www.freace.de
Impressum und Datenschutz

Nachrichten, die man nicht überall findet.





Eine Freiheitsfahrt

Die Zwei-Staaten-Lösung als einzige Chance für Israel und Palästina

24.01.2007  


Uri Avnery
Übersetzung Ellen Rohlfs




Mahatma Gandhi hätte es geliebt. Nelson Mandela hätte es begrüßt. Martin Luther King wäre sehr aufgeregt gewesen – es hätte ihn an frühere Zeiten erinnert.

Am vergangenen Freitag hätte eine Verordnung des Generals Yair Naveh, kommandierender Offizier des Abschnitts Mitte, inkrafttreten sollen. Sie verbietet israelischen Fahrern, in den besetzten Gebieten einen palästinensischen Passagier mitzunehmen. Der eine gestrickte Kippah tragende General, ein Freund der Siedler, rechtfertigte diese Verordnung als eine unerläßliche Notwendigkeit für die Sicherheit. In der Vergangenheit haben Bewohner der West Bank zuweilen israelisches Gebiet in israelischen Fahrzeugen erreicht.

Israelische Friedensaktivisten entschieden, daß gegen diese widerliche Verordnung protestiert werden müsse. Mehrere Organisationen planten für genau den Tag, an dem sie inkrafttreten sollte, eine Protestaktion. Sie organisierten eine „Freiheitsfahrt“ israelischer Autobesitzer, die in die West Bank fahren (auch dies schon eine Straftat) und Palästinenser mitnehmen sollten, die sich freiwillig für diese Aktion gemeldet hatten.

Die Vorbereitung eines eindrucksvollen Ereignisses. Israelische Fahrer und palästinensische Passagiere, die offen das Gesetz brechen und dabei Verhaftung und ein Gerichtsverfahren vor einem Militärgericht in Kauf nehmen.

Im letzten Augenblick wurde der Befehl von dem General "eingefroren". Die Demonstration wurde abgesagt.

Der aufgeschobene (aber nicht offiziell aufgehobene) Befehl roch stark nach Apartheid. Er gehört zu einer Reihe von Maßnahmen der Besatzungsbehörden, die an das rassistische Regime Südafrikas erinnern, wie zum Beispiel der systematische Bau von Straßen in der West Bank, die nur für Israelis bestimmt sind und auf denen Palästinenser nicht fahren dürfen. Oder das "befristete" Gesetz, das Palästinensern in den besetzten Gebieten, die israelische Staatsbürger geheiratet haben, verbietet, mit ihrem israelischen Ehepartner in Israel zusammenzuleben. Und, am wichtigsten, die Mauer, die offiziell "Trennungsbarriere" genannt wird. In Afrikaans bedeutet "Apartheid" Trennung.

Die "Vision" von Ariel Sharon und Ehud Olmert läuft auf die Errichtung eines "palästinensischen Staates" hinaus, der nicht mehr wäre als eine Anzahl palästinensischer Inseln in einem israelischen Meer. Es ist ziemlich einfach, Ähnlichkeiten zwischen den geplanten Enklaven und den "Bantustans" zu entdecken, die vom dem weißen Regime in Südafrika errichtet worden waren - die sogenannten "Homelands", in denen die Schwarzen sich angeblich einer gewissen "Selbstverwaltung" erfreuen sollten, die aber tatsächlich nichts anderes als rassistische Konzentrationslager waren.

Deswegen haben wir Recht, wenn wir den Begriff "Apartheid" in unserem täglichen Kampf gegen die Besatzung verwenden. Wir sprechen von der "Apartheidsmauer" und "Apartheidsmethoden". Der Befehl von General Naveh hat praktisch dem Gebrauch dieses Begriffs die offizielle Genehmigung erteilt. Sogar Institutionen, die weit entfernt vom radikalen Friedenslager sind, setzen sie in Verbindung mit dem Apartheidssystem.

Deshalb ist der Titel von Jimmy Carters neuem Buch – "Palestine - Peace not Apartheid" ("Palästina - Frieden, nicht Apartheid") - völlig gerechtfertigt. Der Titel erregte den Zorn der „Freunde Israels“ sogar noch mehr, als der Inhalt des Buches selbst. Wie konnte er dies wagen? Israel mit dem anrüchigen rassistischen Regime zu vergleichen? Zu behaupten, daß die Regierung Israels von Rassismus motiviert sei, wenn alle ihre Maßnahmen doch nur von der Notwendigkeit motiviert seien, seine Bürger vor arabischen Terroristen zu schützen? (Übrigens ist auf dem Umschlag des Buches ein Photo einer Demonstration gegen die Mauer, die von Gush Shalom und Ta’ayush organisiert wurde, zu sehen. Carters Blick ist einem unserer Poster zugewandt, auf dem steht: "Die Mauer – Gefängnis für Palästinenser, Ghetto für Israelis".)

