Vor einigen Wochen wurden in Qatar die 15. Asiatischen Spiele, die "Asiad", abgehalten. Die israelischen Medien behandelten dieses Sportereignis mit einer Mischung von Spott und Mitleid. Eine Art pittoresker asiatischer Zirkus. Unser Fernsehen zeigte einen exotischen Reiter mit Kufiya, wie er bei der Eröffnungsfeier eine edle Stute eine steile Treppe hochtrieb, um die olympische Flamme zu entzünden. Und das war’s dann. Eine Frage wurde in den Medien überhaupt nicht gestellt: warum sind wir nicht dabei? Liegt Israel nicht in Asien? Daran dachte man überhaupt nicht. Wir? In Asien? Warum? Als ich das Ereignis auf Aljazeera verfolgte, erinnerte ich mich auf einmal eines privaten Jahrestages, der mir völlig entfallen war. Genau vor 60 Jahren gründeten einige junge Leute eine Gruppe, die sich auf Hebräisch "Junges Erez Israel" und auf Arabisch "Junges Palästina" nannte. Mit Geld aus unseren eigenen Taschen (zu jener Zeit waren wir alle ziemlich arm) veröffentlichten wir von Zeit zu Zeit Ausgaben einer Monatszeitschrift, die wir Bamaavak ("Im Kampf") nannten. Bamaavak verursachte viel Wirbel, weil sie empörend ketzerische Meinungen veröffentlichte. Im Gegensatz zu den vorherrschenden zionistischen Schilderungen behauptete sie, daß wir, die junge im Lande aufwachsende Generation, eine neue Nation bilden, die hebräische Nation. Nicht wie die uns vorausgegangene Gruppe der "Kanaaniter" erklärten wir, daß (a) die neue Nation ein Teil des jüdischen Volkes sei, so wie Australien ein Teil des angelsächsischen Volkes ist und (b) sie eine Schwesternation der neu erwachten arabischen Nation im Lande und in der Region sei. Und, was nicht weniger wichtig ist: da die neue hebräische Nation in diesem Lande geboren wurde und dieses Land zu Asien gehört, sind wir eine asiatische Nation, ein natürlicher Verbündeter aller asiatischen und afrikanischen Nationen, die für die Befreiung vom Kolonialismus kämpfen. Am Mittwoch, dem 19.März 1947, ein paar Monate nachdem die erste Auflage von Bamaavak erschienen war, berichtete die hebräische Tageszeitung Haboker: „Anläßlich der Eröffnung der Panasiatischen Konferenz in Neu Delhi sandte die Gruppe "Junges Erez Israel" ein Telegramm an Jawaharlal Nehru: 'Bitte nehmen Sie zu Ihrer historischen Initiative unsere Glückwünsche entgegen. Mögen sich die Hoffnungen auf Freiheit für die Völker des neuen Asien, von ihrem mutigen Beispiel angeregt, vereinigen. Lang lebe das vereinte und hochstrebende junge Asien, die Vorhut von Brüderlichkeit und Fortschritt.'" Eine ähnliche Meldung erschien am selben Tag auf der Titelseite der Palestine Post (der Vorgänger der Jerusalem Post) mit den Namen der Unterzeichner: Uri Avnery, Amos Elon und Ben-Ami Gur. Bamaavak erschien unregelmäßig, wenn wir gerade genügend Geld hatten, bis zum Ausbruch des Krieges von 1948. In der hebräischen Presse waren mehr als 100 Reaktionen veröffentlicht, fast alle von ihnen negativ, viele schmähend. Der berühmte Autor Moshe Shamir, damals ein Linker, machte ein nettes Wortspiel und nannte uns Bamat-Avak ("Staubbühne"). Als der Krieg ausbrach, wurde dieses ganze Kapitel überschattet und vergessen. Aber fast alles, was wir vor 60 Jahren sagten, ist bis zum heutigen Tag relevant geblieben. Und die relevanteste Frage ist: Zu welchem Kontinent gehört der Staat Israel eigentlich? Ich glaube, daß eine der tiefsten Ursachen für den historischen Konflikt zwischen uns und der arabischen Welt im allgemeinen und mit dem palästinensischen Volk im besonderen die Tatsache ist, daß die zionistische Bewegung vom ersten Tag an erklärte, sie gehöre nicht zu der Region, in der wir leben. Vielleicht ist dies einer der Gründe, daß sogar nach vier Generationen diese Wunde noch nicht geheilt ist. In seinem Buch "Der Judenstaat", dem Gründungsdokument der zionistischen Bewegung, hat Theodor Herzl den berühmten Satz geschrieben: "Für Europa werden wir (in Palästina) ein Stück des Walles gegen Asien bilden ... den Vorposten der Kultur gegen die Barbarei..." Diese Haltung ist typisch für die ganze Geschichte des Zionismus' und des Staates Israels bis heute. Vor ein paar Wochen erklärte der israelische Botschafter in Australien, daß "Asien der gelben Rasse angehört, während wir Weiße sind und keine Schlitzaugen haben." Herzl kann man vielleicht vergeben, er ist ein klassisches Beispiel für einen Europäer, der in einer Zeit gelebt hat, als die Ideologie des Imperialismus Europa beherrschte. Aber heute, vier Generationen später, verfolgen die, die im Lande geboren sind und die die öffentliche Meinung bilden, diesen Weg weiter. Der frühere Premierminister Ehud Barak erklärte, Israel sei „eine Villa mitten im Dschungel“, (natürlich dem arabischen Dschungel) und diese Haltung wird praktisch von all unseren Politikern geteilt. Tzipi Livni spricht gern über die "gefährliche Nachbarschaft", in der wir leben und der Hauptberater Ariel Sharons sagte einmal, es werde keinen Frieden geben, bis sich "die Palästinenser in Finnen verwandelten". Unsere Fußball- und Basketball-Teams spielen in der Europäischen Liga, der Eurovision Song Contest ist in Israel ein nationales Ereignis, 95 Prozent unserer politischen Aktivitäten sind auf Europa und Nordamerika konzentriert. Aber das Phänomen erstreckt sich weit über die politische Arena hinaus – es ist eine„Weltanschauung“ im buchstäblichen Sinne. In unserer Welt ist Israel ein Teil Europas. In den 50ern, als ich Herausgeber des Nachrichtenmagazins Haolam Hazeh war, veröffentlichte ich einmal eine Karikatur, auf die ich heute noch stolz bin: sie zeigte eine Karte des östlichen Mittelmeers, mit einem Arm, der aus Griechenland ausgestreckt eine Schere hielt, die Israel von Asien abschnitt. Schade, daß ich nicht noch eine zweite Zeichnung hinzufügte, die Israel an die Küste Frankreichs oder noch besser, an Miami legte. Heutzutage wäre es schwierig, jemanden zu finden, der behaupten würde, Asien - Indien, China - sei barbarisch. Man kann aber leicht Leute in Israel und im ganzen Westen finden, die die arabische Welt ja, tatsächlich die ganze muslimische Welt, als "Dschungel" empfinden. Mit solch einer Haltung kann man keinen Frieden machen. Schließlich macht man mit Giftschlangen und gefräßigen Raubkatzen keinen Frieden. Während der Bamaavak-Zeit prägten wir den Spruch "Integration im semitischen Raum". Aber wie kann man sich in eine Region integrieren, die man als Dschungel betrachtet? Eine Weltanschauung ist keine akademische Angelegenheit. Sie hat großen Einfluß auf das tatsächliche Leben. Sie beeinflußt die Menschen wenn sie bewußt ist, aber mehr noch mehr, wenn sie unbewußt ist. Sie formt die praktischen Entscheidungen, ohne daß sich die Entscheider dessen bewußt sind. Auch Politiker sind nur (im besten Fall) Menschen und ihre Handlungen sind durch ihre verborgenen Vorstellungen bestimmt. In Israel pflegen wir nicht hinterfragte "Konzepte" als die Ursache all unserer Fehler und Niederlagen zu betrachten. Aber was ist ein "Konzept" anderes als der Ausdruck einer unbewußten Weltanschauung? Die Weltanschauung beeinflußt viele Aspekte des Staates. Sie ist das Kernstück des Bildungssystems, das die Meinung der nächsten Generation formt. Wir haben vielleicht das einzige Bildungssystem in der Welt, das nicht die Geschichte seines Landes lehrt. In unseren Schulen wird sehr wenig über die Vergangenheit des Landes gelehrt. Stattdessen wird die Geschichte „des jüdischen Volkes“ gelehrt. Das beginnt mit den alten israelitischen Königreichen vor dem 6. Jahrhundert