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Geschichtsfälschung

Britisches Verteidigungsministerium liefert Unterrichtsmaterialien an Schulen

16.03.2008  






Ebenso, wie es durchaus zur üblichen Vorgehensweise gehört, daß nach einem Krieg der Sieger im besetzten Land zumindest versucht, ein Umerziehungsprogramm durchzuführen, um die dortige Bevölkerung dauerhaft zu unterwerfen, gehört es zweifellos zur üblichen Vorgehensweise, vor Beginn eines Krieges die eigene Bevölkerung durch Propaganda hierfür zu gewinnen. Ein Bericht des britischen Independent vom Freitag zeigt nun, daß auch in Großbritannien bereits Anstrengungen unternommen werden, um die Geschichte hinsichtlich des Hintergrunds und der Folgen des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen den Irak umzuschreiben.

Demnach hat das britische Verteidigungsministerium Schulen des Landes "Unterrichtsmaterialien" zur Verfügung gestellt, die ganz offensichtlich ein Bild des Irakkriegs zeichnen, das allein den Interessen der britischen Regierung dient und nur als Geschichtsfälschung bezeichnet werden kann. Dementsprechend warf die "National Union of Teachers" (NUT), die größte Lehrer-Gewerkschaft in Großbritannien, dem Verteidigungsministerium nun vor, gegen das Bildungsgesetz von 1996 zu verstoßen, das eine "ausgewogene" Behandlung politischer Themen vorsieht. Die Organisation "Kids Connections" hat im Auftrag des Verteidigungsministerium eine komplette Unterrichtseinheit über den Krieg gegen den Irak entwickelt, darunter Arbeitsblätter für Schüler und Hinweise für Lehrer.

Steve Sinnott, Generalsekretär der NUT, bezeichnete die "Unterrichtsmaterialien" des Verteidigungsministeriums als "einen Angriff auf Praktiken, den wir in Schulen nicht dulden können." Es sei "die Frage, ob man Kindern gerechte und ausgewogene Ansichten präsentiert oder ihnen Vorurteile und Propaganda vorlegt."

Nachdem Sinnott sich wegen der grundlegenden Bedenken hinsichtlich des Materials im Namen der Gewerkschaft an den britischen Erziehungsminister Ed Balls gewandt hat, reagierte dieser - wenig überraschend – ausweichend. "Ich bin sicher, daß Ihnen bekannt ist, daß meine Abteilung keine bestimmten Mittel oder Unterrichtsmethoden für die Anwendung in Schulen fördert oder befürwortet, aber ich begrüße, daß Sie mich hierauf aufmerksam gemacht haben", so Balls. Außerdem habe er seinen Mitarbeitern die Anweisung erteilt, sich "in der Sache an das Verteidigungsministerium zu wenden".

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte, während der Entwicklung "dieser Produkte haben wir uns ausgiebig mit Lehrern und Schülern beraten und die Reaktionen waren äußerst ermutigend." Man habe auch die Friedensorganisation "Stop The War" um Teilnahme gebeten, was diese aber abgelehnt habe.

Eine Betrachtung einiger kurzer Ausschnitte aus den Unterrichtsmaterialien zeigt, wie wenig Wert darin auf die Wahrheit und dafür um so mehr auf eine Rechtfertigung und Glorifizierung des Kriegs gegen den Irak gelegt wird.

"Anfang 2003 marschierte eine Koalition der Vereinigten Staaten in den Irak ein. 29 weitere Länder, darunter Großbritannien, stellten ebenfalls Soldaten zur Verfügung ... Der Irak hatte sein Entwicklungsprogramm für atomare und chemische Waffen nicht eingestellt." Nach dem ersten Krieg gegen das Land "beachtete der Irak nicht das Waffenstillstandsabkommen, seine Massenvernichtungswaffen auszuhändigen".

Schon die zurückhaltende Wortwahl eines "Einmarsches" erzeugt kaum zufällig eine völlig falsche Vorstellung von der Realität des Angriffs, wurde dieser doch durch ein tagelanges, massives Bombardement eingeläutet und auch das Vorrücken der Angreifer war von teilweise schweren Kämpfen begleitet. Noch weitaus bemerkenswerter ist allerdings die Tatsache, daß hier die mittlerweile zweifelsfrei als solche erwiesene, als Vorwand vor Beginn des Krieges vorgebrachte Lüge, der Irak arbeite weiter an der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen, wiederholt wird. Spätestens an dieser Stelle wird klar, daß es sich nicht einmal nur um einseitige Informationen handelt, sondern britischen Kindern offensichtlich ganz bewußt Lügen aufgetischt werden sollen.

"Die Invasion war auch notwendig, um die Gelegenheit, Saddam, einen unterdrückerischen Diktator, von der Macht zu entfernen und dem Irak die Demokratie zu bringen, zu ermöglichen."

