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"Wenn Arafat noch am Leben wäre..."

Hindernisse für den Frieden zwischen Israel und Palästina

02.02.2007  


Uri Avnery Übersetzung Ellen Rohlfs




"Wenn Arafat noch am Leben wäre..." Diesen Satz hört man nun immer öfter bei Gesprächen mit Palästinensern und auch mit Israelis und Ausländern.

"Wenn Arafat noch am Leben wäre, dann würde nicht geschehen, was jetzt im Gaza-Streifen geschieht..." - "Wenn Arafat noch am Leben wäre, dann hätten wir jetzt jemanden, mit dem wir reden könnten..." - "Wenn Arafat noch am Leben wäre, dann hätte der islamische Fundamentalismus unter den Palästinensern nicht gewonnen und hätte auch in den benachbarten Ländern etwas Macht verloren!"

Mittlerweile kommen auch die unbeantworteten Fragen wieder hoch: Wie starb Yasser Arafat? Wurde er ermordet? Wenn ja, wer ermordete ihn?

Auf dem Weg zurück von Arafats Begräbnis im Jahr 2004 traf ich auf Jamal Zahalka, ein Mitglied der Knesset. Ich fragte ihn, ob er glaubte, daß Arafat ermordet worden sei. Zahalka, ein promovierter Pharmakologe, antwortete ohne zu zögern: "Ja!" Das war auch mein Gefühl. Aber eine Ahnung ist noch kein Beweis. Sie ist nur ein Ergebnis von Intuition, gesundem Menschenverstand und Erfahrung.

Vor kurzem bekamen wir eine Art Bestätigung. Kurz bevor er starb, veröffentlichte Uri Dan, der fast 50 Jahren loyales Sprachrohr Ariel Sharons war, in Frankreich ein Buch. Es enthält einen Bericht über ein Gespräch, von dem Sharon ihm erzählt hatte und das dieser mit Präsident (George W.) Bush gehabt habe. Sharon hatte ihn um die Erlaubnis gebeten, Arafat töten zu lassen und Bush gab sie ihm unter dem Vorbehalt, daß es in einer Weise geschehen müsse, die nicht nachgewiesen werden könne. Als Dan Sharon fragte, ob dies geschehen sei, antwortet Sharon: "Darüber sollte man besser nicht reden." Dan nahm dies als Bestätigung.

Die Geheimdienste vieler Länder haben Gifte, die so gut wie nicht nachgewiesen werden können. Der Mossad versuchte Khaled Mashal, den Hamasführer, am helllichten Tag auf einer Hauptstraße in Amman umzubringen. Er wurde nur deshalb gerettet, weil die israelische Regierung gezwungen wurde, schnell das Gegengift zu jenem Gift zu liefern. Viktor Yushchenko, der Präsident der Ukraine, wurde vergiftet und wurde nur deshalb gerettet, weil die spezifischen verdächtigen Symptome rechtzeitig von Experten identifiziert werden konnten. Vor kurzem wurde Alexander Litvinenko, ein früherer russischer Spion, mit tödlichem Polonium-210 ermordet. Und wie viele Fälle sind unentdeckt geblieben?

Gibt es Beweise, daß Arafat von israelischen oder anderen Agenten ermordet wurde? Nein, es gibt keine. In der vergangenen Woche traf ich wieder auf Knessetabgeordneten Zahalka und wir kamen beide zu dem Schluß, daß der Verdacht wächst, während Arafats Abwesenheit jetzt mehr denn je spürbar ist.

Wenn Arafat noch am Leben wäre, dann gäbe es jetzt eine klare Adresse für Verhandlungen mit dem palästinensischen Volk.

