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In sha Allah

Hoffnungen in die palästinensische Einheitsregierung

19.03.2007  


Uri Avnery
Übersetzung Ellen Rohlfs




Nicht nur die Palästinenser müssen nach der Vereidigung der palästinensischen nationalen Einheitsregierung einen tiefen Seufzer der Erleichterung von sich geben – wir Israelis haben allen Grund, dies auch zu tun.

Dieses Ereignis ist ein großer Segen – nicht nur für sie, sondern auch für uns, falls wir tatsächlich an einem Frieden interessiert sind, der dem historischen Konflikt ein Ende setzen wird.

Für die Palästinenser ist der unmittelbare Segen die Beseitigung der Drohung eines Bürgerkrieges.

Das war ein Alptraum. Es war auch absurd. Palästinensische Kämpfer schossen in den Straßen Gazas auf einander und erfreuten so die Besatzungsbehörden. Wie in der Arena des antiken Rom töteten Gladiatoren einander zum Vergnügen der Zuschauer. Menschen, die vorher jahrelang gemeinsam in israelischen Gefängnissen gesessen hatten, handelten auf einmal wie Todfeinde.

Es war noch kein Bürgerkrieg. Aber die blutigen Vorfälle hätten dorthin führen können. Viele Palästinenser waren besorgt, daß, würden die Zusammenstöße nicht sofort zu einem Ende kommen, tatsächlich ein vollwertiger Bruderkrieg ausbrechen würde. Das war natürlich auch die große Hoffnung der israelischen Regierung - daß Hamas und Fatah einander auslöschen, ohne daß Israel einen Finger krumm machen muß. Die israelischen Nachrichtendienste sagten dies tatsächlich voraus.

Ich war von diesem Bericht nicht beunruhigt. Meiner Ansicht nach war ein palästinensischer Bürgerkrieg nie zu erwarten.

Zunächst einmal, weil die grundsätzlichen Bedingungen für einen Bürgerkrieg nicht gegeben sind. Das palästinensischen Menschen sind in ihrer ethnischen, kulturellen und historischen Zusammensetzung einheitlich. Palästina ist nicht wie der Irak, mit seinen drei Völkern, die sich ethnisch (Araber und Kurden), religiös (Shiiten und Sunniten) und geographisch (Norden, Mitte und Süden) unterscheiden. Es ähnelt auch nicht Irland, wo die Protestanten, Nachkommen von Siedlern, gegen die katholischen Nachkommen der ursprünglichen Bevölkerung kämpften. Es ähnelt auch nicht afrikanischen Ländern, deren Grenzen ohne jede Rücksicht auf Stammesgrenzen von Kolonialherren festgelegt worden waren. Es gab zweifellos auch keinen revolutionären gesellschaftlichen Umbruch gefolgt wie jene, die die Bürgerkriege in England, Frankreich und Rußland verursachten, noch eine Angelegenheit, die die Bevölkerung spaltete wie die Sklaverei in den USA.

Die blutigen Auseinandersetzungen, die im Gaza-Streifen ausbrachen, waren Kämpfe zwischen Partei-Milizen, die durch Fehden zwischen Hamulahs (Großfamilien) verstärkt wurden. In der Geschichte gab es fast in allen Befreiungsbewegungen solche Kämpfe. Beispielsweise brach nach dem 1. Weltkrieg, als die Briten gezwungen waren, den Iren die Autonomie zu gewähren, sofort ein blutiger Kampf zwischen den Freiheitskämpfern aus. Irische Katholiken töteten irische Katholiken.

Zur Zeit des Kampfes der jüdischen Gemeinschaft in Palästina gegen das britische Kolonialregime ("das Mandat") wurde ein Bürgerkrieg nur dank einer Person verhindert: Menachem Begin, des Kommandeurs der Irgun. Er war entschlossen, unter allen Umständen einen Bruderkrieg zu verhindern. David Ben-Gurion wollte die Irgun eliminieren, die seine Führung ablehnte und seine Politik untergrub. In der sogenannten "Saison" befahl er seiner ihm loyalen Haganah-Organisation, Irgunmitglieder zu entführen und sie der britischen Polizei auszuliefern, die sie folterte und im Ausland ins Gefängnis steckte. Aber Begin verbot seinen Leuten, ihre Waffen zu benutzen, um sich gegen Juden zu verteidigen..

