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Herr von Pierer und die Staatsanwälte

Über die Verflechtung korrupter Manager mit der Politik

24.04.2008  


Hans-Joachim Selenz




Angela Merkel trennt sich von ihrem Berater Heinrich von Pierer. Langsam wird es sogar der Kanzlerin peinlich. Der Ex-Siemens-Chef hat - inzwischen schriftlich belegt - schon früh von den schwarzen Kassen gewußt. Wie sollte es auch anders sein? Da verschwinden 1,4 Milliarden Euro und der Chef kriegt nichts mit? An so etwas glauben in Deutschland bestenfalls Weihnachtsmann und Osterhase und natürlich der Staatsanwalt.

Der muß es glauben. Er hat keine andere Wahl. Sein Glaube wird gespeist durch Eingebungen der Politik. Deutsche Staatsanwälte sind weisungsgebunden. Das heißt, sie müssen unseren Politikern glauben. Und sei deren "Wahrheit" noch so unsinnig. Tun sie es nicht, drohen Versetzung oder das Ende der Karriere. EdeKa, so der Fachausdruck für das traurige Schicksal gesetzestreuer deutscher Staatsanwälte. Der Leiter der Staatsanwaltschaft München, Schmidt-Sommerfeld, beeilt sich daher, abzuwiegeln. Von Pierer habe vor diesem Hintergrund zwar grob fahrlässig gehandelt, so zu lesen in der Süddeutschen Zeitung. Sein Verhalten sei indes nur zivilrechtlich relevant, nicht aber strafrechtlich. Bei Untreue existiere kein Tatbestand der groben Fahrlässigkeit. Hier brauche es schon Absicht, so der Münchener Anwalt des Staates. Nur, die Grenze zwischen der sogenannten "bewußten Fahrlässigkeit" (bei Untreue straflos) und dem "bedingten Vorsatz" (bei Untreue strafbar) ist fließend.

Der BGH hält bereits diese Form des Vorsatzes bei der Verwirklichung des Straftatbestandes der Untreue (§ 266 StGB) für ausreichend. Danach handelt strafbar, wer "die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäfte eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, mißbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt". Es genügt der bedingte Vorsatz (dolus eventualis), die schwächste Form des Vorsatzes. Um des angestrebten Zieles willen findet sich der Täter mit dem Risiko der Tatbestandsverwirklichung ab. Nach der Schuldtheorie - heute im Strafrecht grundsätzlich unbestritten - reicht für den Vorsatz schon die Kenntnis der Umstände, die den Pflichtverstoß begründen. Das Bewußtsein, etwas Unrechtes zu tun, ist nicht erforderlich; es genügt das "Für-möglich-halten" (vgl. auch Habilitationsvortrag von Dr. Mark Deiters, ZIS, Heft 4, 2006, S. 152 – 160).

Was liegt bei Siemens vor? Briefe des ehemaligen Siemens-Korruptionswächters Schäfer vom Mai und April 2004 an von Pierer - zur Kenntnis. Darin geht es um schwarze Kassen, eine völlig ineffiziente Aufsicht und Schmiergeldzahlungen als Unternehmensstrategie. Von Pierer wurde auch vor dem Einschreiten der amerikanischen Börsenaufsicht SEC gewarnt. Jetzt wird bekannt, daß er bereits 1998 persönlich aktiv eingeschaltet war. 10 Millionen US-Dollar Schmiergeld wurden trotz des Protestes von Mitarbeitern gezahlt. Diese sollten sich angeblich wie Soldaten von Siemens verhalten. Der oberste Siemens-General war also nicht nur bestens informiert, sondern sogar an der Korruptionsfront aktiv. Aktiv wurde er auch gleich zu Beginn des Siemens-Skandals bei der Politik. Von Pierer besuchte dazu Bayerns Innenminister Beckstein. Anfang Dezember 2006.

Nahezu zeitgleich hatte ich eine bemerkenswerte Begegnung mit einem Schweizer Staatsanwalt. Bei einem Vortrag am 3. Dezember 2006 in Zürich lobte ich die Staatsanwälte in München für ihren Einsatz im Fall Siemens (Selenz Kommentar 23.11.2006: "Siemens ist überall!"). Ich verglich ihren Mut mit den VW-Aktivitäten ihrer Kollegen in Braunschweig (Selenz Kommentar 21.02.2006: "Kriminelle Staatsanwälte"). Denen wird - nicht nur aus Sicht korrekter Kollegen - ganz offen Strafvereitelung im Amt vorgeworfen. Mein Tischnachbar, zuständig für "Rechtshilfe und Geldwäscherei", raubte mir jedoch sofort den letzten Glauben an eine auch nur im Ansatz korrekte Arbeit seiner deutschen Kollegen. Man sei in Liechtenstein und in der Schweiz über Schwarzgeld-Belege von Siemens geradezu gestolpert. Hinweise an die Kollegen in München, tätig zu werden, seien dort aber stets verhallt. Im Herbst 2006 habe man die Unterlagen schließlich zusammengepackt und sie den Kollegen an der Isar auf den Schreibtisch geknallt. Verbunden mit der ultimativen Aufforderung: "Das sind eure Ganoven - kümmert euch endlich darum". Das altdeutsche Bermuda-Dreieck aus Wirtschaftskriminalität, Polit-Filz und Untertanen-Justiz stinkt mittlerweile weit über unsere Grenzen hinaus. Und das nicht nur im Fall von Pierer/Siemens.





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