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Tim Robbins: "Ein kalter Wind weht..."






Übersetzung der Niederschrift der Rede des Schauspielers Tim Robbins im National Press Club in Washington, D.C., USA am 15. April 2003.

Tim Robbins: Danke. Und danke für die Einladung. Ich wurde gebeten, hier über den Krieg und unsere momentane politische Situation zu sprechen, aber ich habe mich entschieden, diese Gelegenheit zu mißbrauchen, um über Baseball und das Showgeschäft zu sprechen. (Gelächter.) Ich mach nur Witze. Irgendwie.

Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr mich die überwältigende Unterstützung, die ich in den letzten Tagen von Zeitungen im ganzen Land bekommen habe, bewegt hat. Ich gebe mich keinen Illusionen hin, daß all diese Journalisten mit meinen Ansichten gegen den Krieg übereinstimmen. Die Aufregung der Journalisten über die Absage meines Auftritts in Cooperstown dreht sich nicht um meine Ansichten, sondern um mein Recht, diese auszudrücken. (Eine Feier zum 15. Jahrestag des Films "Bull Durham" war abgesagt worden. Dale Petroskey, Präsident der Baseball Hall of Fame, war mit Robbins' Äußerungen hinsichtlich des Krieges nicht einverstanden.) Ich bin sehr dankbar, daß es da draußen immer noch Leute mit einem festen Glauben an die von der Verfassung garantierten Rechte gibt. Wir brauchen sie, die Presse, jetzt mehr denn je. Dies ist ein entscheidender Moment für uns alle.

Trotz der furchtbaren Ereignisse des 11.9. gab es eine kurze Zeit, in der ich große Hoffnungen hatte, inmitten all der Tränen und der schockierten Gesichter der New Yorker, inmitten der tödlichen Luft die wir bei unserer Arbeit am Ground Zero einatmeten, inmitten des Schreckens meiner Kinder diesem Verbrechen gegen die Menschlichkeit so nah gewesen zu sein, inmitten all dessen, hatte ich einen Funken Hoffnung in der naiven Annahme, daß daraus etwas Gutes entstehen könnte.

Ich stellte mir vor, wie unsere Anführer diesen Moment der Einigkeit in Amerika nutzten, diesen Moment, wo niemand über Demokraten gegen Republikaner reden wollte, schwarz gegen weiß, oder irgendeinen anderen lächerlichen Unterschied, der unsere öffentlichen Reden dominiert. Ich stellte mir vor, wie unsere Anführer im Fernsehen unseren Bürgern sagten, daß, obwohl wir alle am Ground Zero sein wollten, wir dies nicht könnten, daß aber in ganz Amerika viel zu tun sei. Unsere Hilfe wird in Gemeindezentren gebraucht um Kinder das Lesen zu lehren. Unsere Hilfe wird in Altenheimen gebraucht, um die Einsamen und Schwachen zu besuchen; in heruntergekommenen Vierteln, um Häuser wieder aufzubauen und Parks zu säubern und verlassene Plätze in Baseballplätze zu verwandeln. Ich stellte mir eine Führungsspitze vor, die diese unglaubliche Energie, diese Freigiebigkeit nehmen würde um daraus ein neues Amerika, geboren aus dem Chaos und der Tragödie des 11.9., zu schaffen, eine neue Einheit, die Terroristen eine Botschaft senden würde: Wenn ihr uns angreift, werden wir stärker, sauberer, gebildeter und geeinter werden. Ihr werdet unsere Verpflichtung gegenüber Recht und Demokratie durch eure unmenschlichen Angriffe auf uns stärken. Wie ein Phönix aus der Asche werden wir wiedergeboren werden.

Und dann kam die Ansprache: Ihr seid entweder für uns oder gegen uns. Und die Bombardierungen fingen an. Und das alte Verhaltensmuster wurde fortgesetzt als unser Anführer uns aufforderte, unseren Patriotismus zu zeigen, indem wir Einkaufen gingen und freiwillig Gruppen beitraten, die ihre Nachbarn für jegliches verdächtiges Verhalten anzeigten.

