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Das eigentliche Ziel

Israels Krieg gegen Palästina und Libanon

16.07.2006  


Uri Avnery
Übersetzung Ellen Rohlfs




Das eigentliche Ziel ist es, das Regime im Libanon zu stürzen und eine Marionetten-Regierung einzusetzen.

Dies war das Ziel von Ariel Sharons Invasion des Libanons 1982. Es scheiterte. Aber Sharon und seine Schüler in der militärischen und politischen Führung haben dies nie wirklich aufgegeben.

Wie 1982 wurde auch die jetzige Operation in vollständiger Koordination mit den USA geplant und ausgeführt.

Wie damals gibt es keinen Zweifel, daß sie mit einem Teil der libanesischen Elite abgestimmt wird.

Das ist die Hauptsache. Alles andere ist Lärm und Propaganda.

Am Vorabend der Invasion von 1982 sagte der Außenminister der USA Alexander Haig zu Ariel Sharon, bevor die Invasion anfange, sei eine "klare Provokation", die von der Welt akzeptiert würde, notwendig.

Die Provokation fand tatsächlich statt – genau zum richtigen Zeitpunkt - als Abu-Nidals Terrorbande versuchte, den israelischen Botschafter in London zu ermorden. Dies hatte zwar keine Verbindung mit dem Libanon und noch weniger mit der PLO (der Feind Abu Nidals), aber es erfüllte seinen Zweck.

Dieses Mal ist die nötige Provokation durch die Gefangennahme zweier israelischer Soldaten durch die Hizb Allah geliefert worden. Jeder weiß, daß sie nicht anders als durch einen Gefangenenaustausch befreit werden können. Aber die große Militärkampagne, die seit Monaten vorbereitet war, wurde der israelischen und internationalen Öffentlichkeit als Rettungsmaßnahme verkauft.

(Seltsam genug geschah dasselbe zwei Wochen vorher im Gaza-Streifen. Hamas und seine Partner nahmen einen Soldaten gefangen, was dann die Rechtfertigung für eine massive Operation war, die seit langem vorbereitet war und deren Ziel es ist, die palästinensische Regierung zu zerstören.)

Das erklärte Ziel der Libanon-Operation ist es, die Hizb Allah von der Grenze zu vertreiben, um es ihr so unmöglich zu machen, weitere Soldaten gefangenzunehmen und Raketen auf israelische Städte abzufeuern. Die Invasion in den Gaza-Streifen zielt offiziell auch darauf ab, Sderot und Ashkelon aus der Reichweite der Qassams zu bringen.

Das erinnert an die "Operation Frieden für Galiläa" von 1982. Damals wurde der israelischen Öffentlichkeit und der Knesset erklärt, das Kriegziel sei, "die Katyushas 40 Kilometer von der Grenze wegzudrängen."

Das war eine bewußte Lüge. 11 Monate lang war vor dem Krieg keine einzige Katyusha-Rakete (noch ein einziger Schuß) über die Grenze abgefeuert worden. Von Anfang an war es das Ziel der Operation, Beirut zu erreichen und dort einen verräterischen Diktator zu installieren. Wie ich es mehr als einmal erzählt habe, hat mir Sharon selbst dies neun Monate vor dem Krieg erzählt und ich habe es damals entsprechend mit seinem Einverständnis veröffentlicht (aber ohne ihn direkt zu zitieren).

Natürlich hat die jetzige Operation auch mehrere sekundäre Ziele, zu denen nicht die Befreiung der Gefangenen gehört. Jeder weiß, daß dies nicht mit militärischen Mitteln erreicht werden kann. Aber wahrscheinlich ist es möglich, einige der tausende Raketen, die die Hizb Allah während der letzten Jahre angesammelt hat, zu zerstören. Für dieses Ziel sind die Armeechefs bereit, die Bewohner der israelischen Städte zu gefährden, die den Raketen ausgesetzt sind. Sie glauben, das lohne sich, wie ein Austausch von Schachfiguren.

