Vor kurzem erklärte der Chef des Shin Bet, daß die "israelischen Araber" – ein Fünftel der Bevölkerung Israels – für den Staat eine Gefahr darstellen. Er erbat sich die Genehmigung für den Allgemeinen Sicherheitsdienst gegen jeden vorgehen zu dürfen, der die offizielle Bezeichnung Israels als "jüdischer und demokratischer Staat" verändern will – auch dann, wenn er dabei nur legale Mittel anwendet. Daraus folgt, daß es nach Ansicht des Leiters des Sicherheitsdienstes, einer zentralen Figur innerhalb der israelischen Führung, nicht nur die Aufgabe des Shin Bet (in Israel jetzt allgemein als Shabak bekannt) ist, den Staat vor Spionen und Terroristen zu schützen, sondern auch vor jedweder Veränderung seiner ideologischen Bestimmung – wie der KGB in der früheren Sowjet-Union und die Stasi im kommunistischen Ostdeutschland. (Der exzellente, mit einem Oscar ausgezeichnete Film "Das Leben der anderen", der gerade in Israel läuft, zeigt, wie dies in der Praxis funktioniert hat.) All dies erinnert an frühere Ereignisse. Ziemlich naiv hatte ich gedacht, daß diese vergangenen Zeiten angehörten und nie wiederkehren würden. Vor zwei Wochen veröffentlichte die Boulevardzeitung Yedioth Aharonoth ein Interview mit dem Anwalt Arieh Hadar, Pashosh genannt, einem früheren Leiter der Verhörabteilung des Shin Bet. Pashosh enthüllte, daß "in den 50ern die großen Feinde der Arbeitspartei – und daher auch von Issar Harel, dem Leiter der Sicherheitsdienste, des Shin Bet und des Mossad - Uri Avnery und dessen Wochenmagazin Haolam Hazeh waren. Avnery nannte den Shin Bet den 'Apparat der Finsternis' und Issar war überzeugt, daß Uri Avnery den Staat zerstören würde. Avnery und sein Magazin standen unter ständiger Überwachung. Einer meiner Kollegen verdiente sich eine schnelle Beförderung, indem er einen der Angestellten der Haolam Hazeh-Druckerei anwarb. Jede Woche hat ihm dieser Angestellte eine geschmuggelte Kopie des Magazins einen Tag vor dem offiziellen Veröffentlichungstermin übergeben. Mein Kollege gab diese an Issar weiter, der sie jede Woche persönlich Ben-Gurion brachte." Pashosh fügte dem noch hinzu: "Issar ließ durch den Shin Bet ein konkurrierendes Magazin herausgeben - unter dem Deckmantel eines privaten Besitzers. Das Ziel war es, Avnery zu zerstören." Diese Enthüllungen waren für mich nichts neues. Vor Jahren verriet Issar Harel selbst, daß er mich als "Feind Nummer eins des Regimes" betrachtete. Man erinnert sich vielleicht daran, daß in jenen Tagen in unserem Redaktionsbüro und in der Druckerei drei Bomben gelegt und zwei Angestellte verletzt wurden. Die Finger meiner beiden Hände wurden bei einem (missglückten) Versuch, mich zu entführen, gebrochen. Keines dieser Verbrechen wurde jemals aufgeklärt. 1977, nachdem er an die Macht kam, enthüllte Menachim Begin in einem Interview, daß Ende der 50er Issar Harel auf ihn zukam und ihm sagte, er habe dem Premierminister Ben-Gurion vorgeschlagen, mich in "Administrativhaft" zu nehmen – eine Haft ohne Gerichtsverhandlung und für unbegrenzte Zeit. Ben-Gurion stimmte dem zu, stellte aber eine Bedingung: Begin, damals Führer der Opposition, müsse dem ebenfalls zustimmen, damit dies ruhig über die Bühne gehen könne. Begin verlangte von Issar, daß er ihm die Beweise vorlege, daß ich ein Verräter sei, andernfalls würde er dem nicht nur nicht zustimmen, sondern einen Mordskrach veranstalten. Issar erwähnte die Angelegenheit nie wieder. Begin ließ es nicht dabei bewenden. Er sandte mir seinen getreuen Mitarbeiter Yaakov Meridor, um mich zu warnen. Trotz der extremen Meinungsverschiedenheiten zwischen uns, die ihren Ausdruck bei vielen Knessetdebatten fanden, akzeptierte Begin mich offenbar dennoch als israelischen Patriot. Die Frage ist natürlich, warum Ben-Gurion und der Leiter des Sicherheitsdienstes mich als "Feind Nummer eins des Regimes" betrachteten. Das bringt uns zu dem jetzt wieder durch den Leiter des Shin Bet aufgebrachten Thema. Ich griff Ben-Gurion zu vielen Themen an: die totale Herrschaft der Arbeitspartei (damals Mapai genannt) im Staat, die damals