Tatsächlich wurde dieser "Grund" für den Angriffskrieg gegen den Irak erst lange nach dessen Beginn genannt, als klar wurde, daß der ursprüngliche Vorwand – die vorgeblichen Massenvernichtungswaffen – nicht existent war. Angesichts des derzeitigen Zustands des Landes ist die Beheuptung, es sei um die Verbreitung von Demokratie gegangen, nur zynisch zu nennen – gänzlich ungeachtet der Tatsache, daß es kaum als legitimer Kriegsgrund gelten kann, einem anderen Land die eigene Gesellschaftsform aufzuzwingen. Als es der US-Regierung offenbar noch als opportuner erschien, daß Saddam Hussein im Irak an der Macht war, hatte sie keinerlei Probleme mit den von ihm gegen die eigene Bevölkerung und andere Länder begangenen Verbrechen.

"Über 7.000 britische Soldaten sind noch im Irak ... um bei dem Wiederaufbau, der Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte zu helfen ... Sie kämpfen weiterhin gegen einen starken bewaffneten irakischen Aufstand."

Nicht nur, daß die Zahl der britischen Soldaten im Irak mittlerweile nicht einmal mehr 5.000 beträgt, diese wurden außerdem aus den gefährdeten Gebieten – sprich insbesondere der Stadt Basrah – abgezogen und sind jetzt vorrangig damit befaßt, sich selbst zu schützen. Selbst dies gelingt allerdings nicht vollständig, erst am 29. Februar wurde der britische Feldwebel Duane Barwood bei einem Raketenangriff auf die britische Basis getötet.

"Die Kosten für den britischen Militäreinsatz im Irak in den Jahren 2005 und 2006 belaufen sich auf 958 Millionen Pfund."

Hier wurde "unauffällig" vermieden, aktuelle Zahlen zu nennen. Trotz des genannten Rückzugs der britischen Truppen werden die Kosten für dieses Jahr auf auf 1,648 Milliarden Pfund geschätzt. Dieser Anstieg hat dazu geführt, daß selbst der Verteidigungsausschuß des britischen Unterhauses sich "überrascht" zeigte.

"Über 312.000 iraksiche Sicherheitskräfte wurden ausgebildet und ausgerüstet (Polizei, Heer und Marine)."

Ein großer Teil dieser so "Ausgebildeten" hat diesen Weg nur aufgrund der massiven Arbeitslosigkeit gewählt. Darüber hinaus gibt es immer wieder Berichte, daß zahlreiche dieser "Sicherheitskräfte" es angesichts der Gefahren für Leib und Leben und der mangelhaften Bezahlung – sicherlich aber vielfach auch, weil sie zu der Ansicht gelangen, daß es sich hierbei um Kollaboration handelt - vorziehen, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen.

"Von Krankenhäusern über Schulen bis hin zu Kläranlagen hilft die Anwesenheit der Koalitionstruppen bei dem Wiederaufbau des Nach-Saddam-Iraks."

Obwohl bereits fünf Jahre seit dem Beginn des Angriffs auf den Irak vergangen sind, ist beispielsweise die Versorgung mit Strom weitaus schlechter, als dies bereits ein Jahr nach den verheerenden Bombardements während des ersten unter Führung der USA gegen den Irak geführten Kriegs der Fall war – und dies, obwohl das Land damals noch zusätzlich unter den auf Betreiben der USA verhängten drakonischen Sanktionen litt.

"Insgesamt wurden 132 Mitglieder des britischen Militärs im Irak getötet."

In Wahrheit liegt die Zahl der nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums – wobei hier sicherlich ebenso große Zweifel angebracht scheinen wie bei den Angaben des US-Verteidigungsministeriums – bisher getöteten britischen Soldaten bei 175. Der mögliche Einwand, die Materialien seien eben nicht auf dem allerletzten Stand, verblaßt zweifellos etwas angesichts der Tatsache, daß die Zahl 132 aus dem Februar 2007 stammt.

Damit aber nicht genug, vermeiden die "Unterrichtsmaterialien" – die offensichtlich allein die Bezeichnung "Propaganda" verdienen – jeden Hinweis auf die zivilen Opfer des Angriffskrieges, ganz zu schweigen davon, daß sich deren Zahl bereits auf weit über eine Million Menschen beläuft. Ginge es hier nicht um eines der schwersten denkbaren völkerrechtlichen Verbrechen, der Führung eines Angriffskrieges aus niederen Beweggründen und unter der Vortäuschung falscher Tatsachen, so könnte man das hier offenbarte schlechte Gewissen der britischen Regierung und ihrer offensichtlichen Hoffnung, das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung reiche bestenfalls noch einige Wochen zurück, sicherlich noch mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten. Angesichts des Ausmaßes der gegen den und im Irak begangenen Verbrechen und der Beteiligung Großbritanniens hieran kann es allerdings nur verwundern, daß dieser Versuch der Geschichtsfälschung nicht einmal in Großbritannien selbst bisher größere Beachtung gefunden hat.





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