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Blickwinkelabhängig

Terrorismus à la carte

19.04.2008  






In der vergangenen Woche veröffentlichte die Europäische Polizeibehörde (Europol) die aktuelle Ausgabe ihres jährlichen "EU Terrorism Situation and Trend Report" ("Bericht über die Lage und die Entwicklung von Terrorismus in der EU", TESAT). Medien reagierten hierauf einhellig mit Schlagzeilen, die von steigenden Zahlen von Terroranschlägen sprachen.

So titelte Welt Online mit "Europol: Terror bedroht Europa stärker als je zuvor", der österreichische ORF mit "Europpol: Terrorismus in der EU weitet sich aus", MSN mit "Terror bedroht Europa stärker als je zuvor", die Netzeitung mit "1000 Terrorverdächtige in EU festgenommen" und N24 mit "20 Anschlagspläne in Deutschland". Bei eingehender Betrachtung des Berichts wird allerdings nicht nur klar, daß diese Aussagen so keineswegs zutreffend sind und andererseits die Klassifizierung von Taten als "Terrorismus" weitaus mehr mit gerade örtlich vorherrschenden Interessen als mit der in der Bevölkerung sicherlich verbreiteten Vorstellung von Attentaten mit Bomben und Schnellfeuergewehren zu tun hat.

Schon die bloße Zahl der insgesamt im Jahr 2007 in den genannten Ländern Deutschland, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Spanien, Österreich und Portugal "fehlgeschlagenen, vereitelten und erfolgreich ausgeführten" Anschläge straft die so gern herbeibeschworene Gefahr "islamistischen Terrors" Lügen. Insgesamt wird die genannte Zahl in dem Bericht mit 583 angegeben. Ganze 4 davon hatten demnach einen "islamistischen" Hintergrund – 532 allerdings einen separatistischen. Ein zumindest ähnliches Bild ergibt die Zahl der Verhafteten. Von insgesamt 1.044 wurde bei 201 ein "islamistischer" und bei 548 ein separatistischer Hintergrund vermutet. Bemerkenswert ist hier auch, daß sich dieses Verhältnis eben gerade nicht in der Zahl der Verurteilten widerspiegelt. So hatten den Meldungen der einzelnen Länder zufolge 198 der insgesamt 449 Verurteilten einen "islamistischen" Hintergrund und 214 einen separatistischen. In 120 Fällen lautete das Urteil auf Freispruch. Nur 22 Prozent aller Verhafteten wurden in direktem Zusammenhang mit einem "Anschlag" verhaftet, der überwiegende Teil wegen der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung".

6 Prozent der wegen "islamistischem Terrorismus" Verhafteten – also 12 Menschen - wurde die "Herstellung und Verbreitung von Propaganda" vorgeworfen. Diese Kategorie existiert nur bei "islamistischem Terrorismus".

Schon die nächste Kategorie des Berichts, "separatistischer Terrorismus" zeigt allerdings überdeutlich, wie weit der Begriff "Terrorismus" von den Behörden gefaßt wird. "Der allergrößte Teil aller Angriffe durch baskische und korsische separatistische Terroristen zielt vorrangig darauf ab, Sachschaden zu verursachen", heißt es dort. Außerdem werde "der allergrößte Teil der berichteten Angriffe durch separatistische Terroristen auf kritische Infrastruktur von Jugendorganisationen, die in Verbindung mit der ETA stehen, verübt." Bei dem allergrößten Teil der "terroristischen Anschläge" in Spanien handelt es sich also um von Jugendlichen verübte Sachbeschädigungen.

Dieses Bild setzt sich in der nächsten Kategorie des Berichts, "linker und anarchistischer Terrorismus", nahtlos fort. Demnach wurden in 2007 aus Deutschland, Griechenland, Italien, Österreich und Spanien insgesamt 21 "Anschläge von Terrorgruppen" gemeldet. 80 Prozent aller linken und anarchistischen Terroranschläge war demnach "erfolgreich". Trotz dieser zahlreichen "Erfolge" wurden allerdings keinerlei Todesopfer oder auch nur Verwundete gemeldet – es handelte sich also offensichtlich ebenfalls nur um Sachbeschädigung. Tatsächlich handelte es sich dem Bericht zufolge bei 55 Prozent aller Anschläge innerhalb dieser Kategorie um Brandstiftungen, die sich mehrheitlich gegen Unternehmen und staatliche Einrichtungen richteten. Bei dem einzigen aus Spanien gemeldeten "linken oder anarchistischen Terroranschlag" war im vergangenen Jahr ein Bankmanager entführt und ein Lösegeld gefordert worden. Eingang in den Bericht fand ebenso die Inbrandsetzung eines Fahrzeugs eines Managers des Unternehmens ThyssenKrupp Marine Systems in Hamburg im Januar 2007 und die "mutwillige Beschädigung" der Villa eines weiteren Managers des Unternehmens – indem es mit Farbbeuteln beworfen wurde, was der Bericht allerdings nicht erwähnt. Während es sich hierbei also nach Ansicht der deutschen Behörden – denn diese meldeten dies dementsprechend – um "Terrorismus" und keineswegs um "Sachbeschädigung" handelte, galt dies offenbar weder für die vier angezündeten Fahrzeuge des Hamburger Unternehmens Dussmann noch das in Brand gesetzte Fahrzeug des Bild-Chefredakteurs Kai Diekmann oder die auf das Haus eines Lufthansa-Managers geworfenen Steine und Farbbeutel.

Demgegenüber gibt es den Meldungen zufolge praktisch keinen "rechten Terrorismus". Nur Portugal meldete einen solchen Fall. Dabei war im September 2007 ein jüdischer Friedhof verwüstet worden. Alle anderen Fälle rechter Gewalt wurden von den Ländern nicht als "Terrorismus", sondern als "Extremismus" gemeldet, obwohl beispielsweise in Großbritannien in 2007 sieben "rechte Extremisten" im Zusammenhang mit Sprengstoffvergehen verhaftet wurden. So wurden bei einer Hausdurchsuchung im Oktober mehrere Nagelbomben gefunden. Ebenfalls dort gefundene Dokumente liessen darauf schließen, daß sie gegen örtliche Moscheen eingesetzt werden sollten.

Als herausragend ist aber in dieser ganzen Liste zweifelsohne der einzige gemeldete Fall in der Kategorie "Einzelthemen-Terrorismus". Dabei stufte Portugal die Zerstörung einer Feldfläche von über einem Hektar an genverändertem Mais durch über 100 Menschen als "Terrorismus" ein.

Allerspätestens dieser letzte Fall zeigt unübersehbar, daß die Einstufung von Straftaten als "Terrorismus" – mit all den damit verbundenen Folgen für die Täter – nach praktisch Gutdünken der jeweiligen Behörden erfolgt. Dies läßt denn auch erahnen, was die Einigung über die "Online-Durchsuchung" in Deutschland und die geplanten massiven Erweiterungen der Polizeibefugnisse im Rahmen des BKA-Gesetzes – die sich vorgeblich beide praktisch ausschließlich gegen "Terroristen" richten sollen – letztlich für die Bürger des Landes bedeuten werden.





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