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Nation Building? Which Nation Building?
26.09.2003


Toepi







Ein Rückblick auf die Rede des US-Präsidenten vor der 58. Generalversammlung der UNO am Dienstag läßt keine Zweifel daran aufkommen, daß sich in Amerika die Uhren etwas anders drehen als im dem Rest der Welt. Der kategorische Imperativ der "Neocons made in America" avanciert zu neuer, geradezu brennender Aktualität: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Neutralität ist Schnee von vorgestern. Schwarz-Weiß-Schablonen werden zum Kaleidoskop der letzten verbliebenen Weltmacht. Geradezu in den Worten der Roosevelt-Maxime "Er mag ein Bastard sein, aber er ist unser Bastard" mutiert der "Kampf gegen den Terror" zum Paradoxon seiner eigens erzeugten Zwiespältigkeiten, Widersprüche und anderer pathologischer Züge, in denen die naive Differenz zwischen dem Code gut/böse nun mit den jüngsten Ereignissen ein neues Kapitel in der schizoiden Chronik eines Kriegs nach dem Krieg erfährt.

In einer neuen Umfrage des Senders "NBC" und des "Wall Street Journal", welche am Mittwoch veröffentlicht wurde, zeigt diese erneut die dramatischen Einbrüche für Bush. Danach sind gerade noch 49 Prozent der Amerikaner mit der Politik ihres Präsidenten einverstanden - der tiefste Stand seit seinem Amtsantritt. Reichlich Unmut und Mißtrauen macht sich in der Bevölkerung nicht nur bei Themen wie Afghanistan und dem Irak, dem Rekorddefizit und der hohen Arbeitslosigkeit breit. Auch die ubiquitären Einschränkungen der Freiheit und Meinungsäußerung vor allem durch den Patriot Act und der beispiellosen Ineffizienz der "Homeland Security" lassen allmählich immer mehr Amerikaner erkennen, daß die gegenwärtige Regierung kaum mehr tragbar ist und diese den 11. September bis zum Erbrechen für ihre eigenen Interessen ausgebeutet hat. Wenn jetzt schon Präsidentschaftswahlen wären, würde jedenfalls der frühere NATO-Oberbefehlshaber und hochfavorisierte Kandidat der Demokraten Wesley Clark mit 49 Prozent um knapp 3 Prozentpunkte vor Bush diese gewinnen.

Zudem hat sich Bush mit seiner Rede bei der UN-Vollversammlung nicht gerade neue Freunde gemacht. Was sich der gute Texaner so alles unter einem "demokratischen Prozeß", "freien und fairen Wahlen" im Irak und anderen aufgeblasenen rhetorischen Ausrutschern vorstellt, wird wohl ewig das Geheimnis von ihm oder wohl eher seines Redenschreibers bleiben. Kanzler Schröder zeigte sich gestern gelassen, bewitzelt, war doch alles gar nicht mal so schlimm, wie es aussah, ein paar leere Worthülsen von "mutigen Reformen" bis zur "Ausweitung der Multilateralismus" zum Thema Restaurierung der UN für die Daheimgebliebenen und schon sind Germany und Uncle Sam wieder die guten alten Freunde von eh und je. So what? Wesentlich weniger sanft und dafür angriffslustiger gab sich da der französische Staatspräsident Jacques Chirac, offenbar hat man ohnehin nichts mehr zu verlieren, da zumindest was die Außenpolitik angeht, Frankreich mittlerweile seine eigene Position gefunden hat und sich nicht mehr so leicht wie andere zum Vasallen der Amerikaner machen läßt. Die Hetzkampagnen einiger amerikanischer Medien gegen das Land in der letzten Zeit haben dazu ihr übriges beigetragen.

Auch eine aktuelle Gallup-Umfrage, an der 1178 Iraker teilnahmen, mit 67 Prozent bestätigt, daß die Menschen im Irak freilich gegenwärtig in ihrem Land glücklicher sind als unter der Dikatur von Saddam Hussein, und im Gegensatz dazu gerade mal 8 Prozent dagegen sprechen, sind das zwar alles positive Meldungen, geben aber wenig über die Realität dieses Landes Aufschluß, in dem kaum ein Tag ohne einen neuen Anschlag vergeht und die Infrastruktur in weiten Teilen des Landes noch immer weit mehr als ruinös ist. Die USA werden kaum, was ja auch in den letzten Wochen sehr deutlich gesagt wurde, eine politische Machtabgabe an die UNO leisten. Klar ist zumindest, daß von Zeit zu Zeit die Stabilität des Iraks immer mehr unter diesen diplomatischen Geplänkeln leidet und überdies der Irak zum neuen Dreh- und Angelpunkt für Terrorgruppen mutiert.