v.Chr ("der Erste Tempel"), dann die jüdische Gemeinde im Lande vor und kurz nach Beginn der christlichen Ära ("der Zweite Tempel"). Dann verlässt sie das Land und lebt in der jüdischen Diaspora für mehr als tausend Jahre, bis die zionistische Besiedlung beginnt. Fast 2.000 Jahre der Geschichte des Landes verschwinden aus der Schule. Ich sprach einmal darüber bei einer Rede in der Knesset. Ich sagte, ein israelisches, hier im Lande geborenes Kind – egal ob jüdisch oder arabisch – solle auch die Geschichte des Landes kennenlernen, einschließlich aller Perioden und Völker: der Kanaaniter, Israeliten, Hellenen, Römer, Araber, Kreuzfahrer, Mameluken, Türken, Briten, Palästinenser, Israelis und anderer. Außerdem könnte die Geschichte der Juden in der Diaspora gelehrt werden. Der in Rußland geborene Bildungsminister antwortete humorvoll und bestand darauf, mich seitdem "den Mameluken" zu nennen. In letzter Zeit wurde es für Politiker und Kommentatoren in Israel Mode, über die Gefahr einer Vernichtung zu sprechen, die – wie sie behaupten - Israel bedrohe. Es ist kaum zu glauben: der Staat Israel ist eine regionale Supermacht, seine Wirtschaft ist robust und wächst weiter, seine technologische Entwicklungsstufe ist eine der höchsten in der Welt, seine Armee ist stärker als alle arabischen Armeen zusammen, es hat ein großes Arsenal von Atomwaffen. Selbst wenn die Iraner eine eigene Bombe hätten, wären sie wahnsinnig, sie einzusetzen - aus Angst vor dem israelischen Gegenschlag. Woher kommt also die Angst vor Vernichtung im 59. Jahr des Staates? Teilweise mag es mit der Erinnerung an den Holocaust zusammenhängen, der tief in die nationale Mentalität eingeprägt ist. Aber der andere Teil kommt aus dem Gefühl, nicht dazuzugehören, der Zeitweiligkeit, des Mangels an Verwurzelung. Das hat natürlich auch interne Auswirkungen. Das Bewußtsein beeinflußt die praktischen Interessen. Die Behauptung, wir seien ein europäisches Volk, stärkt automatisch die Position der herrschenden Klasse, die vorwiegend ashkenasisch-europäisch ist, gegenüber der Mehrheit der Bürger Israels, die asiatisch-afrikanisch jüdischer und palästinensisch-arabischer Herkunft sind. Die tiefe Verachtung ihrer Kultur, die den Staat vom ersten Tage an begleitete, erleichtert ihre Diskriminierung auf vielen Gebieten. Die Veränderung des Bewußtseins einer Gemeinschaft ist keine kurzfristige Sache. Sie kann nicht durch Verordnungen erreicht werden. Es ist ein langsamer und schrittweiser Prozeß. Aber an einem gewissen Punkt müssen wir damit anfangen und zuallererst im Bildungssystem. Ich begann meine Broschüre "Krieg oder Frieden im semitischen Raum", die im Oktober 1947 veröffentlicht wurde, nur wenige Wochen vor Beginn des Krieges von 1948 mit den Worten: "Als unsere zionistischen Väter entschieden, eine 'sichere Heimstätte' in Erez Israel zu schaffen, hatten sie die Wahl zwischen zwei Wegen: sie konnten sich als europäische Eroberer in Westasien und als Brückenkopf der 'weißen' Rasse und als Herren über die 'Eingeborenen' darstellen ... (oder) sich als ein asiatisches Volk betrachten, das in seine Heimat zurückkehrt." Als ich diese Worte schrieb, war der Aufstieg Asiens noch ein Traum. Der 2.Weltkrieg war erst vor zwei Jahren beendet worden, und die USA sahen wie eine allmächtige Supermacht aus. Aber nun findet eine stille Revolution großen Ausmaßes statt. Die Nationen Asiens, von China und Indien angeführt, werden wirtschaftliche und politische Großmächte. Sollten wir uns nicht langsam diesem Lager zuwenden? Die Broschüre endete vor 60 Jahren mit den Worten eines hebräischen Liedes: "Unsere Gesichter sind der aufgehende Sonne zugewandt / Gen Osten unser Weg heimwärts ..." Impressum und Datenschutz contact: E-Mail |