In den 19 Monaten seit dem 11.9. mußten wir zusehen, wie unsere Demokratie von Angst und Haß aufgeweicht wurde. Grundlegende, unwiderrufliche Rechte wie die Unverletzbarkeit der Wohnung wurden in diesem Klima der Angst schnell aufgeweicht. Eine vereinte amerikanische Öffentlichkeit ist jetzt tief gespalten und eine Weltbevölkerung, die uns tiefe Sympathie und Unterstützung entgegenbrachte ist jetzt verachtend und mißtrauisch. Sie sieht uns jetzt, wie wir einst die Sowjetunion sahen, als einen Schurkenstaat.

Letztes Wochenende sind Susan (Sarandon, seine Ehefrau), ich und die drei Kinder nach Florida zu einem Familientreffen gefahren. Zwischen all dem Tanzen, dem Alkohol und den Kindern gab es natürlich auch Gespräche über den Krieg. Und das erschreckendste an dem ganzen Wochenende war die Häufigkeit, mit der uns jemand dafür dankte, daß wir öffentlich unsere Meinung gegen den Krieg vertraten, während die Person mit der wir sprachen es für zu gefährlich hielt, das in seiner eigenen Gemeinschaft, in seinem eigenen Leben zu tun. Redet weiter darüber, sagten sie; ich habe es nicht über die Lippen gebracht.

Ein Verwandter erzählt mir, daß ein Geschichtslehrer seinem 11-jährigen Sohn, meinem Neffen, erzählt hat, daß Susan Sarandon durch ihre Opposition zum Krieg die Truppen in Gefahr bringe. Ein anderer Lehrer an einer anderen Schule fragte unsere Nichte, ob wir zu der Schulaufführung kommen würden. Sie sind hier nicht willkommen, sagte die Formerin der jungen Geister.

Eine andere Verwandte erzählt mir von der Entscheidung einer Schulleitung, eine Schweigeminute für die Toten des Krieges abzusagen weil die Schüler die toten irakischen Zivilisten in ihr Gebet aufnehmen wollten.

Ein Lehrer an der Schule eines anderen Neffen wurde entlassen, weil er ein T-Shirt mit einem Peace-Zeichen getragen hatte. Und ein Freund der Familie erzählt, wie er im Süden im Radio den Talkshowmoderator hörte, als dieser dazu aufrief, einen bekannten Kriegsgegner zu ermorden.

Todesdrohungen sind auf den Türschwellen anderer prominenter Kriegsgegner aufgetaucht. Verwandte von uns haben bedrohende Emails und Telephonanrufe erhalten. Und mein 13 Jahre alter Junge, der nie irgendjemand etwas getan hat, wurde vor kurzem von einem sadistischen Penner beschämt und erniedrigt, der seine Nachrichten mit seinen Fingernägeln in den Schmutz schreibt, oder besser, kratzt.

Susan und ich wurden als Verräter, als Unterstützer Saddams und zahlreichen anderen Beinamen bedacht von den australischen Schmierblättern (der Besitzer von Fox News, der New York Post und weiterer Blätter, Rupert Murdoch, ist Australier), die sich als Zeitungen ausgeben und von ihrem fairen und ausgewogenen elektronischen Cousin, 19th Century Fox (Gelächter). Entschuldigung an Gore Vidal. (Applaus)

Vor zwei Wochen sagte United Way Susans Auftritt bei einer Konferenz über weibliche Führung ab. Und uns beiden sagte man letzte Woche, daß wir und das First Amendment nicht in der Baseball Hall of Fame willkommen sind.

Ein berühmter Rock and Roll-Star mittleren Alters rief mich letzte Woche an, um mir für mein offenes Reden zu danken, und dann fortzufahren, daß er selbst nicht offen seine Meinung sagen könne, weil er Angst vor der Reaktion von Clear Channel habe. "Sie promoten unsere Konzertauftritte", sagte er. "Ihnen gehören die meisten Sender, die unsere Musik spielen. Ich kann mich nicht öffentlich gegen den Krieg aussprechen."

Und hier in Washington findet sich Helen Thomas in die hinterste Ecke des Raums verbannt und nicht mehr aufgerufen, nachdem sie Ari Fleischer gefragt hat, ob es auch gegen die Genfer Konvention verstoßen hat, daß wir Kriegsgefangene in Guantanamo Bay im Fernsehen gezeigt haben.