Es scheint, als sei Carter selbst nicht ganz glücklich über die Verwendung dieses Begriffes gewesen. Er deutete an, daß er auf Bitte des Verlags hinzugefügt wurde, der dachte, ein provokativer Titel würde mehr Öffentlichkeit bringen. Wenn dem so ist, dann war der Plan erfolgreich. Die berühmte jüdische Lobby wurde vollständig mobilisiert. Carter wurde als Antisemit und als Lügner an den Pranger gestellt. Die Debatte über den Titel trat an die Stelle einer Debatte über die im Buch dargestellten Fakten, die nicht ernsthaft infrage gestellt wurden. Das Buch ist bisher nicht auf Hebräisch erschienen.

Aber wenn wir den Begriff "Apartheid" benutzen, um die Situation in den besetzten Gebieten zu beschreiben, müssen wir uns der Tatsache bewußt sein, daß die Ähnlichkeit zwischen der israelischen Besatzung und dem weißen Regime in Südafrika nur die Methoden betrifft, nicht die Substanz. Dies muß ganz klar gemacht werden, um große Irrtümer in der Analyse der Situation und den daraus resultierenden Schlüssen zu verhindern.

Es ist immer riskant, Vergleiche mit anderen Ländern und Zeiten zu ziehen. Keine zwei Länder und keine zwei Situationen sind genau gleich. Jeder Konflikt hat seine besonderen historischen Wurzeln. Selbst wenn die Symptome gleich sind, kann es eine vollkommen andere Krankheit sein.

Diese Vorbehalte gelten alle bei dem Vergleich zwischen dem israelisch-palästinensischen Konflikt und dem historischen Konflikt zwischen den Weißen und den Schwarzen in Südafrika. Es genügt, auf ein paar grundlegende Unterschiede hinzuweisen:
  1. In Südafrika war es ein Konflikt zwischen Schwarzen und Weißen, die aber beide darin übereinstimmten, daß der Staat selbst intakt bleiben müsse. Es gab nur die Frage, wer ihn regieren solle. Fast keiner schlug eine Teilung des Landes zwischen Schwarzen und Weißen vor. Unser Konflikt ist einer zwischen zwei verschiedenen Nationen mit verschiedenen nationalen Identitäten, für beide ist es von höchstem Wert, einen eigenen Staat zu haben.
  2. In Südafrika war die Idee der „Trennung“ ein Instrument der weißen Minderheit, um die schwarze Mehrheit zu unterdrücken und die schwarze Bevölkerung wies dies einmütig zurück. Hier will die große Mehrheit der Palästinenser von Israel getrennt werden, um einen eigenen Staat zu gründen. Die große Mehrheit der Israelis will auch von den Palästinensern getrennt werden. Trennung ist also das Bestreben der Mehrheit auf beiden Seiten und die wirkliche Frage ist, wo die Grenze zwischen beiden verlaufen soll. Auf der israelischen Seite verlangen nur die Siedler und ihre Verbündeten, daß das ganze historische Gebiet vereinigt bleibt, und sprechen sich gegen die Trennung aus, um die Palästinenser ihres Landes zu berauben und ihre Siedlungen vergrößern zu können. Auf der palästinensischen Seite glauben die islamischen Fundamentalisten, das ganze Land sei ein "waqf" (ein religiöses Treuhandgut), und gehöre Allah und dürfe deshalb nicht geteilt werden.
  3. In Südafrika herrschte eine weiße Minderheit (etwa 10 Prozent) über eine große Mehrheit von Schwarzen (78 Prozent), Menschen gemischter Herkunft (7 Prozent) und Asiaten (3 Prozent). Hier, zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan leben jetzt 5,5 Millionen jüdische Israelis und etwa die gleiche Zahl palästinensischer Araber (einschließlich der 1,4 Millionen Palästinenser, die Bürger Israels sind).
  4. Die südafrikanische Wirtschaft gründete sich auf die Arbeit der Schwarzen und hätte gar nicht ohne sie existieren können. Hier ist es der israelischen Regierung gelungen, die nicht-israelischen Palästinenser vollständig aus dem israelischen Arbeitsmarkt auszuschließen und sie durch Fremdarbeiter zu ersetzen.
Es ist wichtig, auf diese grundlegenden Unterschiede hinzuweisen, um ernste Fehler in der Strategie des Kampf zur Beendung der Besatzung zu vermeiden.

In Israel und im Ausland gibt es Leute, die diese Analogie nennen, ohne entsprechende Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Konflikten zu lenken. Ihre Schlußfolgerung: die Methoden, die gegen Südafrika erfolgreich waren, können auch im Kampf gegen die Besatzung angewandt werden – insbesondere die Mobilisierung der öffentlichen Weltmeinung, einen internationalen Boykott und Isolierung.

Das erinnert an einen klassischen Irrtum, der gerne in Logikkursen gelehrt wird: ein Eskimo kennt Eis. Eis ist durchsichtig ist. Eis kann gekaut werden. Als er zum ersten Mal ein Glas Wasser bekommt, das auch durchsichtig ist, denkt er, er könne es kauen.

