses kollektive Gewissen, das schließlich die USA zwingt, Israel unter Druck zu setzen, einige – wenn auch begrenzte - Konzessionen zu machen. Die palästinensische Sache kann wohl eine Zeit lang auf Sparflamme gehalten werden – wie es im Augenblick geschieht – aber sie wird wieder an die Oberfläche kommen.





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