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Auf dem Weg ins Mittelalter

Schafherden und Eselskarren in der irakischen Hauptstadt

22.08.2007  






Ein Newsweek-Artikel vom Freitag über die derzeitigen Lebensumstände in der irakischen Hauptstadt Baghdad belegt einmal mehr, wie weit die Besatzer von der Erfüllung ihrer Pflichten gemäß den Genfer Konventionen hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung entfernt sind und wie drastisch sich die Lebensqualität aufgrund des Krieges und der Besatzung verschlechtert haben.

Aufgrund der immer weiter zusammenbrechenden Infrastruktur, der katastrophalen Sicherheitslage und der massiven Arbeitslosigkeit erlangen in Baghdad lange vergessene Berufe und Tätigkeiten neue Bedeutung.

Der 43 Jahre alte Shalan Abd al-Ritha verkaufte an seinem Stand auf dem Buchmarkt in der Mutanabi-Straße vor Beginn des von den USA geführten völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen den Irak jede Woche hunderte Bücher. Selbst die immer weiter zurückgehenden Verkäufe aufgrund des Ausbleibens der elegant gekleideten älteren Herren - seiner besten Käufer - vertrieben ihn nicht. Zuletzt verkaufte er pro Woche nur noch wenige Dutzend Bücher. Als am 5. März der Markt mit einer Bombe angegriffen wurde und hierbei mindestens 20 Menschen getötet wurden, entschloß er sich, sein Geschäft aufzugeben.

Da ihm auch sein Hochschuldiplom der Arabistik in der derzeitigen Lage nicht dabei helfen konnte, den Lebensunterhalt zu verdienen, besann er sich schließlich auf den Beruf, den sein Vater vor fast einem halben Jahrhundert ausübte. Heute setzt er Passagiere mit dem gleichen Boot von einem Ufer des Tigris zum anderen über, das schon sein Vater hierfür benutzte. Vorbei an den Trümmern der durch Bomben zerstörten Brücken und vorbei auch an den Leichen, die immer wieder stromabwärts treiben.

Die praktisch zusammengebrochene Wasserversorgung führt dazu, daß auch der Beruf des Brunnenbauers eine neue Blüte erlebt. Statt Autos sind immer mehr Pferde- und Eselskarren auf den Straßen Baghdads zu sehen. Diese sind nicht nur billiger, die Besitzer vermeiden so auch die langen Schlangen an den Tankstellen - beziehungsweise die horrenden Schwarzmarktpreise für Benzin. Und auch andere Tiere sind offenbar in Baghdad auf dem Vormarsch. So sind nicht nur in den Gärten verlassener und zerstörter Häuser, sondern auch auf öffentlichen Grünflächen immer häufiger Herden von Schafen und Ziegen zu sehen, die dort grasen.

Die Gefahren des täglichen Einkaufs als auch die hohen Preise und die hohe Arbeitslosigkeit wiederum führen dazu, daß nun wieder traditionelle Backöfen in den Gärten errichtet werden. In einem solchen mit Gas oder Holz geheiztem Tanoor wird ungesäuertes Brot deutlich günstiger hergestellt, als es in Bäckereien ist. Die ständige Gefahr auf den Straßen - sowohl durch Anschläge, aber auch durch "nervöse" Besatzungstruppen - haben auch einen weiteren Beruf zu neuem Leben erweckt. War es vor Beginn des Krieges praktisch selbstverständlich für Schwangere, zur Geburt in ein Krankenhaus zu gehen, so werden nun wieder zahlreiche Entbindungen zuhause von Hebammen vorgenommen. "Mein Beruf floriert wieder, nachdem er lange Jahre vergessen war", sagte eine Hebamme, die nur Umm Ahmad genannt werden wollte. "Es gab überall Krankenhäuser und schwangere Frauen wollten unbedingt in Krankenhäusern entbinden, da sie an den sterilen Bedingungen zuhause zweifelten."

Der Bedarf an Hebammen ist jetzt so groß, daß dieser Beruf zunehmend auch von nicht registrierten - und entsprechend wahrscheinlich schlecht ausgebildeten - Frauen ausgeübt wird. Zur Zeit Saddam Husseins mußten Hebammen eine Lizenz des Gesundheitsministeriums vorweisen. "Wir schulten sie ein Mal wöchentlich und gaben ihnen Handschuhe, Scheren und andere medizinische Gegenstände", sagte Dr. Eman Atra, eine Geburtshelferin, die vor Beginn des Krieges mit Hebammen gearbeitet hat. "Wir gaben für Geburten durch nicht registrierte Hebammen keine Geburtsurkunden heraus", so Atra weiter. Heute sieht sie keine Möglichkeit mehr, in solchen Fällen eine Geburtsurkunde zu verweigern. "Ich fürchte, sie könnte jemanden schicken, um mich zu töten."

All dies sind nur Eindrücke aus der Hauptstadt Baghdad mit ihren schätzungsweise 4,5 Millionen Einwohnern, die sich noch am ehesten unter der Kontrolle der Besatzer - beziehungsweise der "irakischen" Marionettenregierung - befindet und angesichts der Anwesenheit ausländischer Journalisten noch am ehesten "aufpoliert" wird. Die Zustände in abgelegenen Regionen und kleinen Dörfern lassen sich hier nur erahnen. Trotz der ebenfalls von den USA veranlaßten und beibehaltenen drakonischen UN-Sanktionen gegen den Irak war das Land vor seiner "Befreiung" offenbar in einem besseren Zustand. Es scheint allerdings wenig wahrscheinlich, daß die USA - und ihre Verbündeten - freiwillig Reparationszahlungen leisten werden. Weder für die mittlerweile schätzungsweise eine Million Toten, noch für die Zerstörung des Landes oder die großflächige radioaktive Verseuchung durch den Einsatz von Uran-Munition.





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