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Gefoltert und entrechtet

Gefangene des US-Militärs im Irak

19.12.2006  






Ein Artikel der New York Times vom Montag beleuchtet einmal mehr, wie es um die "Demokratisierung" des Iraks - hierzu gehört ohne jeden Zweifel auch Rechtsstaatlichkeit - bestellt ist. Ein US-Staatsbürger ist demnach im April dieses Jahres von US-Soldaten gefangengenommen und erst über drei Monate später wieder freigelassen worden. In dieser Zeit war er praktisch völlig rechtlos und wurde gefoltert.

Der 29 Jahre alte Donald Vance, ein früherer Soldat der US-Marine, war im Jahr 2004 als "Sicherheits-Auftragnehmer" - also als Söldner - in den Irak gekommen. Nachdem er anfangs für ein US-Unternehmen arbeitete, wechselte er später zu einem kleinen irakischen Unternehmen, wo "die Dinge mir langsam seltsam vorkamen", so Vance. So stellte das Unternehmen seiner Aussage zufolge beispielsweise Mitglieder irakischer Milizen als Wachen für "amerikanische Wiederaufbau-Unternehmen" ein, die von den Unternehmen abgelehnt wurden. Auch sammelte das Unternehmen eine wachsende Menge Waffen an, die auch an "verdächtige" Kunden verkauft wurden, darunter regelmäßig auch Beamte des "irakischen" Innenministeriums, das wiederum Verbindungen zu Milizen und Todesschwadronen hatte, so Vance weiter.

Bei einem Urlaub in Chicago im Oktober 2005 nahm Vance dann schließlich Kontakt zum FBI auf. Ein Agent des FBI traf sich zwei Mal mit ihm und Vance berichtete ab dem Zeitpunkt wöchentlich per Telephon und E-Mail an den Agenten. "Es war 'He, ich habe dies und jenes gehört und gesehen.' Ich wollte helfen", sagte Vance. Ein nicht namentlich genannter Regierungsbeamter, der mit der Abmachung vertraut war, bestätigte Vances Aussagen.

Im April dieses Jahres fühlten sich Vance und Nathan Ertel, ein weiterer bei dem irakischen Unternehmen beschäftigter US-Bürger, Vance zufolge zunehmend "unwohl". Ertel kündigte und Mitarbeiter des Unternehmens nahmen beiden Männern daraufhin die Ausweispapiere ab, die sie brauchten, um sich im Irak zu bewegen oder das Land zu verlassen. Am 15. April rief Vance in der US-"Botschaft" in Baghdad an, da er sich bedroht fühlte, woraufhin US-Soldaten das Unternehmen durchsuchten. Vance und Ertel verbrachten die Nacht dann in der US-"Botschaft", bis sie kurz vor Morgengrauen geweckt, mit Kabelbindern gefesselt und ihnen zugeklebte Schutzbrillen aufgesetzt wurden. Nachdem sie in einem Humvee verfrachtet worden waren, bat Vance um eine Schutzweste und einen Helm, was abgelehnt wurde. Angesichts der großen Zahl von Angriffen auf US-Soldaten insbesondere auch in Baghdad und der langen Fahrt von der "Grünen Zone" im Herzen Baghdads bis zum Gefangenenlager "Camp Cropper" bei dem Internationalen Flughafen scheint Vances Bitte nach Schutzkleidung sicherlich verständlich. Die Soldaten nahmen also ganz bewußt in Kauf, daß die beiden Gefangenen bei einem Angriff getötet oder schwer verletzt würden.

Erst einige Tage später wurde ihnen mitgeteilt, warum sie gefangengenommen worden waren.

"Sie wurden aus folgenden Gründen verhaftet: Sie arbeiten für ein Unternehmen, das ein oder mehrere große Waffenlager auf seinem Gelände besaß und in die mögliche Verteilung dieser Waffen an Rebellen-Terroristen-Gruppen verwickelt sein könnte", so Ertels Inhaftierungsmitteilung.

Schon direkt, als er in seine Zelle gebracht wurde, forderte Vance - der Gefangene 200343 - einen Anwalt. "Sie nahmen mir die Augenbinde und Ohrenschützer ab und befahlen mir, in einer Ecke zu stehen, wo sie die Kabelbinder durchschnitten und mir befahlen, geradeaus zu blicken und während ich dies tue, frage ich nach einem Anwalt", erinnerte sich Vance. "'Ich will jetzt einen Anwalt', sagte ich und sie sagten 'Jemand wird zu dir kommen.'"

Stattdessen begann eine tägliche Routine. Zum Frühstück Brot und ein Getränk aus Getränkepulver, manchmal noch ein Stück Obst dazu, mittags und abends Reis und Hühnchen und immer wieder Verhöre, zu denen sie an Händen und Füßen gefesselt, mit verbundenen Augen und Tüchern über den Köpfen in Rollstühlen gefahren wurden. Dabei wurden sie von einer ganzen Reihe von Personen verhört, die sich als Mitarbeiter von FBI, CIA, Naval CIS und DIA bezeichneten.

