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Täglich 20 Stunden ohne Strom

Keine Kontrolle im Irak

19.06.2006  






Am Sonntag veröffentlichte die Washington Post einen als "sensibel" gekennzeichneten aktuellen Lagebericht der "US-Botschaft" im Irak, der einmal mehr die nach über drei Jahren der Besatzung noch immer katastrophale Lage in dem Land beschreibt.

Zwar kann letztlich nicht ausgeschlossen werden, daß es sich hier um eine "gezielte Indiskretion" handelt, dies scheint angesichts der beschriebenen katastrophalen Lage allerdings zumindest höchst unwahrscheinlich, widerspricht es doch grundlegend dem von den USA immer wieder angestrebten Bild der "Fortschritte" im Irak.

Das nur wenige Stunden vor dem Besuch des US-Präsidenten George W. Bush im Irak an das US-Außenministerium übersandte Dokument wurde von dem "US-Botschafter im Irak" Zalmay Khalilzad unterzeichnete. Es zeigt nicht nur, daß den Besatzern die Kontrolle im Irak zunehmend entgleitet, sondern auch, daß so grundlegende Dinge wie die Stromversorgung immer noch nicht wieder hergestellt wurde - was 1991 unter der Regierung Saddam Husseins nach dem ersten Krieg der USA gegen den Irak trotz der verhängten drastischen Sanktionen noch innerhalb weniger Monate gelang. Dies ist um so bemerkenswerter, als sich der Bericht allein auf den Großraum der irakischen Hauptstadt Baghdad, wo die "US-Botschaft" ihren Sitz hat, beschränkt. Dies läßt erahnen, wie die Lage in entfernten Landesteilen - sowohl was die ausgeübte Kontrolle als auch die Berichterstattung durch Journalisten angeht - ist.

"Beginnend im März und sich im Mai verstärkend, haben sich irakische Mitarbeiter in der Abteilung für öffentliche Angelegenheiten darüber beklagt, daß islamische und/oder milizionäre Gruppen sich negativ auf ihren Alltag auswirken. Bedrohungen wegen richtiger Kleidung und Benehmen haben überall zugenommen. Sie berichten auch, daß Stromausfälle und Benzinpreise ihre Lebensqualität verringert haben. Die Bedingungen sind zwar von Stadtteil zu Stadtteil unterschiedlich, aber selbst gehobene Stadtteile wie Mansur haben sich augenscheinlich verschlechtert", so die Einleitung des Berichts.

Insgesamt hat die Abteilung 9 irakische Angestellte. Zwei der drei Frauen haben demnach bereits über eine steigende Zahl von Drohungen seit Mitte Mai berichtet. Dabei sollen sie eigener Aussage zufolge genötigt werden, "islamische" Kleidung zu tragen und keine Mobiltelephone zu benutzen, da diese verdächtigt würden, bei der Führung unsittlicher Beziehungen zu Männern genutzt zu werden. Aber auch Männer berichteten Khalilzad zufolge, sie würden bedroht, wenn sie kurze Hosen oder Jeans trügen.

Während die Temperaturen in Baghdad bereits wieder bis an die 46 Grad Celsius heranreichen, bestätigten alle der Angestellten, daß in der letzten Maiwoche die Stromversorgung nur alle sieben Stunden für eine Stunde funktionierte, sie also nur rund 4 Stunden täglich Strom erhielten - und es so eben auch praktisch unmöglich ist, Klimaanlagen zu betreiben. Anfang Juni habe sich die Lage etwas verbessert. In dem Stadtteil Hai al-Shaab funktioniert die Stromversorgung nun rund 8 Stunden am Tag. Andererseits ist die Stromversorgung in dem Baghdader Zentralbezirk Bab al-Mu'atham einen Monat lang vollständig ausgefallen gewesen. Gegenden in der Nähe von Krankenhäusern, Parteizentralen und - natürlich - der "Grünen Zone", in der sich auch die "US-Botschaft" befindet, werden am besten versorgt. Einer der Mitarbeiter berichtete, eine Freundin wohne im gleichen Gebäude wie ein kürzlich ernannter "irakischer Minister". Innerhalb von 24 Stunden nach seiner Ernennung funktionierte die Stromversorgung in dem Gebäude rund um die Uhr.

