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Kniefall in der Knesset

Die Rede der deutschen Bundeskanzlerin in Israel

19.03.2008  


Norman Griebel




Am Dienstag hielt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im israelischen Parlament eine Rede, die vor allem aufgrund der dabei offen zur Schau getragenen "unbegrenzten Solidarität" mit Israel bemerkenswert ist – und nicht, weil es das erste Mal war, daß einem ausländischen Regierungschef statt eines Staatsoberhaupts gestattet worden ist, dort zu sprechen.

In ihrer Rede hätte sie die Tatsachen der israelischen Besatzung Palästinas und der seitens Israels begangenen Völkerrechtsverbrechen kaum gründlicher ausblenden können, als sie es tat.

"60 Jahre Israel - das sind 60 Jahre großartiger Aufbauarbeit der Menschen unter schwierigen Bedingungen. 60 Jahre Israel - das sind 60 Jahre Herausforderungen im Kampf gegen Bedrohungen und für Frieden und Sicherheit. 60 Jahre Israel - das sind 60 Jahre Integration von Zuwanderern in das Gemeinwesen dieses Staates", so Merkel zu Beginn ihrer Rede vor den Knesset-Abgeordneten.

Schon die ersten beiden Punkte dürften von der palästinensischen Bevölkerung wie ein Schlag ins Gesicht empfunden werden, dann aber noch von der "Integration von Zuwanderern" zu sprechen ist entweder ein Zeichen erschreckender Unwissenheit oder – wesentlich wahrscheinlicher – von geradezu grenzenlosem Zynismus. Die "Integration in das Gemeinwesen" ist nur im Hinblick auf zugewanderte Juden "erfolgreich" – und gewünscht. Hinsichtlich arabischen Menschen – selbst der arabischen Teile der eigenen Bevölkerung – ist rassistisches Verhalten nicht nur alltäglich, sondern auch in großen Teilen der Bevölkerung akzeptiert. Angesichts zahlreicher Äußerungen http://www.freace.de/artikel/200608/220806a.html israelischer Politiker, die in Deutschland eine Anklage wegen Volksverhetzung nach sich ziehen dürften, kann es aber sicherlich kaum verwundern, daß auch die israelische Bevölkerung wenig Grund für Zurückhaltung sieht.

"Meine Damen und Herren, ich bin zutiefst davon überzeugt: Nur wenn sich Deutschland zu seiner immerwährenden Verantwortung für die moralische Katastrophe in der deutschen Geschichte bekennt, können wir die Zukunft menschlich gestalten. Oder anders gesagt: Menschlichkeit erwächst aus der Verantwortung für die Vergangenheit."

Diese Verantwortung beschränkt sich offenbar allein auf Deutschland – und auch nur, wenn es um Israel geht. Weder hat diese "immerwährende Verantwortung" Deutschland in den vergangenen Jahren daran gehindert, mehrere Angriffskriege der USA zu unterstützen, noch gilt diese Verantwortung offensichtlich der palästinensischen Bevölkerung, die gerade in letzter Zeit erneut massivsten Angriffen durch das israelische Militär ausgesetzt ist. So schwere Angriffe, daß nach Angaben der PLO bis zum Mittwoch vergangener Woche bereits 274 Palästinenser, darunter 18 Frauen und 50 Kinder getötet worden sind. Hinzu kommen noch weitere "Maßnahmen", die sich gegen die palästinensische Bevölkerung richten und selbst den palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas – dem allgemein eher vorgeworfen wird, sich Israel zu beugen – dazu brachten, Israel am vergangenen Donnerstag "ethnische Säuberung" in den palästinensischen Gebieten von Jerusalem vorzuwerfen.

"Wie gehen wir zum Beispiel ganz konkret damit um, wenn die Greueltaten des Nationalsozialismus relativiert werden? Hierauf kann es nur eine Antwort geben: Jedem Versuch dazu muß im Ansatz entgegengetreten werden. Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit dürfen in Deutschland und in Europa nie wieder Fuß fassen, und zwar weil alles andere uns insgesamt - die deutsche Gesellschaft, das europäische Gemeinwesen, die demokratische Grundordnung unserer Länder - gefährden würde."

Tatsächlich tun sich allerdings zahlreiche "westliche" und eben auch deutsche Politiker zunehmend darin hervor, Fremdenfeindlichkeit zu schüren – wenn auch nicht gegen Juden, so doch gegen Muslime.

"Oder wie gehen wir damit um, wenn in Umfragen eine deutliche Mehrheit der Befragten in Europa sagt, die größere Bedrohung für die Welt gehe von Israel aus und nicht etwa vom Iran? Schrecken wir Politiker in Europa dann aus Furcht vor dieser öffentlichen Meinung davor zurück, den Iran mit weiteren und schärferen Sanktionen zum Stopp seines Nuklearprogramms zu bewegen? Nein, wie unbequem es auch sein mag, genau das dürfen wir nicht; denn täten wir das, dann hätten wir weder unsere historische Verantwortung verstanden noch ein Bewusstsein für die Herausforderungen unserer Zeit entwickelt. Beides wäre fatal."