Solch ein Kampf unter Palästinensern wird nicht zu einem Bürgerkrieg werden, weil das ganze palästinensische Volk absolut dagegen ist. Jeder erinnert sich, daß während der "Arabischen Rebellion" von 1936 der damalige palästinensische Führer, der Großmufti Hadj Amin al-Husseini, seine palästinensischen Rivalen abschlachtete. Während der drei Jahre der Rebellion (die in der zionistischen Terminologie "die Ereignisse" genannt werden), töteten die Palästinenser untereinander mehr, als sie von ihren britischen und jüdischen Gegnern töteten.

Das Ergebnis: als das palästinensische Volk im Krieg von 1948 seinem größten, existenziellen Test gegenüberstand war es zersplittert und gespalten; es fehlte ihm eine vereinigte Führung und es war abhängig von der Gnade der zerstrittenen arabischen Regierungen, die gegeneinander intrigierten. Sie waren nicht in der Lage, sich gegen die viel kleinere, gut organisierte jüdische Gemeinschaft zu behaupten, die sofort eine vereinigte und effiziente Armee aufstellte. Die Folge war die "Naqba", die schreckliche historische Tragödie des palästinensischen Volkes. Was 1936 geschah, berührt das Leben jedes einzelnen Palästinensers bis zum heutigen Tag.

Es ist schwierig, einen Bürgerkrieg zu beginnen, wenn die Menschen dagegen sind. Selbst Provokationen von außerhalb – und ich nehme an, daß es davon genug gegeben hat – können ihn nicht auslösen.

Deshalb habe ich keinen Augenblick daran gezweifelt, daß es am Ende zu einer Einheitsregierung kommen würde und ich bin sehr froh, daß dies nun geschehen ist.

Warum ist dies gut für Israel? Ich werde etwas sagen, das viele Israelis und ihre Freunde in der Welt schockieren wird:

Wenn es die Hamas nicht geben würde, dann müsste man sie erfinden.

Wenn eine palästinensische Regierung ohne Hamas gebildet worden wäre, hätten wir sie solange boykottieren müssen, bis die Hamas mit eingeschlossen worden wäre.

Und wenn wir durch Verhandlungen ein historisches Abkommen mit der palästinensischen Führung erreichen sollten, sollten wir es zu einer Bedingung machen, daß Hamas es unterzeichnen muß.

Klingt verrückt? Natürlich. Aber das ist die Lektion, die uns die Geschichte aus Erfahrungen anderer Befreiungskriege lehrt.

Die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten ist fast gleichmäßig zwischen der Fatah und der Hamas geteilt. Es macht überhaupt keinen Sinn, ein Abkommen mit der Hälfte der Bevölkerung zu unterzeichnen und den Krieg fortzusetzen. Auf jeden Fall werden wir ernsthafte Konzessionen für den Frieden machen müssen – wie den Rückzug zu enger gezogenen Grenzen, und die Rückgabe von Ost-Jerusalem an seine Eigentümer. Sollen wir dies für ein Abkommen tun, das von der Hälfte des palästinensischen Volkes nicht akzeptiert wird und dem sie nicht verpflichtet ist? Für mich erscheint dies wie der Gipfel der Torheit.

Ich will noch weitergehen: Hamas und Fatah vertreten nur den Teil des palästinensischen Volkes, der in der West Bank, im Gaza-Streifen und in Ost-Jerusalem lebt. Millionen palästinensischer Flüchtlinge (niemand kennt die genaue Zahl) leben aber außerhalb der Gebiete von Palästina und Israel.

Wenn wir tatsächlich ein vollständiges Ende des historischen Konfliktes anstreben, müssen wir uns um eine Lösung bemühen, die sie miteinschließt. Deshalb hinterfrage ich sehr die Weisheit Tzipi Livnis und ihrer Kollegen, die verlangen, daß die Saudis aus ihrem Friedensplan jede Erwähnung des Flüchtlingsproblems entfernen sollen, aufs schärfste. Einfach gesagt: es wäre dämlich.

Der gesunde Menschenverstand würde das genaue Gegenteil raten: verlangen, daß die saudische Friedensinitiative, die zu einem offiziellen pan-arabischen Friedensplan geworden ist, die Flüchtlingsfrage mit einschließt, damit das Endabkommen auch eine Lösung für das Flüchtlingsproblem darstellt.