Daher greifen die Menschen auf eine private Versorgung zurück. Eine Angestellte erhält für umgerechnet 50 US-Dollar für sechs Stunden täglich eine Stromstärke von 10 Ampère - angesichts eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens von 150 US-Dollar (120 Euro) ein immenser Betrag. Auch der Benzinpreis ist aufgrund der anhaltenden Knappheit auf dem Schwarzmarkt auf über 1.000 Irakische Dinar (0,67 US-Dollar beziehungsweise 0,53 Euro) gestiegen, während der offizielle Preis auf 250 Irakische Dinar festgesetzt worden ist.

Selbst die Bewachung der "Grünen Zone" entzieht sich anscheinend zunehmend der Kontrolle der Besatzer. Seit April berichten Mitarbeiter Khalilzad zufolge zunehmend, daß sich Wachen an den Kontrollposten der "Grünen Zone" zunehmend wie Milizen verhielten. Eine Mitarbeiterin berichtete demnach, eine Wache hätte bei einer Kontrolle ihre "Botschafts"-Plakette hochgehalten und lautstark "Botschaft" zu Passanten gesagt.

Wie gefährlich dies sein kannt, zeigt die Tatsache, daß von den neun Mitarbeitern nur vier Familienangehörige haben, die wissen, daß sie für die Besatzer arbeiten. Seit mindestens einem halben Jahr konnte kein irakischer Übersetzer mehr bewogen werden, bei Presseveranstaltungen vor die Kameras zu treten.

Seit kurzem werden Dokumente, die die Nachnamen von irakischen Mitarbeitern nennen, vernichtet, nachdem im März mehrere von ihnen angefragt hatten, welche Vorkehrungen zu ihrem Schutz für den Fall des Abzugs der USA aus dem Irak getroffen würden.

Auch die alltägliche Gewalt belastet die Menschen. Einer der irakischen Angestellten sagte, er nehme "jeden Abend" an einer Beerdigung teil.

Dies dürfte auch der Hauptgrund dafür sein, daß sich Gemeinschaften - vorrangig durch Glaubenszugehörigkeit definiert - zunehmend voneinander abschotten und "Fremde" argwöhnisch betrachten. Da die Besatzer und die von ihnen kontrollierten „irakischen Behörden“ nicht in der Lage sind, auf den Straßen Sicherheit zu garantieren - letztlich vielmehr der Hauptgrund für die Gewalt sind - verlassen sich die Menschen zunehmend auf "örtliche Anbieter" von Sicherheit, also Milizen. Dies ist allerdings nichts anderes als das zunehmende Vertrauen der Besatzer auf ausländische Söldner, wenn es um ihren Schutz geht.

Eine geregelte staatliche Ordnung ist ganz offensichtlich im Irak nicht vorhanden. Letztlich ist dies nur ein Spiegelbild der Lage in Afghanistan, wo die - ebenfalls von den USA kontrollierte - "afghanische Regierung" kaum Kontrolle über die Hauptstadt Kabul besitzt. Dies erklärt aber auch aus mehreren Gründen den anhaltenden Widerstand gegen die Besatzer. Einerseits sind mit derartigen Mißständen - die nebenbei bemerkt als Kriegsverbrechen der USA zu bezeichnen sind, da Besatzer gemäß der Genfer Konventionen für die Sicherheit und die Versorgung der Bevölkerung verantwortlich sind - konfrontierte Menschen zweifellos geneigt, sich dem Widerstand anzuschließen, andererseits fällt es dem Widerstand angesichts der kaum vorhandenen Kontrolle außerhalb Baghdads leicht, ihre Machtposition zu erhalten und auszubauen.





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