Ein kalter Wind weht in diesem Land. Eine Botschaft wird durch das Weiße Haus und seine Freunde im Radio und Clear Channel und Cooperstown verbreitet. Wenn du dich dieser Regierung entgegenstellst kann und wird es Hindernisse geben.

Jeden Tag sind die Funkwellen voll mit Warnungen, verdeckten und offenen Drohungen, ausgespiehenen Schmähungen und Hass gegen jeden Andersdenkenden. Und die Öffentlichkeit, wie ich es bei so vielen Verwandten und Freunden letztes Wochenende gesehen habe, sitzt da in stiller Opposition und Angst.

Ich kann nicht mehr hören, daß Hollywood gegen den Krieg sei. Hollywoods hohen Tiere, die wirklich Mächtigen und die Titelblattstars sind zu dem Thema sehr ruhig gewesen. Aber Hollywood, die Idee, war schon immer ein beliebtes Ziel.

Ich erinnere mich, als die Schüsse an der Columbine High School fielen. Präsident Clinton kritisierte Hollywood, weil es zu der schrecklichen Tragödie beigetragen habe - und das zu einer Zeit, als wir Bomben über dem Kosovo abwarfen. Könnten die gewalttätigen Taten unserer Anführer irgendwie zu den gewalttätigen Phantasien der Teenager beigetragen haben? Oder ist es nur Hollywood und Rock'n Roll?

Ich erinnere mich, damals gelesen zu haben, daß einer der Schützen damals versucht hat, sich für den richtigen Krieg anwerben zu lassen. Eine Woche, bevor er seinen Krieg an der Columbine führte. Ich sprach damals in der Presse darüber. Und interessanterweise warf mir zu der Zeit niemand vor, unpatriotisch zu sein, weil ich Clinton kritisierte. Tatsächlich ist es so, daß die gleichen Radiopatrioten, die uns heute Verräter nennen, damals, zur Zeit des Kosovokriegs, täglich ihren Präsidenten angriffen.

Jetzt haben die Politiker, die Gewalt in den Filmen verteufeln - die "Hollywood-hat-immer-Schulder" (Blame Hollywooders), wenn Sie so wollen - unlängst unseren Präsidenten ermächtigt, wirklich Gewalt in unserem momentanen Krieg zu entfesseln. Sie wollen, aß wir mit der vorgetäuschten Gewalt aufhören, aber die echte ist für sie in Ordnung.

Und die gleichen Leute, die die wirkliche Gewalt im Krieg tolerieren wollen sie nicht in den Spätnachrichten sehen. Anders als im Rest der Welt bleibt unsere Kriegsberichterstattung sauber, ohne einen Tropfen Blut eines unserer Soldaten oder der Frauen und Kinder des Irak. Gewalt als eine Idee, eine Abstraktion - es ist sehr eigenartig.

Wir applaudieren dem harten Realismus der Eröffnungsszene von "Saving Private Ryan" und gleichzeitig verkriechen wir uns bei dem Gedanken, das gleiche in den Spätnachrichten zu sehen. Man sagt uns, das wäre pornographisch. Wir wollen keinen Teil der Realität in unserem Leben. Wir verlangen, daß der Krieg sorgfältigst auf unsere Bildschirme gebracht wird, aber daß der Krieg im richtigen Leben vorgestellt und konzeptionalisiert bleibt.

Und wo ist in dem ganzen Wahnsinn die politische Opposition? Wo sind all die Demokraten hin? Lang, lang ist es her. (Applaus.) Mit einer Entschuldigung an Robert Byrd muß ich sagen, daß es ziemlich beschämend ist, in einem Land zu leben, in dem ein 1,55 Meter großer Komödiant mehr Mumm hat als die meisten Politiker. (Applaus.) Wir brauchen Führer, keine Pragmatiker, die versuchen, bei ehemaligen Unterhaltungsjournalisten gut wegzukommen. Wir brauchen Führer, die die Verfassung verstehen, Kongressabgeordnete, die nicht in einem Augenblick der Angst ihrer größten Macht entsagen, der Macht, der Exekutive den Krieg zu erklären. Und, bitte, können wir mit dem Nachplappern im Kongreß aufhören? (Applaus.)