Hier legte Merkel genau jene Arroganz gegenüber der eigenen Bevölkerung an den Tag, die immer größere Teile eben jener Bevölkerung an der Funktionstüchtigkeit der Staatsform Demokratie zweifeln läßt. Eine deutliche Mehrheit hält den Iran für wenig gefährlich? Da kann nicht sein, was nicht sein darf – Angie knows best, König bin ich. Wie weit sie sich bereits von einem demokratischen Rechtssystem entfernt hat, zeigte sie auch nochmals später in ihrer Rede, als sie erneut auf den Iran zu sprechen kam.

"Orte des Gedenkens sind wichtig, Orte wie das Holocaust-Mahnmal in Berlin oder Yad Vashem. Sie halten die Erinnerung wach. Aber wahr ist auch: Orte allein reichen noch nicht aus, wenn Erinnerung Geschichte wird. Erinnerung muß sich immer wieder neu bewähren. Aus Gedanken müssen Worte werden und aus Worten Taten. Der erste Premierminister Ihres Landes, David Ben-Gurion, und der erste Bundeskanzler meines Landes, Konrad Adenauer, haben uns genau das vorgemacht. Deshalb war es mir wichtig, am Sonntag in den Kibbuz Sde Boker zu fahren und dort am Grab von Ben-Gurion einen Kranz niederzulegen. Denn es waren Ben-Gurion und Adenauer, die den Gedanken Worte, den Worten Taten folgen ließen. Sie legten mit Vorsicht und Weitsicht die Grundlage für die Beziehungen zwischen unseren Staaten."

Dieser Absatz besitzt schon fast eine eigene Komik – handelte es sich nicht um schwerwiegende Kriegsverbrechen. Seit mehreren Jahren ist aufgrund der Veröffentlichung von Dokumenten der CIA bekannt, daß die Regierung unter Adenauer in Zusammenarbeit mit den USA hochrangige Verbrecher der Nazi-Herrschaft geschützt hat. Auch der erste Premierminister Israels, David Ben-Gurion, ist keineswegs der "Ritter in strahlender Rüstung", in der Merkel ihn offenbar gern sehen würde, wie beispielsweise mehrere Kommentare des israelischen Friedensaktivisten Uri Avnery belegen, in denen er ihn unter anderem auch der "ethnischen Säuberung" beschuldigt.

"Helfen kann uns dabei eine Kraft, die uns auch in den vergangenen Jahrzehnten geholfen hat: Es ist die Kraft zu vertrauen. Diese Kraft zu vertrauen hat ihren Ursprung in den Werten, die wir, Deutschland und Israel, gemeinsam teilen: den Werten von Freiheit, Demokratie und der Achtung der Menschenwürde. Sie ist das kostbarste Gut, das wir haben: die unveräußerliche und unteilbare Würde jedes einzelnen Menschen - ungeachtet seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Sprache, seines Glaubens, seiner Heimat und Herkunft."

Angesichts der Verbrechen, die seitens Israels an dem palästinensischen Volk verübt worden sind bleibt hier nur die Hoffnung, daß es sich bei dieser Aussage allein um eine wie auch immer motivierte politische Floskel handelt. Sollte Angela Merkel – beziehungsweise mit ihrer Zustimmung ihr Redenschreiber – tatsächlich der Ansicht sein, daß Deutschland und Israel die gleichen Werte von " Freiheit, Demokratie und der Achtung der Menschenwürde" vertreten, so könnte dies nur als eine Bankrotterklärung der deutschen Demokratie betrachtet werden.

"Meine Damen und Herren, über all diese und weitere Zukunftsprojekte und Vorhaben haben wir gestern beraten. Aber all diese Projekte spielen sich nicht im luftleeren Raum ab; denn während wir beraten haben, ist Israel bedroht. Während wir hier sprechen, leben Tausende von Menschen in Angst und Schrecken vor Raketenangriffen und Terror der Hamas. Ich sage klar und unmißverständlich: Die Qassam-Angriffe der Hamas müssen aufhören. Terrorangriffe sind ein Verbrechen, und sie bringen keine Lösung in dem Konflikt, der die Region und das tägliche Leben der Menschen in Israel und das Leben der Menschen in den palästinensischen Autonomiegebieten überschattet."

Dies ist zweifellos einer der seltenen Momente, in denen der deutschen Bundeskanzlerin zuzustimmen ist. Der Beschuß israelischer "Siedlungen" – so völkerrechtswidrig sie auch sein mögen – ist angesichts der klaren Angriffe auf Zivilisten nur als Kriegsverbrechen zu bezeichnen – ungeachtet der Tatsache, wie gering die Zahl der von ihnen verursachten Opfer letztlich auch sein mag. Mehr noch sind es doch letztlich gerade diese Angriffe, die der israelischen Regierung immer wieder aufs neue Vorwände für ihre Angriffe und sonstigen Strafmaßnahmen gegen die gesamte palästinensische Bevölkerung liefern – auch wenn dies seinerseits zweifellos Kriegsverbrechen im Rahmen der Genfer Konventionen darstellt.

