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"Links, aber..."

Kriegsunterstützung durch israelische Linke

07.09.2006  


Uri Avnery
Übersetzung Ellen Rohlfs




Ich sah einmal in einem politischen Kabarett einen netten Sketch: auf der Bühne sprachen mehrere Leute in unzusammenhängenden Sätzen, die alle mit dem Wort "aber" endeten. Zum Beispiel "Einige meiner besten Freunde sind Juden, aber...", "Ich habe nichts gegen Schwarze, aber...", "Ich verabscheue wirklich Rassismus, aber...".

Während des letzten Krieges hörte ich häufig ähnliche Sätze: "Ich bin ein Linker, aber..." Diese Worte wurden ausnahmslos – aber ausnahmslos! – von einer rechten Erklärung gefolgt.

Es sieht so aus, als hätten wir eine ganze Gemeinschaft von "Links, aber"-Leuten , die die Vernichtung ganzer libanesischer Dörfer, die Verwandlung des Libanon in einen Trümmerhaufen, die Zerstörung der Häuser über den Köpfen der Bewohner jedes Hauses vorschlagen, in dem sich Hassan Nasrallah aufhält (oder auch nicht). Und wenn wir gerade dabei sind: auch den Gaza-Streifen von der Erdoberfläche verschwinden zu lassen.

Wenn ich solchen Sätzen am Fernseher, im Radio oder in der Zeitung begegne, bin ich manchmal versucht, zu beten: Lieber Gott, gib mir ehrliche Faschisten statt dieser "Links, aber"-Leute.

Während man den 2. Libanonkrieg analysiert, ist es unmöglich, die Rolle zu ignorieren, die die Linken – mit oder ohne Anführungszeichen - während des Krieges gespielt haben.

Vorgestern sah ich im Fernsehen ein Interview mit dem Dramatiker Joshua Sobol, einer liebenswürdigen Person, bekannt als echter Linker. Er erklärte, daß uns dieser Krieg bedeutende Vorteile gebracht habe, und sang ein Loblied auf den Verteidigungsminister Amir Peretz.

Sobol ist keine Ausnahme. Als die Regierung diesen Krieg begann, wurde sie von einer eindrucksvollen Reihe Schriftsteller unterstützt. Amos Oz, A.B.Yehoshua und David Grossman, die regelmäßig als politisches Trio erscheinen, unterstützten wieder gemeinsam die Regierung und nutzten ihre beträchtlichen verbalen Talente, um den Krieg zu rechtfertigen. Das genügte ihnen aber noch nicht: einige Tage nach Beginn des Krieges veröffentlichten die drei gemeinsam eine Anzeige in den Zeitungen, in der sie ihre Unterstützung des Krieges begeistert zum Ausdruck brachten.

Ihre Unterstützung war nicht nur passiv. Amos Oz, ein Schriftsteller mit großem literarischem Prestige weltweit, schrieb einen Artikel zugunsten des Krieges, der in mehreren bedeutenden ausländischen Zeitungen erschien. Ich würde mich nicht wundern, wenn ihm "jemand" bei der Verbreitung geholfen hat. Auch seine beiden Kollegen waren aktiv dabei, den Krieg zu propagieren, zusammen mit vielen anderen Schriftstellern wie Yoram Kaniuk, verschiedenen Künstlern und Intellektuellen – echten oder eingebildeten. Alle leisteten freiwillig Propagandadienste, ohne auf einen Marschbefehl zu warten.

Ich bezweifle, daß der Krieg ohne diese massive Unterstützung der "Links, aber"-Leute solche monströsen Ausmaße angenommen hätte. Sie ermöglichten erst eine so allseitige Zustimmung, die die Proteste des unbeirrbaren Friedenslagers ignorierte. Dieser Konsens riß die Meretz-Partei mit sich, deren Guru Amos Oz ist, und auch Peace Now, bei deren Massen-Demonstrationen Amos Oz der Hauptredner zu sein pflegte (als sie noch fähig war, Massen-Demonstrationen auf die Beine zu stellen).

Einige Leute geben jetzt vor, daß diese Gruppe wirklich gegen den Krieg war. Nämlich: Einige Tage vor Kriegsende veröffentlichten sie wieder eine gemeinsame Anzeige, in der sie diesmal zu einem Ende des Krieges aufriefen. Zur selben Zeit änderten auch Meretz und Peace Now ihren Kurs. Aber nicht einer von ihnen entschuldigte sich oder zeigte Reue über seine vorherige Unterstützung des Tötens und der Zerstörung. Ihre neue Position war: der Krieg war tatsächlich sehr war, aber nun sei die Zeit gekommen, ihn zu beenden.

Welche Logik hat diese Position?