Das behauptete Fehlen solch eines Adressaten dient der israelischen Regierung als offizieller Vorwand für ihre Weigerung, mit Friedensverhandlungen zu beginnen. Jedes Mal, wenn Condoleezza Rice oder ein anderer von Bushs Papageien über die Notwendigkeit spricht, "mit dem Dialog wieder aufzunehmen"(nicht zu reden von "Verhandlungen") über "den Endstatus" oder „ein dauerhaftes Abkommen" (nicht zu reden von "Frieden"), dann ist dies die Antwort von Tzipi Livni, Ehud Olmert & Co.

Dialog? Mit wem? Mit Mahmoud Abbas zu reden, hat keinen Sinn, weil er nicht in der Lage ist, seinen Willen dem palästinensischen Volk aufzuzwingen. Er ist kein zweiter Arafat. Er hat keine Macht. Und mit der Hamas-Regierung können wir ja wohl nicht reden; denn die gehört ja zu Bushs "Achse des Bösen". Also, was willst Du eigentlich, liebe Condi?

Tzipi Livni, Condis neuer Kumpel, geht noch weiter: Bei der Versammlung der Milliardärs-Kabale in Davos warnte sie Abbas öffentlich, ja keinen "Kompromiß mit Terroristen" einzugehen. Eine rechtzeitige Warnung. Verzweifelt darum bemüht, eine glaubwürdige palästinensische Rede zu halten, war Abbas gerade nach Damaskus geflogen, um Mashal zu treffen. Auf diese Weise hat er nebenbei öffentlich zugegeben, daß nichts ohne den Hamasführer getan werden kann, der so etwas wie ein palästinensischer Super-Präsident geworden ist.

Livni erkannte die Gefahr sofort und beeilte sich, diese Mission zu torpedieren. Es gibt keinen Dialog mit einer palästinensischen Einheitsregierung, genauso wenig wie mit Abbas oder Hamas. Ist das okay, Condi-Liebling?

Wenn man reine Freude sehen will, dann muß man nur die Gesichter der israelischen Korrespondenten ansehen, die jeden Abend im Fernsehen erscheinen und über die Ereignisse im Libanon berichten.

Welch eine Freude! Die "Christen und Sunniten" greifen shiitische Studenten in der arabischen Universität in Beirut an und töten sie. Jeden Augenblick kann ein neuer Bürgerkrieg ausbrechen. Sieh, eine interviewte sunnitische Studentin im Fernsehen sagt, daß "Nasr Allah schlimmer ist als Olmert!" Sieh noch einmal hin! Und noch einmal! Und noch einmal!

"Wenn zwei sich streiten, dann freut sich der dritte", sagt ein Sprichwort. Wenn ein Araber einen anderen schlägt – ob im Irak, in Gaza oder Beirut – dann strahlt die Regierung Israels und ihre Kommentatoren in den Medien. Das ist schon immer ein herrschendes Thema in Israel seit der Gründung des Staates gewesen, ja, sogar schon vorher: wenn Araber gegeneinander kämpfen, dann ist das gut für uns.

Im Krieg ergibt das Sinn. Eine Spaltung innerhalb der Feinde ist wie ein Geschenk. Im 1. Weltkrieg sandte der deutsche Generalstab Lenin im berühmten versiegelten Waggon nach Rußland zurück, in der Hoffnung, so einen Keil zwischen Russen und Briten und Franzosen treiben zu können. Im Krieg von 1948 wurden wir dadurch gerettet, daß die Armeen Ägyptens und Jordaniens mehr an einem Wettkampf untereinander interessiert waren, als an dem Kampf gegen uns. In den 80ern sandte die israelische Armee Offiziere in den Norden des Irak, um dort Mustafa Barzani zu helfen, die kurdische Region von Saddams Land zu trennen.

Das ist eine gute Strategie im Krieg, die Staaten seit Beginn der Geschichte anwandten. Israel ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Die Frage ist: ist dies eine gute Strategie, wenn man Frieden will.

WENN – "WENN" in Großbuchstaben – die Regierung Israels Frieden wünschte, dann würde sie die entgegengesetzte Strategie wählen.

