Daß der Traum eines gerechten Sozialstaats in Deutschland ausgeträumt ist, muß jedem klar sein, der die Millionen "Hartz IV"-Empfänger sieht, die teilweise unter geradezu menschenunwürdigen Umständen mittels dieser Zahlungen am Leben erhalten werden - aber eben auch keinen Millimeter mehr. Daß dies nur die eine Seite der Medaille ist, ist ebenso offensichtlich, betrachtet man die sprudelnden Unternehmensgewinne und die damit einhergehenden stetigen Gehaltssteigerungen der Manager. So wurde der Vorschlag des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck, die Zahlung des "Arbeitslosengeld I" zumindest für über 50 Jahre alte Beitragszahler der Arbeitslosenversicherung von derzeit 12 auf 24 Monate anzuheben, von zahlreichen Seiten kritisiert. So bezeichnete der Vorsitzende der CSU, Erwin Huber, diesen Vorschlag als "populistisch, nicht durchdacht und nicht finanziert". Insbesondere letzteres ist allerdings eine äußerst gewagte Behauptung. Im vergangenen Jahr erzielte die "Bundesagentur für Arbeit" (BA) einen Überschuß in Höhe von 11 Milliarden Euro, in diesem Jahr erwartet ihr Vorstandsvorsitzender Frank-Jürgen Weise einen Überschuß von 6,5 Milliarden Euro - und dies, obwohl der Beitragssatz zum 1. Januar dieses Jahres von zuvor 6,5 auf nun 4,5 Prozent gesenkt worden ist. Beck schätzte die Kosten für seinen Vorschlag auf etwa eine Milliarde Euro pro Jahr. Gegenüber der Berliner Zeitung sagte Friedrich Heinemann, Konjunkturchef des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW): "Das wäre ein schlimmer Rückschritt, der mitten ins Herz der so mühevoll durchgesetzten Arbeitsmarktreformen zielen würde." Die Einschränkung der Zahlungen auf ein Jahr habe für Betroffene starke Anreize geschaffen, sich wieder einen Arbeitsplatz zu suchen, so Heinemann weiter. Es kann kaum verwundern, daß das ZEW eine solche Maßnahme kritisch betrachtet, wird es doch teilweise von Großunternehmen finanziert, die zum Teil auch im Aufsichtsrat des ZEW sitzen. Trotz der regelmäßigen Jubelrufe der Regierung ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen in Wahrheit seit 2003 um zwei Millionen zurückgegangen, wie die Bundesregierung in einem kleinen Satz vor einem Jahr zugab. Der Rückgang der Arbeitslosenzahlen ist also ganz offensichtlich keineswegs darauf zurückzuführen, daß zahlreiche Menschen wieder Arbeitsplätze gefunden haben, von denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Aus Unternehmersicht muß das allerdings kein Indiz für ein Fehlschlagen der "Reformen" sein - im Gegenteil. Wie Heinemann ganz richtig anmerkte, wurden durch die Maßnahmen starke "Anreize" geschaffen, einen Arbeitsplatz zu finden. Weder entstehen hierdurch allerdings neue Arbeitsplätze, noch betreffen diese "Anreize" nur einige wenige Menschen. Tatsächlich ist also ein Arbeitslosenheer von realistisch geschätzt mindestens sechs Millionen Menschen zunehmend bereit, nicht nur jede Arbeit anzunehmen, sondern auch zu jedem Lohn. Gemäß dem marktwirtschaftlichen Grundsatz, daß ein Preis sich aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage bildet, gepaart mit der staatlich verordneten Existenznot der Betroffenen ist es also zunehmend ein leichtes, Löhne zu drücken, Wochenarbeitszeiten zu erhöhen und Sozialleistungen zu kürzen. Daß sich das für die Unternehmen auszahlt, belegt einmal mehr eine Studie der Unternehmensberatung Towers Perrin, der zufolge die durchschnittliche Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder deutscher DAX-Unternehmen in diesem Jahr 8 Prozent höher ist als im Vorjahr. Insgesamt erhalten die 526 Mitglieder der Aufsichtsräte der untersuchten Unternehmen jährlich eine Vergütung von über 60 Millionen Euro. Da viele der Mandatsträger gleich Mitglied in mehreren Aufsichtsräten sind, ist ihr Einkommen noch deutlich höher. An der Spitze steht demnach Manfred Schneider, ehemaliger Chef des Chemiekonzerns Bayer. Durch seine sechs Posten in Aufsichtsräten von DAX-Unternehmen erhält er in diesem Jahr eine Gesamtvergütung von 1.054.717 Euro. Noch höhere Zahlungen erhalten Gerhard Cromme (1.168.051 Euro) und Ulrich Hartmann (1.101.317 Euro) für jeweils fünf Posten. Tatsächlich ist nun das Berliner Sozialgericht zu dem Schluß gekommen, daß die bedingungs- und übergangslose Kürzung der Arbeitslosengeldzahlungen auf 12 Monate verfassungswidrig ist und hat daher dem Bundesverfassungsgericht zwei Musterfälle vorgelegt. Auch wenn es sich um eine staatliche Pflichtversicherung handele, so könnten doch nicht plötzlich derart drastisch die Vertragsbedingungen geändert werden. Wie ungerecht die Folgen der Stichtagsregelung der Umstellung der Leistungsdauer sind, zeigt die Betrachtung der beiden Fälle. Im ersten Fall beantragte ein 54-Jähriger im November 2005 Arbeitslosengeld, was ihm dann für 26 Monate bewilligt wurde. Dieser Bescheid wurde aufgehoben, als sich herausstellte, daß er krankheitsbedingt nicht arbeitsfähig war. Nach seiner Genesung im März meldete er sich erneut arbeitslos. Aufgrund der neuen Regelung wurde ihm nur noch für 12 Monate Arbeitslosengeld bewilligt. Im zweiten Fall meldete sich ein 52-Jähriger exakt am Stichtag, dem 1. Februar 2006 arbeitslos, woraufhin ihm Arbeitslosengeld für 12 Monate bewilligt wurde. Hätte er sich nur einen Tag eher arbeitslos gemeldet, hätte er Anspruch auf Arbeitslosengeldbezug für 22 Monate gehabt. Angesichts allein schon dieser beiden Fälle kann es sicherlich nicht verwundern, daß das Berliner Sozialgericht zu dem Schluß gekommen ist, daß die "Hartz IV"-Gesetzgebung verfassungswidrig ist. Daß diese Erkenntnis aber erst jetzt - und nur auf dem Klagewege - zustandegekommen ist und eben gerade nicht in der Politik zeigt einmal mehr, wie die Prioritäten - nicht nur - bundesdeutscher Regierungen liegen. Zurück zur Startseite Impressum und Datenschutz contact: E-Mail |