Zu dem Angriff entschied sich die Regierung als scheinbare Antwort auf die Aktion der Hizb Allah, die zwei israelische Soldaten auf der israelischen Seite der Grenze gefangennahm und einen Austausch mit libanesischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen vorschlug. Bei dieser Aktion wurden mehrere Kameraden der gefangenen Soldaten getötet und einige andere Soldaten starben, als ihr Panzer während der Verfolgung auf der libanesischen Seite der Grenze auf eine Mine fuhr.

Die israelische Öffentlichkeit reagierte natürlich mit Wut und rief nach Rache. Aber von Intellektuellen, besonders von "Linken", häte man erwartet, daß sie einen kühlen Kopf bewahren, sogar - und vielleicht besonders - in Zeiten, die emotional aufgeladen sind. Unter ähnlichen Umständen hat sogar Ariel Sharon extreme Reaktionen vermieden und war mit einem Gefangenenaustausch einverstanden.

Diejenigen, die nicht den Mut dazu hatten ("oz" bedeutet im Hebräischen Stärke und Mut), und diejenigen, die wirklich glaubten, die Aktion der Hizb Allah müsse mit einer starken Reaktion erwidert werden, hätten eine begrenzte militärische Vergeltungsmaßnahme rechtfertigen können. An jenem Tag war es legitim, sich denen anzuschließen, die eine vernünftige Reaktion verlangten. Aber schon nach 48 Stunden war klar, daß es sich nicht um eine maßvolle, sondern eine massive Reaktion handelte. Es ging nicht darum, der Hizb Allah und dem ganzen libanesischen Volk "eine Botschaft zu senden", daß solch eine Provokation nicht unbestraft bleiben würde. Sie hatte ganz andere Ziele.

Am zweiten oder dritten Kriegstag war schon jeder denkenden Person – und rühmen sich nicht Intellektuelle, genau das zu sein? – ziemlich klar, daß dies ein wirklicher Krieg war, der weit über das Problem der beiden gefangengenommenen Soldaten hinausging. Das systematische Bombardement der libanesischen Infrastruktur bezeugte, daß der Krieg lange im voraus geplant worden war und daß es sein Ziel war, die Hizb Allah zu vernichten und die politischen Realitäten im Libanon zu verändern. Dazu brauchte man nur den Erklärungen von Olmert, Peretz und Halutz zuzuhören.

Das war der wirkliche Test der Intellektuellen. Man kann ihnen ihre erste Reaktion verzeihen. Man könnte sagen, sie wären mitgerissen worden, wie es Leuten bei Beginn eines Krieges oft geschieht. Man könnte sagen, sie hätten den Zusammenhang nicht verstanden (eine schreckliche Anklage, wenn sie gegenüber Intellektuellen gemacht wird). Aber vom dritten Tag an gelten solche Rechtfertigungen und Entschuldigungen nicht mehr.

Die Armeechefs verbargen die schreckliche Zerstörung, die sie im Libanon anrichteten, nicht – im Gegenteil, sie prahlten damit. Es war klar, daß Hunderttausenden entsetzliches Leid zugefügt wurde, daß Zivilisten in großer Zahl getötet wurden und daß viele, viele all ihr Hab und Gut in den Dörfern und Städten, die systematisch zerstört worden waren, verloren. Gleichzeitig wurde der Bevölkerung im Norden Israels schweres Leid zugefügt.

Wie konnten Schriftsteller mit Gewissen, noch dazu Linke mit humaner Einstellung, sich ruhig verhalten, wenn solche Greueltaten begangen wurden? Wie konnten sie der Propagandamaschinerie des Krieges weiterhin dienen?

Die Schriftsteller konnten zwar nicht wissen, daß die Armeechefs der Regierung schon am sechsten Kriegstag mitgeteilt hatten, die erreichbaren Kriegsziele seien erreicht worden und mehr könne nicht erreicht werden, (wie die Rückkehr der Gefangenen, die Entwaffnung der Hizb Allah und so weiter). Mit anderen Worten, daß es sogar von einem rein militärischen Standpunkt aus keinen Grund, mit dem Schrecken fortzufahren; trotzdem ging er dann noch 27 Tage und Nächte weiter. Wenn jedoch irgendein Protest, selbst ein schwacher, von Seiten der Schriftsteller gehört worden wäre, hätte dies die politischen und militärischen Führer dahin bringen können, noch einmal nachzudenken. Aber solch einen Protest gab es nicht.

Als die Schriftsteller endlich in der 5. (fünften!) Woche aufwachten und seine Beendigung forderten, war es zu spät. Sie wurden nicht mehr gebraucht. Die schwerfällige UN war schon darum bemüht, das Ende der Feindlichkeiten zu erreichen.

Ein tragisches Ereignis des Krieges war der Tod von David Grossmans Sohn Uri in den letzten Stunden des Krieges.

Wie kam es, daß sich die "Links, aber"-Leute so verhalten haben?