In den 50ern, als David Ben-Gurion sein möglichstes tat, um Spaltungen zwischen Ägypten, Syrien und dem Irak zu fördern, war Nahum Goldmann, der prominenteste zionistische Diplomat, dagegen. Er behauptete, die vielen Konflikte zwischen den arabischen Führern seien für Israel eine Gefahr, weil jeder arabische Führer seinen Rivalen in seiner Feindlichkeit gegenüber Israel zu übertreffen versuche.

Heute wird das deutlicher denn je. Bush und seine Gefolgsmänner und -frauen versuchen, einen pro-amerikanischen Block aufzubauen, der aus Israel, Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien, Abbas und Siniora besteht. Auf der anderen Seite steht die "Achse des Bösen", bestehend aus dem Iran, Syrien, der Hizb Allah und der Hamas.

Die Führer Ägyptens, Jordaniens und Saudi-Arabiens geben hinsichtlich der palästinensischen Sache Lippenbekenntnisse ab, sind aber schnell bereit, diese für entsprechend großzügige amerikanische Hilfe zu verraten. Die israelische Regierung fühlt sich geehrt, sich in der Gesellschaft der drei bedeutenden Demokraten zu befinden: Präsident Hosni Mubarak und der beiden Könige Abd Allah.

Aber ist das gut für Israel? Es ist gut für die Fortsetzung des Krieges gegen die Palästinenser, für die Annektierung und den Bau von Siedlungen. Es ist nicht gut für die Beendigung des historischen Konflikts mit den Palästinensern, die Beendigung der Besatzung und das Niederlegen der Waffen.

Es gibt keine Chance, mit Mahmoud Abbas Frieden zu machen, noch würde ein solcher überhaupt Sinn machen, wenn er nicht die volle Unterstützung der Hamas hätte. Ja, selbst eine Fatah-Hamas-Partnerschaft würde nicht ausreichend sein, um Israel eine friedliche Zukunft zu garantieren. Sie bräuchte die Unterstützung der ganzen arabischen Welt.

Darin liegt die enorme Bedeutung der "arabischen Friedensinitiative", dem Vorschlag der Arabischen Liga, der bei der Gipfelkonferenz in Beirut 2002 angenommen wurde. Nur eine vereinigte palästinensische Führung, die den Rückhalt der ganzen arabischen Welt hat, kann solch ein revolutionäres historisches Unterfangen ausführen. Wir sollten also nicht nur nicht gegen diese Initiative sein, sondern sie tatsächlich sogar einfordern.

Die Bedingungen der arabischen Initiative sind die selben, die Yasser Arafat schon in den 70ern gesetzt hatte: einen palästinensischen Staat Seite an Seite mit Israel, dessen Grenze die Grüne Linie und dessen Hauptstadt Ost-Jerusalem ist; die Auflösung der Siedlungen; eine "vereinbarte Lösung" des Flüchtlingsproblems. Inoffiziell war Arafat mit einem Gebietstausch einverstanden, der es ermöglichen würde, daß einige Siedlungen nahe der Grünen Linie bestehen bleiben könnten. Es gibt praktisch keinen Palästinenser und keinen anderen Araber, der mit weniger einverstanden wäre. Den Palästinensern würden so auch gerade einmal 22 Prozent des historischen Palästinas bleiben.

Dies könnte erreicht werden, vorausgesetzt das palästinensische Volk wäre einig und die arabische Welt wäre einig. Das bedeutet die Einigkeit von Syrien, Hizb Allah, Hamas und auch des Irans, der natürlich nicht arabisch ist.

Wer also Frieden wünscht, der freut sich nicht angesichts des Blutvergießens im Gaza-Streifen und im Libanon. Wir sollten nicht lachen, wenn Araber Araber schlagen. Wehe solcher Schadenfreude!

Und natürlich wäre alles viel, viel einfacher, wenn Arafat noch am Leben wäre.





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