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Todeskuß

Was will Israel?

07.01.2007  


Uri Avnery
Übersetzung Ellen Rohlfs und Christoph Glanz




Seit Judas Ischariot Jesus umarmt hat, hat es in Jerusalem solch einen Kuß nicht noch einmal gegeben.

Nachdem Ariel Sharon und Ehud Olmert Mahmoud Abbas (Abu Mazen) jahrelang boykottiert hatten, wurde er letzte Woche in die offizielle Residenz des Premierministers eingeladen. Dort umarmte Olmert ihn vor den Kameras und küßte ihn auf beide Wangen. Abbas sah fassungslos aus und erstarrte.

Irgendwie erinnerte die Szene an einen anderen politisch motivierten Körperkontakt: das peinliche Geschehen beim Camp-David-Treffen, als Premierminister Ehud Barak Yasser Arafat mit Gewalt in den Raum schob, in dem Bill Clinton wartete.

Bei beiden Vorfällen war es eine Geste, die den Anschein erwecken sollte, man wolle dem palästinensischen Führer Respekt zollen, aber beide waren tatsächlich Gewaltakte, die – anscheinende - Unkenntnis der Sitten des anderen Volkes und dessen heikler Situation belegten. Tatsächlich ging es um etwas völlig anderes.

Gemäß dem Neuen Testament küßte Judas Ischariot Jesus, um ihn jenen zu zeigen, die gekommen waren, ihn zu verhaften.

Ein scheinbarer Akt der Liebe und der Freundschaft. Tatsächlich ein Todesurteil.

Oberflächlich betrachtet wollte Olmert Abbas einen Gefallen tun. Er zollte ihm Respekt, stellte ihn seiner Frau vor und ehrte ihn, indem er ihn mit "Herr Präsident" anredete.

Das sollte nicht unterschätzt werden. In Oslo wurden allein wegen dieses Titels gigantische Wortgefechte geführt. Die Palästinenser bestanden darauf, daß der Leiter der zukünftigen palästinensischen Behörde "Präsident" genannt würde. Die Israelis wiesen dies scharf zurück, weil dieser Titel auf etwas wie einen Staat hätte hinweisen können. Am Ende stimmte man darin überein, daß in der (bindenden) englischen Version der arabische Titel "Ra’is" verwendet werden sollte, da in dieser Sprache die Worte "Präsident" und "Vorsitzender" identisch sind. Abbas, der das Dokument für die palästinensische Seite unterzeichnete, hat damals wahrscheinlich nicht vorstellen können, daß er der erste sein würde, der von einem israelischen Premierminister mit "Herr Präsident" angesprochen werden würde.

Aber genug der Belanglosigkeiten. Viel wichtiger ist das Ergebnis des Ereignisses. Nach dem aufgezwungenen Kuß benötigte Abbas dringend eine großzügige israelische Geste, um dieses Treffen in den Augen seines Volkes rechtfertigen zu können. Und tatsächlich, warum sollte Olmert nicht etwas überwältigendes tun? Zum Beispiel auf der Stelle tausend Gefangene zu entlassen, all die hunderte Kontrollpunkte zu entfernen, die über die West Bank verstreut sind, eine Passage zwischen der West Bank und dem Gaza-Streifen zu öffnen?

Nichts von all dem geschah. Olmert entließ nicht einen einzigen Gefangenen – keine Frau, kein Kind, keinen alten Mann, keinen Kranken. Er kündigte tatsächlich (zum x-ten Mal) an, die Straßensperren würden "erleichtert" werden, aber die Palästinenser berichten davon, bisher keine Änderung bemerkt zu haben. Vielleicht ist die endlose Schlange vor der einen oder anderen Straßensperre ein wenig kürzer geworden. Olmert gab außerdem ein Fünftel des von der israelischen Regierung zurückgehaltenen (oder unterschlagenen) palästinensischen Steuergeldes zurück.

Für die Palästinenser sah dies nach einem weiteren peinlichen Mißerfolg ihres Präsidenten aus: er war nach Canossa gegangen und erhielt wertlose Versprechungen, die nicht gehalten wurden.

Warum spielte Olmert dieses Theater?

Die naive Erklärung ist politisch. Präsident Bush wünschte etwas Bewegung im israelisch-palästinensischen Konflikt, was dann als amerikanischer Erfolg verbucht werden könnte. Condoleezza Rice übermittelte diesen Befehl an Olmert. Olmert stimmt zu, sich schlußendlich mit Abbas zu treffen. Es gab ein Treffen. Ein Kuß wurde getätigt. Versprechungen wurden gemacht und gleich wieder vergessen. Die Amerikaner haben, wie bekannt, ein kurzes Gedächtnis. Sogar noch kürzer als das unsrige (wenn das überhaupt möglich ist).

Aber es gibt auch eine zynischere Erklärung. Wenn man Abbas demütigt, stärkt man die Hamas. Die palästinensische Unterstützung für Abbas hängt von einer einzigen Sache ab: von seiner Fähigkeit, von den USA und Israel Dinge zu bekommen, die Hamas nicht könnte. Die Amerikaner und die Israelis lieben ihn, also – so das Argument – werden sie ihm geben, was benötigt wird: die Massenentlassung von Gefangenen, ein Ende der "gezielten Tötungen", die Entfernung der monströsen Straßensperren, die Eröffnung der Passage zwischen der West Bank und dem Gaza, den Beginn ernsthafter Friedensverhandlungen. Doch wenn Abbas nichts von all dem erreichen kann – was bleibt dann außer den Methoden von Hamas?