Ein anderes sekundäres Ziel ist es, die "Abschreckungsmacht" der Armee wiederherzustellen Das ist ein Codewort für die Wiederherstellung des verletzten Stolzes der Armee, der durch die gewagten Militäraktionen der Hamas im Süden und der Hizb Allah im Norden schwer gelitten hat.

Offiziell verlangt die israelische Regierung, daß die Regierung des Libanon die Hizb Allah entwaffnet und sie aus dem Grenzgebiet entfernt.

Das ist unter der augenblicklichen Regierung, einem empfindlichen Gefüge ethno-religiöser Gemeinschaften, offensichtlich unmöglich. Die leichteste Erschütterung könnte das ganze Gebäude zum Einsturz bringen und den Staat in vollkommene Anarchie stürzen – besonders nachdem es den Amerikanern gelang, die syrische Armee zu vertreiben, das einzige Element, das jahrelang für einige Stabilität gesorgt hatte.

Die Idee, im Libanon einen Verräter zu installieren, ist nicht neu. 1955 schlug David Ben-Gurion vor, einen "christlichen Offizier" zu nehmen und ihn als Diktator einzusetzen. Moshe Sharet zeigte auf, daß diese Idee sich auf völlige Ignoranz der libanesischen Verhältnisse gründete und vereitelte sie. Aber 27 Jahre später versuchte Ariel Sharon dies trotzdem in die Tat umzusetzen. Bashir Gemayel wurde tatsächlich als Präsident installiert, nur um kurz darauf ermordet zu werden. Sein Bruder Amin folgte ihm und unterzeichnete mit Israel einen Friedensvertrag, wurde aber aus dem Amt vertrieben. (Genau dieser Bruder unterstützt jetzt öffentlich die israelische Operation).

Nun kalkuliert man, daß wenn die israelische Luftwaffe genügend schwere Schläge auf die libanesische Bevölkerung herabregnen läßt - dabei die See- und Flughäfen lahm legt, die Infrastruktur zerstört, Wohnviertel bombardiert, die Schnellstraße Beirut-Damaskus unterbricht und so weiter - dann würde die Öffentlichkeit auf die Hizb Allah wütend werden und die libanesische Regierung unter Druck setzen, daß sie Israels Forderungen erfüllt. Da die gegenwärtige Regierung nicht einmal davon träumen kann, dies zu tun, wird mit Israels Hilfe eine Diktatur errichtet.

Das ist militärische Logik. Ich habe meine Zweifel daran. Man kann annehmen, daß die meisten Libanesen wie alle anderen Menschen auf der Welt reagieren werden: mit Zorn und Haß auf die Invasoren. So geschah es 1982 als die Schiiten im Süden des Libanon – bis dahin so gefügig wie ein Fußabstreifer – sich gegen die israelischen Besatzer erhoben und die Hizb Allah gründeten, die die stärkste Kraft des Landes wurde. Wenn die libanesische Elite sich nun als Kollaborateure Israels erweisen sollte, wird sie von der Landkarte gefegt werden. (Übrigens: haben die Qassams und Katyushas die israelische Bevölkerung dazu gebracht, auf unsere Regierung Druck auszuüben, damit sie aufgibt? Im Gegenteil.)

Die amerikanische Politik ist voller Widersprüche. Präsident Bush wünscht im Mittleren Osten "Regimewechsel", aber die gegenwärtige libanesische Regierung ist auf Druck der Amerikaner eingerichtet worden. In der Zwischenzeit ist es Bush nur gelungen, den Irak zu zerbrechen und dort einen Bürgerkrieg zu verursachen, (wie hier vorausgesagt). Er könnte dasselbe im Libanon bekommen, wenn er nicht beizeiten die israelische Armee aufhält. Außerdem könnte ein vernichtender Schlag gegen die Hizb Allah nicht nur im Iran Wut auslösen, sondern auch unter den Schiiten im Irak, auf deren Unterstützung sich alle Pläne Bushs einer pro-amerikanischen Regierung gründen.