Bush hat in den Verhandlungen mit anderen Ländern zweifellos versagt, weitere internationale Truppen für den Irak anzuwerben. Frankreich werde zwar kein Veto gegen das geplante UN-Mandat einlegen und Schröder sagte heute, Deutschland werde zwar keine eigenen Truppen in den Irak schicken, biete aber an, hier die Ausbildung bei der Polizei für den Irak zu unterstützen, doch dies aber ist freilich nicht das, was man sich einst erhoffte. Ansonsten sieht es auch bei anderen Ländern nicht gerade rosig aus, selbst der es mit den Menschenrechten nicht so genau nehmende Verbündete der USA Pakistan fordert erst mehr politische Stabilität im Irak, bevor seine Truppen in das Land einziehen. Zudem würde die pakistanische Bevölkerung auch nicht davon besonders begeistert sein. Bei Indien ist es ebenso. Der Türkei bietet die USA dagegen eben mal 8,5 Milliarden US-Dollar an, wenn diese bereit sind, ihre Truppen zur Verfügung zu stellen. Die türkische Opposition lehnte dies allerdings sofort ab und beschuldigte Washington, die Außenpolitik der Türkei zu verpfänden. Bereits vor dem Irak-Krieg Anfang März hatte die dortige Regierung zunächst für eine Bereitstellung von Truppen für den Irak-Krieg gestimmt, welche aber nur wenige Stunden später wieder rückgängig gemacht wurde, da die Mindestbeteiligung bei der Abstimmung nicht gegeben war.

Derweil gibt im Pentagon nach dem Scheitern der Verhandlungen auch Überlegungen mehr Einheiten in den Irak zu schicken. Peter Prace, Vizepräsident der Versammlung der Stabschefs warnte, daß noch mehr Truppen in den Irak müssten, sofern nicht innerhalb von 6 Wochen der Nachschub von 15.000 bis 20.000 Truppen gesichert sei. Im Irak zeigten sich zudem die amerikanischen Soldaten von Bushs Ansprache bei den UN sehr enttäuscht, weil immer noch nicht klar wurde, wann sie endlich wieder nach Hause können. Gegenwärtig befinden sich 116.000 amerikanischen Truppen und 22.000 aus anderen Ländern, einschließlich Großbritannien, im Irak. Gewissermaßen können die Iraker sich nur selbst helfen, doch die Rekrutierung der irakischen Armee geht schleppend voran. Immer wieder gibt es Mutmaßungen über ehemalige Loyalisten von Saddam Hussein. So sprach die New York Times in einem Bericht vor wenigen Tagen von einer gerade mal 735 Mann starken Truppe.

Trotzdem werden alleine mehr Truppen - ob aus Amerika oder anderswo - kaum etwas bringen. Der wichtigste Faktor bleibt nach wie vor die politische Stabilität, die die Iraker selbst in die Hand nehmen müssen, es aber noch nicht können, was nicht zu bestreiten ist. Der Chef des BND, August Hanning warnte am Dienstag vor einem neuen Netz islamistischen Terrors im Irak. Die am "Harvard's Kennedy School of Government" lehrende Politikwissenschaftlern Jessica Stern schrieb auch vor kurzem in der New York Times in einer Kolumne, daß es Amerika fertig gebracht hat, den Irak in einem "Terrorhafen" zu verwandeln, wo früher nicht mal der ein Hauch eines solchen zu finden war, auch wenn es vor dem Krieg immer wieder versucht wurde, Verbindungen mit Al-Qaida zu knüpfen. Der Traum von einem freien Irak wird immer mehr zum Albtraum für die Besatzer. Der eigentliche Krieg hat erst nach dem Krieg begonnen. Gewiß ist der Irak nicht Afghanistan und ganz sicher nicht ein zweites Vietnam, trotzdem spiegeln die Anschläge, der lahmende Aufbau der Infrastruktur, Menschenhandel, Kinderarbeit, Korruption, der weitverbreitete Drogenkonsum und der gestrige Tod von Akila al-Haschimi, eine von den drei Frauen des Regierungsrats und der Anschlag auf das Journalistenhotel in Bagdad die fragile und prekäre Sicherheitslage und politische Instabilität des Landes wieder. Schon vor dem Krieg gab es mehrere Berichte, selbst von der CIA, die besagten, daß das "nation building" alles andere als leicht würde. Aber dafür hatte man nur wenig offene Ohren. Was die Wirtschaft angeht, sieht man dies natürlich wieder ganz anders und da kann es bekanntlich nicht schnell genug gehen. So habe der Finanzminister am Sonntag beschlossen, daß ausländische Investoren bald vollständigen Zugriff auf den Irak haben werden - ausgenommen der Ölindustrie. Ob dann auch das Kapital angesichts der derzeitigen Lage dieses Lands kommen wird, darf bezweifelt werden.