Man könnte oberflächliche Gründe finden. Es ist für Linke sehr schwierig, sich gegen eine Regierung zu erheben, in der die Arbeitspartei eine wichtige Rolle spielt. Das traf auch im Jahr 2000 zu, als der Arbeitsparteiführer Ehud Barak den Camp David-Gipfel zu Fall brachte und mit dem fatalen Spruch zurückkehrte: „Wir haben keinen Partner! Es gibt niemanden, mit dem wir reden können!“

Das traf aber nicht für den 1. Libanonkrieg 1982 zu, als der Likud an der Macht war. Weil sogar damals die „Links, aber“-Leute unter der Führung von Shimon Peres und Yitzhak Rabin den Krieg unterstützten. Während der Belagerung von Beirut war Rabin Gast bei Sharon und schlug auf den Ruinen stehend vor, die Bevölkerung im belagerten Westteil der Stadt (wo ich mich mit zur gleichen Zeit mit Yasser Arafat traf) von der Versorgung mit Wasser und Medikamenten abzuschneiden. Erst nach der dritten Kriegswoche schloß sich Peace Now dem Protest an.

Nach dem Sabra- und Shatila-Massaker rief Peace Now zu der Protestdemonstration auf, auf der seitdem ihr guter Ruf beruht - die Demonstration mit den legendären 400.000 Demonstranten. Das waren der Höhepunkt ihres Erfolges und der Anfang des Unterganges. Denn um die Dimensionen der Demonstration sicher zu stellen, schloß Peace Now einen Pakt - nicht mit dem Teufel, aber mit der Heuchelei. Für die Hilfe der Arbeitspartei luden sie Peres und Rabin als Hauptredner ein - obwohl sich am Vorabend des Krieges die beiden mit Menachem Begin getroffen und öffentlich von ihm gefordert hatten, in den Libanon einzufallen.

Es gibt aber noch tiefergehende Gründe für das Benehmen der "Links, aber"-Leute in Kriegszeiten.

Seit der Gründung der jüdischen Arbeiterbewegung im Land litt die Linke an inneren Widersprüchen: sie war sowohl sozialistisch als auch nationalistisch. Von den beiden Komponenten war der Nationalismus weit wichtiger. Deshalb gründete sich die Mitgliedschaft im Gewerkschaftsbund (Histadrut) auf einer streng nationalen Klassifizierung: keinem einzigen Araber war es erlaubt, Mitglied in der Körperschaft zu werden, deren offizieller Name "Die Organisation der hebräischen Arbeiter in Erez-Israel" war. Erst Jahre nach der Gründung des Staates Israel war es Arabern gestattet, Mitglied zu werden.

Eine der wichtigsten Aufgaben der Histadrut war es, mit allen Mitteln, einschließlich Gewalt, zu verhindern, daß Araber jüdische Arbeitsplätze einnahmen. Dafür wurde Blut vergossen.

Das trifft auch für die ruhmreichste aller sozialistischen Schöpfungen zu: den Kibbuz. Keinem Araber wurde es je gestattet, Mitglied zu werden. Das war kein Zufall: die Kibbuzzim sahen sich nicht nur als Realisierung eines sozialistischen Traumes, aber auch als Festungen des jüdischen Kampfes um das Land. Die Schaffung eines neuen Kibbuz', wie Hanita an der libanesischen Grenze 1938, wurde wie ein nationaler Sieg gefeiert.

Der am weitesten linke Teil der Kibbuz-Bewegung, Hashomer Haza’ir, (die Basis der ehemaligen Mapam-Partei, jetzt Meretz) hatte einen offiziellen Wahlspruch: „Für Zionismus, Sozialismus und die Brüderlichkeit der Völker“. Die Reihenfolge war auch nicht zufällig: sie drückte die wahren Prioritäten aus. Hashomer Haza’ir verehrte tatsächlich Stalin, „die Sonne der Völker“, bis zu seinem Tod, aber ihre wichtigsten Schöpfungen waren die Siedlungen, gewöhnlich auf Land, das reichen Landbesitzern abgekauft worden war, nachdem die Fellachen, die dieses Land seit Generationen bearbeitet hatten, vertrieben worden waren. Nach der Gründung Israels wurden die Hashomer Haza’ir Kibbuzim auf dem Land der Flüchtlinge oder auf dem enteigneten Land arabischer Bürger Israels gebaut. Der Kibbuz Bar’am liegt auf dem Land des Dorfes Bir’am, aus dem die arabische Bevölkerung nach den Kämpfen 1948 vertrieben worden war. Viel Zionismus, sehr wenig Brüderlichkeit der Völker.

Bei jedem wirklichen Test wird dieser innere Widerspruch der "zionistischen Linken" (wie sie sich gerne selbst nennen) deutlich. Das ist die Wurzel der gespaltenen Persönlichkeit der "Links, aber"-Leute.

Wenn die Kanonen donnern und die Flaggen gehißt werden, dann stehen die "Linken, aber" in Hab-acht-Stellung und salutieren.





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