Das wird sicher nicht einfach sein. Das Flüchtlingsproblem hat psychologische Wurzeln, die den eigentlichen Kern des palästinensisch-zionistischen Konfliktes berühren, und es betrifft das Schicksal von Millionen von Menschen. Aber wenn der arabische Friedensplan besagt, daß es eine "vereinbarte" Lösung geben muß – also in Übereinstimmung mit Israel – dann wird rs aus dem Reich unvereinbarer Ideologien in die Realität, in die Welt der Abkommen und Kompromisse, versetzt. Ich habe dies viele Male mit arabischen Persönlichkeiten diskutiert, und ich bin davon überzeugt, daß ein Abkommen möglich ist.

Die neue palästinensische Regierung gründet sich auf das "Mekka-Abkommen". Es scheint, als wäre es ohne die energische Intervention von König Abd Allah von Saudi-Arabien nicht möglich gewesen.

Der internationale Hintergrund muß auch berücksichtigt werden. Der Präsident der USA ist damit beschäftigt, sein Irak-Abenteuer mit verzweifelten Bemühungen zu einem Ende zu bringen, das nicht als totale Katastrophe in die Geschichte eingeht. Zu diesem Zweck versucht er, eine sunnitische Front zusammenzubringen, die den Iran blockieren und helfen würde, die sunnitische Gewalt im Irak zu beenden.

Das ist natürlich eine stark vereinfachende Idee. Sie berücksichtigt nicht die große Komplexität der Realitäten unserer Region. Bush hat im Irak eine Regierung eingesetzt, die von den Shiiten dominiert wird. Er hat versucht, das sunnitische Syrien zu isolieren. Und Hamas ist natürlich eine fromme sunnitische Organisation.

Aber das amerikanische Staatsschiff fängt an, sich zu drehen. Als riesiges Schiff kann es dies nur sehr langsam. Unter amerikanischem Druck willigte der saudische König (vielleicht widerwillig) ein, die Führung der arabischen Welt auf sich zu nehmen, nachdem Ägypten bei dieser Aufgabe versagt hat. Der König hat Bush überzeugt, daß er mit Syrien reden müsse. Nun versucht er, ihn davon zu überzeugen, daß er Hamas akzeptieren muß.

In diesem Bild ist Israel ein Hindernis. Vor ein paar Tagen flog Ehud Olmert nach Amerika, um der Konferenz der jüdischen Lobby, AIPAC, mitzuteilen, daß ein Rückzug aus dem Irak eine Katastrophe wäre (übrigens im Gegensatz zur Meinung von mehr als 80 Prozent der amerikanischen Juden, die einen baldigen Rückzug befürworten). In der vergangenen Woche gab der US-Botschafter in Tel-Aviv zu verstehen, daß es der israelischen Regierung nun erlaubt sei, Verhandlungen mit Syrien zu führen – man kann annehmen, daß dieser Wink sich bald in einen Befehl verwandeln wird. Vorläufig ist in den Positionen der israelischen Regierung keine Veränderung zu bemerken.

Leider wird gerade jetzt, wo eine palästinensische Regierung die Chance hat, stark und stabil zu werden, die israelische Regierung immer schwächer.

Die Olmerts Unterstützungsquote nähert sich in den Umfragen null. Die Prozentzahlen können an den Fingern einer Hand abgezählt werden. Praktisch jeder spricht über seinen politischen Abgang innerhalb weniger Wochen, vielleicht nach der Veröffentlichung der zeitweiligen Untersuchungsergebnisse der Vinograd-Kommission über den zweiten Libanonkrieg. Aber selbst wenn es Olmert gelingen sollte, politisch zu überleben, dann würde es eine Lahme-Enten-Regierung sein, die nicht in der Lage wäre, irgendetwas neues zu beginnen - und ganz sicher keine mutige Initiative im Angesicht der neuen palästinensischen Regierung.

Doch wenn Bush uns auf der einen und der saudische König auf der anderen Seite unterstützen würde, könnten wir vielleicht doch ein paar Schritte vorwärts gehen. Wie die Menschen in dieser Region sagen: in sha Allah, so Gott will.





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