beginnende Korruption in der herrschenden Schicht, die Diskriminierung, unter der jüdische Immigranten aus orientalischen Ländern litten, der Religionszwang und so weiter. Der zentrale Punkt dieses Kampfes aber war die Definition Israel als "jüdischer Staat". Was ist ein "jüdischer Staat"? Das wurde nie klar definiert. Ein Staat, dessen Bürger alle jüdisch sind? Ein Staat, der nur Juden gehört? Der "Staat des jüdischen Volkes", der auch Millionen Juden gehört, die nicht hier leben und Bürger der USA, Argentiniens und Frankreichs sind? Ein Staat, der von der jüdischen Religion beherrscht wird? Ein Staat, der die jüdischen Werte zum Ausdruck bringt? (Und wenn ja, welche?) Außerdem: wer ist in diesem Kontext Jude? Nach langer Unschlüssigkeit entschied sich die Knesset zur religiösen Definition: ein Jude ist eine Person, die eine jüdische Mutter hat oder zum jüdischen Glauben konvertiert ist und keine andere Religion angenommen hat. Der Widerspruch zwischen der Definition von Judentum als einer Religion und der Behauptung, daß die Juden eine Nation seien, wurde dadurch gelöst, daß man die Fiktion akzeptierte, daß bei uns im Gegensatz zu anderen Völkern Religion und Nation ein und dasselbe seien. Die Bezeichnung "jüdischer Staat" ist nebulös. Sie kann auf verschiedene Weise interpretiert werden. Wenn man noch das Wort "demokratisch" hinzufügt, wird es zu einem Oxymoron – wenn ein Staat nur einem Teil seiner Bevölkerung gehört, ist er nicht demokratisch und wenn er demokratisch ist, kann er nicht nur einem Teil seiner Bevölkerung gehören, auch wenn sie die Mehrheit darstellt. Dem Sicherheitsdienst – wie wir die Geheimpolizei nennen – zu befehlen, gegen jene vorzugehen, die mit legalen Mitteln gegen die Definition "jüdischer Staat" kämpfen, würde schlicht bedeuten, die israelische Demokratie zu verkrüppeln. Es ist eines der Grundprinzipien der Demokratie, daß jeder das Recht hat, seine Ansichten zu verbreiten und Menschen davon zu überzeugen, die Gesetze und die Verfassung zu verändern, solange nur legale Mittel angewendet werden. Wenn es ihm oder ihr gelingt, die Mehrheit der Bürger zu überzeugen, wird die gewünschte Veränderung eintreten. Die Geheimpolizei zu aktivieren, um diesen Prozeß zu beenden, würde bedeuten, Israel in einen Polizeistaat zu verwandeln. Nicht eine "Demokratie, die sich selbst schützt", sondern eher ein sich vor der Demokratie schützender Staat. Ich hoffe, daß der Staat Israel ein Staat mit hebräischer Mehrheit und die hebräische Sprache seine Hauptsprache bleibt, daß er die moderne hebräische Gesellschaft und Kultur zum Ausdruck bringen und auch die jüdische Tradition vergangener Generationen lebendig erhalten wird. (Über die arabische Seite des Problems weiter unten) Aber das darf nicht mit Gewalt, nicht durch Unterdrückung oder mit Hilfe der Geheimpolizei und anderer Zwangsmittel geschehen. Natürlichen Prozessen muß es erlaubt sein, sich frei zu entfalten, ganz gleich mit welchen Folgen. Wir sind nicht die einzige Nation in der Welt mit diesem Problem. Wenn Israel ein attraktives Land wird, wird sich die natürliche Zunahme erhöhen und viele werden an seine Tür klopfen, Menschen, die wünschen, sich unserer Nation anzuschließen. Die israelische Nation - anders als die jüdische Religion – kann im Prinzip jeden aufnehmen, der wünscht, dazu zu gehören. Die Beziehung zwischen einem modernen Staat und seinen Bürgern darf nur auf einer Überlegung beruhen: Staatsangehörigkeit. Der Staat gehört all seinen Bürgern und alle von ihnen müssen vor dem Gesetz gleich sein. Das ist es, was die Unabhängigkeitserklärung 1948 allen versprochen hat: "Der Staat Israel …wird all seinen Bewohnern volle soziale und politische Gleichberechtigung ohne Unterschied der Religion, der Rasse und des Geschlechtes gewähren." Einige Israelis verwenden die Bezeichnung "Nationalstaat" als einen Vorwand, die arabische Minderheit zu unterdrücken. Sie denken an einen Nationalstaat im Geiste des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. In Polen zum Beispiel, wo viele von Israels Gründervätern geboren