Wie lautet also die Antwort? Nicht zufällig hat die Hizb Allah den Soldaten-ergreifenden Angriff zu einem Zeitpunkt durchgeführt, als die Palästinenser um Beistand riefen. Die palästinensische Sache ist in der ganzen arabischen Welt populär. Indem sie ihnen zeigt, daß sie ein Freund in der Not sind, wenn alle anderen Araber so schmählich versagen, hofft die Hizb Allah ihre Popularität zu vergrößern. Wenn jetzt schon ein israelisch-palästinensisches Abkommen erreicht worden wäre, dann wäre die Hizb Allah nur mehr ein lokales libanesisches Phänomen, ohne Einfluß auf unsere Situation.

Weniger als drei Monate nach der Bildung der Olmert-Peretz-Regierung ist es ihr gelungen, Israel in einen Zwei-Fronten-Krieg zu stürzen, dessen Ziele unrealistisch und dessen Folgen unabsehbar sind.

Wenn Olmert hofft, als "Mister Macho-Macho", als ein 2. Sharon, angesehen zu werden, dann wird er enttäuscht werden. Dasselbe gilt für den verzweifelten Versuch von Peretz, als eindrucksvoller "Mister Sicherheit" ernstgenommen zu werden. Jedem ist klar, daß dieser Feldzug – im Gaza-Streifen wie auch im Libanon – von der Armee geplant und diktiert worden ist. Der Mann, der jetzt in Israel die Entscheidungen fällt, ist Dan Halutz. Nicht zufällig wurde die Aufgabe im Libanon der Luftwaffe zugeteilt.

Die israelische Öffentlichkeit ist vom Krieg nicht begeistert. Sie hat sich mit stoischem Fatalismus damit abgefunden, weil man ihr erzählt hat, es gäbe keine Alternative. Und, in der Tat, wer könnte gegen ihn sein? Wer möchte nicht die "entführten Soldaten" befreien?. Wer möchte nicht die Katyushas entfernen und die Abschreckung rehabilitieren? Kein Politiker wagt es, die Operation zu kritisieren (außer den arabischen Parlamentsmitgliedern, die von der jüdischen Öffentlichkeit ignoriert werden). In den Medien herrschen die Generäle - und nicht nur die in Uniform. Es gibt fast keinen früheren General, der nicht von den Medien eingeladen wird, um zu kommentieren, zu erklären und zu rechtfertigen – und alle sprechen mit einer Stimme.

(Als kleine Illustration: Israels beliebtester Fernsehsender lud mich zu einem Interview über den Krieg ein, nachdem bekanntgeworden war, daß ich an einer Anti-Kriegs-Demonstration teilgenommen hatte. Ich war ziemlich überrascht. Aber nicht lange – eine Stunde vor der Sendung, rief ein sich entschuldigender Talkshowmaster an und sagte, es hätte einen schrecklichen Fehler gegeben – in Wirklichkeit wollten sie Professor Shlomo Avinery, einen früheren Generaldirektor des Außenministeriums, auf den man sich verlassen kann, daß er jegliche Handlung der Regierung in abgehobener akademischer Sprache rechtfertigt, einladen.)

"Inter arma silent musae" - "wenn die Waffen sprechen, schweigen die Musen" heißt ein altes Sprichwort. Oder besser: Wenn die Kanonen donnern, hört das Gehirn auf zu arbeiten.

Nur noch ein kleiner Gedanke: Als der Staat Israel in der Mitte eines grausamen Krieges gegründet wurde, waren die Wände mit Plakaten zugepflastert, auf denen folgendes zu lesen war: "Das ganze Land – eine Front, das ganze Volk – eine Armee!"

Seitdem sind 58 Jahre vergangen, doch der Spruch ist noch genau so gültig wie damals. Was sagt das über die Generationen von Staatsmännern und Generälen aus?





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