Zweifellos ist es wesentlich, die internationale öffentliche Meinung gegen die kriminelle Behandlung des palästinensischen Volkes durch die Besatzungsbehörden aufzurütteln. Wir tun dies täglich, genau, wie Jimmy Carter es jetzt tut. Jedoch muß klar sein, daß dies unendlich viel schwieriger ist als die Kampagne, die zum Sturz des südafrikanischen Regimes führte. Einer der Gründe: während des 2. Weltkrieges versuchten die späteren Herrscher Südafrikas die Anstrengungen gegen die Nazis zu sabotieren, und waren deshalb damals im Gefängnis und waren deshalb weltweit verhaßt. Israel wird von der Welt als der "Staat der Holocaustüberlebenden" angesehen und deshalb mit überwältigender Sympathie betrachtet.

Es ist ein ernster Fehler zu denken, daß die internationale öffentliche Meinung der Besatzung ein Ende setzen wird. Dies wird geschehen, wenn die israelische Öffentlichkeit selbst von der Notwendigkeit überzeugt ist, dies zu tun.

Dann gibt es noch einen anderen bedeutsamen Unterschied zwischen den beiden Konflikten, und dieser ist vielleicht der gefährlichste: in Südafrika hätte kein Weißer von einer ethnischer Säuberung geträumt. Selbst die Rassisten verstanden, daß das Land nicht ohne die schwarze Bevölkerung existieren könnte. Aber in Israel wird dieses Ziel ernsthaft erwogen, sowohl offen als auch insgeheim. Einer ihrer Hauptbefürworter, Avigdor Lieberman, ist ein Mitglied der Regierung und letzte Woche traf Condoleezza Rice ihn offiziell. Apartheid ist nicht die schlimmste Gefahr, die über den Köpfen der Palästinenser hängt. Sie sind von viel Schlimmerem bedroht: "Transfer", was totale Vertreibung bedeutet.

Einige Leute in Israel und in der Welt bringt die Apartheid-Analogie zu der logischen Schlußfolgerung: die Lösung hier wird dieselbe sein wie in Südafrika. Dort haben die Weißen nachgegeben und die schwarze Mehrheit kam an die Macht. Das Land blieb vereint. Dank seiner weisen Führer, angeführt von Nelson Mandela und Frederick Willem de Klerk, geschah dies ohne Blutvergießen.

In Israel ist das ein schöner Traum für das Ende aller Zeiten. Aufgrund der beteiligten Menschen und ihren Ängsten würde dies zwangsläufig zu einem Alptraum werden. In diesem Land gibt es zwei Völker mit sehr starkem nationalem Bewußtsein. Nach 125 Jahren Konflikt gibt es nicht die geringste Chance, daß sie zusammen in einem Staat leben, die gleiche Regierung teilen, in der gleichen Armee dienen und die gleichen Steuern zahlen würden. Wirtschaftlich, technologisch und bildungsmäßig ist die Kluft zwischen den beiden Bevölkerungen immens. In solch einer Situation würde es tatsächlich zu Machtverhältnissen wie denen im Südafrika der Apartheid kommen.

In Israel lauert der demographische Dämon. Es besteht unter Juden eine existenzielle Angst, daß sich das demographische Gleichgewicht selbst innerhalb der Grünen Linie ändern wird. Jeden Morgen werden die Babys gezählt – wie viele jüdische Babys wurden während der Nacht geboren und wie viele arabische. In einem gemeinsamen Staat würde die Diskriminierung sich verhundertfachen. Der Hang zum Enteignen und Vertreiben würde keine Grenzen kennen, die zügellose jüdische Siedlungsaktivität würde blühen, zusammen mit der Bemühung, die Araber mit allen nur möglichen Mitteln zu benachteiligen. Kurz gesagt: die Hölle.

Man mag hoffen, daß diese Situation sich in 50 Jahren verändern wird. Ich zweifle nicht daran, daß es am Ende eine Föderation zwischen den beiden Staaten geben wird, vielleicht einschließlich Jordaniens. Yasser Arafat hat mehrere Male mit mir darüber gesprochen. Doch weder die Palästinenser noch die Israelis können sich weitere 50 Jahre des Blutvergießens, der Besatzung und der schleichenden ethnischen Säuberung leisten.

Das Ende der Besatzung wird im Rahmen eines Friedensabkommens zwischen beiden Völkern kommen, die in zwei freien benachbarten Ländern leben werden - Israel und Palästina – mit der Grenze zwischen ihnen basierend auf der Grünen Linie. Ich hoffe, daß dies eine offene Grenze sein wird.

Dann - inshallah - werden Palästinenser problemlos in israelischen Fahrzeugen und Israelis in palästinensischen mitfahren können. Wenn diese Zeit gekommen ist, wird sich keiner mehr an General Yair Naveh erinnern oder sogar an seinen Chef, General Dan Halutz. Amen.





Zurück zur Startseite





Impressum und Datenschutz

contact: E-Mail