wurden, kämpfte der Staat gegen große Gemeinschaften seiner eigenen Bürger - Ukrainer, Litauer, Juden und andere. Das extremste Beispiel war der Nazistaat, der sich auf der Idee gründete, daß der einzelne nur als Teil seiner Nation existiert, nur eine Zelle im nationalen Organismus. Dieses Modell ertrank in Blut und ist für alle Ewigkeit mit den Schrecken des Holocaust besudelt worden. Das heute vielen zusagende Modell ist das amerikanische. Die amerikanische Nation schließt jeden ein, der einen US-Paß hat. Ein Mensch, der die amerikanische Staatsbürgerschaft erhält – sei er Mexikaner, Koreaner, Inder oder Nigerianer – schließt sich in diesem Augenblick der amerikanischen Nation an und wird ein Erbe von George Washington, Abraham Lincoln und Franklin D. Roosevelt. Alle modernen Nationen bewegen sich auf dieses Modell zu, jede in ihrem eigenen Rhythmus. Auch Polen gehört nun zur Europäischen Gemeinschaft, wo Millionen von Menschen sich ohne Beschränkungen von Land zu Land bewegen. In den meisten Ländern leben jetzt Millionen von Ausländern, die nach und nach von der nationalen Bevölkerung absorbiert werden. Ihre Kinder wachsen mit der lokalen Kultur und der lokalen Sprache auf und lernen in den lokalen Schulen. Ohne diese massive Verstärkung könnten viele der westlichen Gesellschaften nicht mehr existieren, soweit es die Wirtschaft und die Demographie betrifft. Wird Israel, das keine Gelegenheit verpaßt, sich als westliches Land zu beschreiben, sich dieser Realität verschließen und das pakistanische Modell annehmen, einem Staat der - zur selben Zeit wie Israel - auf einer ethnisch-religiösen Basis gegründet wurde? Meine Identität besteht aus vielen verschiedenen Schichten. Ich bin ein Mensch und als Mensch bin ich Bürger dieser Welt, trage Verantwortung für den ganzen Planeten. Ich bin humanistischen Werten verpflichtet, der Ökologie des Globus', der Freiheit, dem Frieden und der Gerechtigkeit für alle. Ich hoffe, daß in nicht allzu ferner Zukunft diese Werte durch eine wirksame Weltordnung garantiert werden. Ich bin ein Mitglied der israelischen Nation, zusammen mit allen anderen Menschen, die einen israelischen Paß haben. Israel ist mein Staat. Ich möchte, daß er in Frieden und Sicherheit lebt, gedeiht und in aller Welt geachtet wird. Ich möchte einen Staat, in dem es sich gut leben läßt und auf den ich stolz sein kann. Ich bin ein Sohn des jüdischen Volks. Ich bin ein Erbe der jüdischen Tradition, genau wie Australier und Kanadier Erben der angelsächsischen Tradition sind. Es gibt jüdische Werte, an die ich glaube, Werte der Gerechtigkeit, des Friedens und der Gewaltlosigkeit, die sehr anders sind als die Werte der jüdischen Siedler in Yitzhar und Tapuah. Ich fühle mich den Juden in aller Welt sehr nahe und ich bin sehr froh, daß sich Juden auf der ganzen Welt Israel nahe fühlen. Das ist eine emotionale Sache, die den Staat als solchen nichts angehen sollte. Wenn der Staat Israel praktisch und offiziell all seinen Bürgern gehören wird, wird es für die Araber hier viel einfacher sein, über ihren Status zu entscheiden. Wenn sie sich dafür entscheiden, zur israelischen Nation zu gehören, so wie Hispanoamerikaner in den USA zur amerikanischen Nation gehören, dann wäre das schön. Wenn sie aber den Status einer nationalen Minderheit bevorzugen, dann sollten sie sich der Rechte einer solchen Minderheit in einem modernen Staat erfreuen können. In jedem Fall muß die arabische Sprache und arabische Kultur voll vom Staat anerkannt werden. Die Verbindung der arabischen Bürger mit dem palästinensischen Volk und der arabischen Welt muß als ebenso legitim betrachtet werden, wie die Verbindung der hebräischen Bürger mit den jüdischen Menschen in aller Welt. Das ist meine Ansicht. Ich habe vor, für sie mit allen legalen Mitteln, die mir in dem demokratischen Staat, den ich zu gründen half, zur Verfügung stehen, einzutreten. Und wenn der Shin Bet dies nicht gerne sieht, nun, dann ist das schade. Ich hoffe nur, daß sie mich deshalb nicht in Administrativhaft nehmen. Impressum und Datenschutz contact: E-Mail |