Beide Männer versuchten, in ihren drei mal drei Meter großen Zellen in ihren "Betten" - Betonsockel, auf denen jeweils eine durchgelegene Schaumstoffmatratze lag - zu schlafen, was allerdings seitens der US-Soldaten versucht wurde, zu verhindern. Zu diesem Zweck wurde das Licht in den Zellen niemals abgeschaltet. Die meiste Zeit war auf dem Korridor laute Heavy Metal- und Country-Musik zu hören. Vance wurde eigener Aussage zufolge sogar daran gehindert, sein Gesicht vor dem Licht, dem Lärm und der Kälte - er schätzte die Temperatur in seiner Zelle auf etwa 10 Grad Celsius - abzuschirmen. Um überhaupt schlafen zu können, sei er in seiner Zelle herumgerannt, bis er nicht mehr konnte, so Vance. Als er schließlich nach 97 Tagen freigelassen wurde, war er erschöpft, hatte Depressionen und war verängstigt - typische Symptome eines fortgesetzten Schlafentzugs.

Oberleutnant Lea Ann Fracasso, eine Sprecherin des Pentagons, sagte, es sei Ertel und Vance nur deshalb gestattet worden, an ihren Anhörungen teilzunehmen, weil sie US-Bürger sind. Alle anderen Fälle werden in Abwesenheit der Gefangenen entschieden. In keinem Fall seien aber Verteidiger zugelassen.

Bei den Anhörungen saßen eine Frau und zwei Männer in Armeeuniformen aber ohne jeglichen Rangabzeichen oder gar Namen an einem Tisch mit zwei Dokumentenstapeln. Der eine Stapel war etwa drei Zentimeter hoch und es wurde Ertel und Vance gestattet, einige der Dokumente zu sehen. Der andere Stapel war weitaus höher, hierbei handelte es sich vorgeblich um "Beweismaterial", das sie nicht ansehen durften.

Vance sagte, er flehte das Komitee an, seinen Laptop und sein Mobiltelephon zu untersuchen, um seine Kommunikation mit dem FBI zu belegen. Beide Anhörungen dauerten etwa zwei Stunden und die Männer sahen das Komitee nie wieder.

"Am Ende war meine erste Frage 'Weiß meine Familie, daß ich am Leben bin?' und der Vorsitzende sagte 'Ich weiß es nicht.'", berichtete Vance. "Und dann fragte ich, wann wir eine Antwort bekommen werden und sie sagten, daß es im Durchschnitt drei bis vier Wochen dauert."

Etwa eine Woche später, zwei Wochen nach seiner Gefangennahme, wurde es Vance zum ersten Mal gestattet, ein Telephon zu benutzen. Er rief seine Verlobte Diane Schwarz an, die ihm sagte, sie habe bereits befürchtet, er sei tot. Zu dem Zeitpunkt hatte sie bereits Mitglieder des US-Kongresses angerufen, um Informationen über sein Verschwinden zu bekommen.

Am 7. Mai trat das Komitee in Abwesenheit der beiden Männer erneut zusammen und entschied, daß Ertel ein "unschuldiger Zivilist" sei. Erst 18 Tage später wurde dieser unschuldige US-Bürger dann tatsächlich freigelassen. Am 17. Juni schrieb Oberstleutnant Keir-Kevin Curry, ein Sprecher der Internierungseinheit des US-Militärs, an Schwarz, daß Vance weiterhin in Gefangenschaft bleiben werde, da sein Fall weiter untersucht werde. Nur einer der 10 Briefe, die Vance in den folgenden Wochen an seine Verlobte schrieb, erreichte letztlich ihr Ziel. Datiert auf den 17. Juli kam wurde er im vergangenen Monat durch das Rote Kreuz überbracht.

Am 20. Juli wurde Vance schließlich mitgeteilt, daß er gehen könne - die zeitliche Nähe läßt vermuten, daß Vances vorangegangene Briefe an Schwarz von Anfang an keine Chance hatten, sie zu erreichen.

Auf dem Weg nach draußen wollte sich das US-Militär offenbar noch versichern, daß Vances Freilassung keine "Probleme" nach sich ziehen würde.

"Sie fragten mich, ob ich plante, ein Buch zu schreiben, würde ich mit der Presse reden, würde ich darüber nachdenken, einen Anwalt zu beauftragen. Ich verstand es als 'Schnauze, kein Wort über diesen Ort' und sagte 'Nein, Sir, ich möchte nach Hause", erinnerte sich Vance.

"Einen US-Bürger so zu behandeln wäre vor dem 11.9. unvorstellbar gewesen", sagte Mike Kanovitz, ein Vance vertretender Anwalt.

Es sind zweifellos Aussagen wie diese, die einen erschreckenden Einblick in die Denkweise zumindest großer Teile der US-Bevölkerung bieten, scheint doch selbst Vances Anwalt die grundlose Inhaftierung, Entrechtung und Folterung von Menschen durchaus für angemessen zu halten, solange es sich dabei nicht um US-Bürger handelt. Noch schwerwiegender ist allerdings die Tatsache, daß dies US-Bürgern geschah, von denen das Pentagon selbst zugibt, daß sie gegenüber anderen Gefangenen besser behandelt wurden. Einmal mehr läßt sich hier erahnen, wie es den Irakern ergeht, die sich in US-Gefangenschaft befinden.





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