"Ich habe wiederholt zum Ausdruck gebracht und sage es auch hier: Deutschland tritt entschieden für die Vision von zwei Staaten in sicheren Grenzen und in Frieden ein, für das jüdische Volk in Israel und das palästinensische in Palästina. Nachdrücklich unterstützen wir deshalb in der Folge der Annapolis-Konferenz alle Bemühungen - insbesondere auch die der amerikanischen Regierung -, die dazu beitragen, diese Vision in die Tat umzusetzen, und die helfen, Frieden in der Region herzustellen. Ich weiß sehr wohl: Sie brauchen keine ungebetenen Ratschläge von außen und schon gar nicht von oben herab. Eine Lösung kann am Ende nur durch Sie hier in Israel und die Palästinenser selbst erfolgen."

Einerseits spricht Merkel also von der "Bedrohung Israels" durch den "Terror der Hamas" und stellt "unmißverständlich" klar, daß "die Qassam-Angriffe aufhören müssen", andererseits sagt sie den israelischen Parlamentariern, daß sie "keine ungebetenen Ratschläge von außen" bräuchten – letztlich nichts anderes als die diplomatische Verklausulierung von "macht, was ihr wollt, wir schauen weg". Ein Standpunkt, der hinsichtlich des Irans nicht unterschiedlicher sein könnte.

"Meine Damen und Herren, besonderen Anlaß zur Sorge geben ohne Zweifel die Drohungen, die der iranische Präsident gegen Israel und das jüdische Volk richtet. Seine wiederholten Schmähungen und das iranische Nuklearprogramm sind eine Gefahr für Frieden und Sicherheit. Wenn der Iran in den Besitz der Atombombe käme, dann hätte das verheerende Folgen - zuerst und vor allem für die Sicherheit und Existenz Israels, dann für die gesamte Region und schließlich - weit darüber hinaus - für alle in Europa und der Welt, für alle, denen die Werte Freiheit, Demokratie und Menschenwürde etwas bedeuten. Das muß verhindert werden."

Tatsächlich richten sich die "Drohungen" des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadi-Nejad nicht gegen "Israel" sondern nur gegen den Staat an sich – wären solche Aussagen Grund genug für einen Angriffskrieg, allen voran die USA wären schon seit Jahrzehnten vom Erdboden getilgt. Tatsächlich gibt es bisher keinerlei Beweise für – aber durchaus Hinweise gegen - ein iranisches Atomwaffenprogramm. Derlei "Kleinigkeiten" scheinen Merkel allerdings nicht weiter zu beeindrucken.

"Dabei muß eines klar sein - ich habe es bereits vor den Vereinten Nationen im vergangenen September gesagt und ich wiederhole es heute -: Nicht die Welt muß Iran beweisen, daß der Iran die Atombombe baut. Iran muß die Welt überzeugen, daß er die Atombombe nicht will."

Dies ist ein klassischer Fall von Beweislastumkehr, wie er ansonsten höchstens in US-Foltergefängnissen wie Guantánamo vorkommt. Der Angeklagte – Iran – muß beweisen, daß er unschuldig ist. Mehr noch, er soll beweisen, daß etwas – ein Programm zur Entwicklung von Atomwaffen – nicht existiert. Gerade einer Diplom-Physikerin wie ihr sollte klar sein, daß es unmöglich ist, die Nichtexistenz von etwas zweifelsfrei zu beweisen. Der Weg auf dieser Argumentationslinie führt geradewegs in einen weiteren Angriffskrieg – bei dem dieses Mal offenbar Deutsche an vorderster Front mitkämpfen würden, geht es nach ihr.

"Gerade an dieser Stelle sage ich ausdrücklich: Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsraison meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar - und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben. Deutschland setzt gemeinsam mit seinen Partnern auf eine diplomatische Lösung. Die Bundesregierung wird sich dabei, wenn der Iran nicht einlenkt, weiter entschieden für Sanktionen einsetzen."

Die "Sicherheit Israels ist ... niemals verhandelbar" – eine Aussage, die zweifellos die in Merkel gesetzten Erwartungen der Abgeordneten, die ihre Rede zuvor gestattet hatten, erfüllte. Und so kann es auch kaum verwundern, daß sie auch am Ende ihrer Rede entgegen der Statuten der Knesset Beifall erhielt. Ob eine solche Sympathiebekundung im Falle des israelischen Parlaments tatsächlich wünschenswert ist, muß nicht nur Angela Merkel mit ihrem Gewissen abgleichen, sondern auch jeder ihrer Wähler in Deutschland.





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