In dieser Zeit, wo eine Bevölkerung der Befreiung eines Landes applaudiert, wo es um die eigene Freiheit fürchtet, wo ein Regierungsmitglied einen Angriff losläßt, in dem er den Patriotismus eines beinamputierten Vietnamveterans, der sich für den Kongreß bewirbt, anzweifelt, wo Menschen überall im Land Repressalien fürchten wenn sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben, ist es an der Zeit, wütend zu werden. Es ist an der Zeit, grimmig zu werden. Und es braucht nicht viel, das Ruder herumzureißen. Mein 11-jähriger Neffe, den ich schon erwähnte, ein schüchterner Junge der nie in der Klasse spricht, stand auf, als der Lehrer Susans Patriotismus anzweifelte. "Die Frau, über die Sie da sprechen ist meine Tante. Hören Sie auf damit." Und der erstaunte Lehrer machte einen Rückzieher und begann, beschämt Komplimente zu stammeln.

Sportjournalisten im ganzen Land reagierten mit so überwältigender Wut auf die Hall of Fame, daß der Präsident der Hall zugab, einen Fehler gemacht zu haben und die Major League Baseball jede Verbindung mit den Handlungen des Präsidenten der Hall bestritt. Ein Stier kann gestoppt werden und ebenso ein Mob. Man braucht nur eine Person mit dem Mut und einer entschlossenen Stimme.

Die Journalisten in diesem Land können zurückschlagen gegen die, die unsere Verfassung im Patriot Act II, oder "Patriot, die Fortsetzung" wie wir es in Hollywood nennen würden, umschreiben wollen. Wir zählen auf Euch, in dem Film mitzuspielen. Journalisten können darauf bestehen, nicht als Publizisten dieser Regierung benutzt zu weerden. (Applaus.) Der nächste Journalist im Weißen Haus, dem von Ari Fleischer das Wort gegeben wird, sollte seine Frage zurückstellen und nach hinten weitergeben, an den verbannten Journalisten des Tages. (Applaus.) Und jeder Versuch, jemand bei seiner freien Meinungsäußerung einzuschüchtern sollte bekämpft werden. An diesem Punkt wird jede Einwilligung und jede Einschüchterung zu weiteren Einschüchterungen führen. Sie haben, ob Ihnen das gefällt oder nicht, eine unglaubliche Verantwortung und eine unglaubliche Macht: die Zukunft der politischen Meinngsbildung, die Gesundheit dieser Republik, liegt in Ihren Händen, egal, ob sie mit links oder mit rechts schreiben. Dies ist Ihre Zeit und die Bestimmung, die Sie gewählt haben.

Wir legen die Zukunft unserer Demokratie auf Ihre Tische und vertrauen darauf, daß Ihre Stifte mächtiger sein werden. Millionen sehen in stiller Frustration wartend zu und hoffen - hoffen, daß jemand den Geist und die Buchstaben unserer Verfassung verteidigt und den Einschüchterungen trotzt, die man uns täglich im Namen der nationalen Sicherheit und eines verdrehten Patriotismusses angedeihen läßt.

Unsere Fähigkeit anderer Meinung zu sein und unser naturgegebenes Recht, unsere Führer anzuzweifeln und ihre Taten zu kritisieren, definieren wer wir sind. Zuzulassen, daß diese Rechte genommen werden, daß Menschen wegen ihrer Ansichten bestraft werden, daß der Zugriff auf unterschiedliche Standpunkte in den Medien eingeschränkt wird, heißt, die Niederlage unserer Demokratie einzugestehen. Dies sind herausfordernde Zeiten. Es gibt eine Welle des Hasses, die versuchts uns zu teilen - links und rechts, für den Krieg und gegen den Krieg. Im Namen meines 11 Jahre alten Neffen und all der anderen unbekannten Opfer dieser feindlichen und unproduktiven Umwelt der Angst, laßt uns versuchen, unseren gemeinsamen Standpunkt als eine Nation zu finden. Laßt uns dieses großartige und glorreiche Experiment feiern, daß 227 Jahre überlebt hat. Dafür müssen wir die Dinge, die uns einen, ehren und verteidigen. Dinge wie Freiheit, das First Amendment und, ja, Baseball. (Applaus.)








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