Der Angelegenheit der Gefangenen ist ein gutes Beispiel. Nichts schmerzt die Palästinenser mehr als dies: fast jede palästinensische Großfamilie hat Mitglieder im Gefängnis. Das betrifft jede Familie: ein Vater, ein Bruder, ein Sohn, manchmal eine Tochter. Jede Nacht "verhaftet" die israelische Armee ein weiteres Dutzend oder mehr. Wie kann man sie frei bekommen?

Hamas hat ein bewährtes Mittel: Israelis gefangenzunehmen (in den israelischen und internationalen Medien werden Israelis "entführt", während Palästinenser "verhaftet" werden). Für die Rückkehr des israelischen Soldaten Gilad Shalit wird Olmert viele Gefangene freilassen. Israelis verstehen nach palästinensischer Erfahrung nur die Sprache der Gewalt.

Einige von Olmerts Beratern hatten eine brillante Idee: Abbas ein paar hundert Gefangene quasi als Geschenk zu übergeben, ohne Gegenleistung. Das würde die Position des palästinensischen Präsidenten stärken und den Palästinensern beweisen, daß sie so bei uns mehr erreichen können als mit Gewalt. Das wäre ein schwerer Schlag für die Hamas-Regierung, deren Sturz eines der obersten Ziele der Regierungen der USA und Israels ist.

Das kommt gar nicht in Frage, schrie eine andere Gruppe von Olmerts Ideengebern. Wie würden die israelischen Medien reagieren, wenn Gefangene entlassen würden, bevor Shalit nach Hause kommt?

Das Problem ist, daß Shalit von der Hamas und ihren Verbündeten festgehalten wird und nicht von Abbas. Wenn es verboten ist, vor der Rückkehr Shalits Gefangene freizulassen, dann sind alle Karten in den Händen von Hamas. In diesem Fall wäre es vielleicht sinnvoll, mit Hamas zu reden? Undenkbar!

Das Ergebnis: keine Stärkung Abbas´, kein Dialog mit Hamas, gar nichts.

Das ist eine alte israelische Tradition: wenn es zwei Alternativen gibt, wählen wir die dritte: gar nichts zu tun.

Das klassische Beispiel ist für mich die Jericho-Affäre. In der Mitte der 70er Jahre machte König Hussein Henry Kissinger ein Angebot: Israel solle sich aus Jericho zurückziehen und die Stadt dem jordanischen König überlassen. Die jordanische Armee würde dort die jordanische Flagge hissen und damit symbolisch erklären, daß Jordanien der entscheidende arabische Vertreter in der West Bank sei.

Kissinger gefiel diese Idee, und er rief Yigal Allon, den israelischen Außenminister, an. Allon informierte den Premierminister Yitzhak Rabin. Die ganze politische Spitze - Rabin, Allon, der Verteidigungsminister Shimon Peres – waren bereits begeisterte Unterstützer der "jordanischen Option" – wie auch ihre Vorgänger Golda Meir, Moshe Dayan und Abba Eban. Meine Freunde und ich waren im Gegensatz dazu für eine "palästinensische Option" und damit eine marginale Minderheit.

Aber Rabin wies das Angebot kategorisch zurück. Golda hatte öffentlich versprochen, ein Referendum oder Wahlen abzuhalten, bevor sie auch nur einen Fußbreit der besetzten Gebiete zurückgeben würde. "Ich werde wegen Jericho nicht zu Wahlen aufrufen", erklärte Rabin.

Keine jordanische Option. Keine palästinensische Option. Gar nichts.

Nun geschieht dasselbe gegenüber Syrien.

Wieder gibt es zwei Alternativen. Die erste: Verhandlungen mit Bashar al-Assad zu beginnen, der öffentliche Avancen macht. Das hieße, bereit zu sein, die Golanhöhen zurückzugeben und die 60.000 syrischen Flüchtlinge zurückkehren zu lassen. Dafür könnte sich das sunnitische Syrien wahrscheinlich vom Iran und der Hizb Allah trennen und sich der Front der sunnitischen Staaten anschließen. Da Syrien sowohl sunnitisch als auch säkular-nationalistisch ist, könnte das eine positive Wirkung auf die Palästinenser haben.

Olmert hat verlangt, daß Assad sich vor jeglichen Verhandlungen vom Iran abkoppelt und aufhört, die Hizb Allah zu unterstützen. Das ist eine lächerliche Forderung und offensichtlich als Alibi gedacht, um einen Beginn von Verhandlungsgesprächen zu verweigern. Schließlich benutzt Assad die Hizb Allah, um Druck auf Israel auszuüben, den Golan zurückzugeben. Seine Verbindung mit dem Iran dient demselben Zweck. Wie kann er im voraus die wenigen Karten, die er in Händen hält, weggeben und dann noch hoffen, daß er irgendetwas bei den Verhandlungen erreicht?

Die andere Alternative, die von einigen ranghohen Armeekommandeuren vorgeschlagen wurde: in Syrien einzufallen und dort dasselbe zu tun, was die Amerikaner im Irak taten. Das würde in der ganzen arabischen Welt Anarchie auslösen, eine Situation, die für Israel gut wäre. Dies würde auch das Image der israelischen Armee wieder aufpolieren, das im Libanonkrieg Schaden genommen hat, und ihr "Abschreckungspotential" wieder herstellen.

Was wird Olmert also tun? Den Golan zurückgeben? Um Himmels willen! Braucht er Ärger mit den 16.000 lärmenden Siedlern dort? Was dann, wird er einen Krieg mit Syrien beginnen? Nein! Hatte er nicht schon genug militärische Schlappen? Er wird also die dritte Alternative wählen: nichts zu tun.

Bashar Assad kann sich wenigstens mit einem trösten: er riskiert nicht, von Olmert geküßt zu werden.





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