Wenig verwunderlich ist jetzt auch die Erwägung von UN-Generalsekretär Kofi Annan nach dem erneuten Anschlag mit einer Autobombe auf das UN-Hauptquartier in Bagdhad am Montag, das gesamte UN-Personal vollständig abzuziehen. Diese Überlegung würde den auch so schon prekären Wiederaufbau des Iraks nun erneut torpedieren. Bereits nach dem schweren Anschlag auf das Gebäude am 19. August, bei dem es zu 23 Toten kam, sind nahezu 90 Prozent des UN-Personals gezwungen gewesen zu gehen. Lediglich einige tausende irakische UNO-Mitarbeiter bleiben an Ort und Stelle. Nicht wenig zu der Überlegung des vollständigen Abzugs beigetragen haben wird sicherlich die nicht gerade offene Haltung des US-Präsidenten gegenüber der UNO, wobei "Brainwashington" eben mal wieder deutlich werden ließ, daß sie nur dann von Bedeutung ist, wenn es den eigenen Interessen dient, sofern sie hinderlich ist, wird sie nur noch zu einem lästigen Überbleibsel, wenn nicht gar - wie man es so schön vor dem Irak-Krieg zu sagen pflegte - "irrelevant". Dies zeigte auch letzte Woche wieder einmal der Gebrauch des Veto-Rechts der Amerikaner gegen die Resolution zur Verurteilung der Ausweisung von Arafat durch Israel.

Alles wirkt in letzter Zeit ein wenig irrational, nicht nur für die Iraker, auch für den Rest der Welt. Da soll der Krieg nach Bush durch Saddam Husseins "Greueltaten" gerechtfertigt sein, dann doch nicht, schließlich will man dem gestern festgenommenen Verteidigungsminister Immunität bewilligen und hofft von ihm so zu erfahren, daß der Irak Massenvernichtungswaffen besessen hat - und wenn nicht - daß er wenigstens Hinweise auf Dokumente und Akten geben kann, die das Vorhaben des Iraks, diese zu entwickeln, belegen, da soll es auf einmal sogar ausreichen, daß der Irak die Wissenschaftler, die in der Lage waren ABC-Waffen herzustellen, hatte. Are you kidding? Selbst die heute an die Öffentlichkeit gelangte Informationen über den Bericht des CIA-Beraters David Kay belegte noch mal deutlich, daß man einfach nicht in der Lage ist, einen "rauchenden Colt" zu präsentieren, möglicherweise werden zudem einige Teile des Berichts aufgrund von Bedenken geheim gehalten. An Amerikas Wesen soll die Welt genesen. Oder auch nicht. Der Kampf gegen den Terrorismus ist ein absurdes Unterfangen. Bin Laden erfreut sich wie man letztens sah bester Gesundheit und auch Saddam Hussein wird es sicherlich nicht gerade schlecht gehen. Derweil erntet man den Terror, den man unlängst gesät hat. Afghanistan darf sich zu den größten Drogenhochburgen der Welt zählen, die Taliban reorganisieren sich, auch Saudi-Arabien will sich nicht mehr alles von Uncle Sam gefallen lassen, Nordkorea läßt nicht daran zweifeln, daß sie auch eine Atommacht werden wollen, eventuell auch der Iran, zumindest hat man eine Atombombe im April noch als "nationales Recht" angesehen und befindet sich jetzt in Verhandlungen mit der IAEA in Wien, wenn auch bisher so gut wie nichts eindeutiges bei den Gesprächen herauskam. Die Welt bleibt ein gefährlicher Ort.

So schön Einigkeit und Konsens in Mediendemokratien auch aussehen mag, mit der neuen Achse Berlin, Paris und Moskau und ihrer Forderung nach einer möglichst schnellen Abgabe der Souveränität an die Iraker, dient diese wohl eher als symbolischer Akzentwechsel, um den lieben US-Präsidenten ein wenig zu besänftigen und ihn eventuell doch noch mal zum Nachdenken darüber zu bringen, daß er mit seinen derzeitigen Kurs kaum - weder im eigenen Land noch in anderen Teilen der Erde - punkten kann. Wie immer es auch weitergeht, bleibt festzuhalten, daß es auch anders hätte gehen können. Festzuhalten ist allerdings auch, daß die neue "Einheit" kaum darüber hinwegtäuschen wird, daß der Irak zwar ein anderes Land als vorher ist, mitnichten aber eine Demokratie werden wird, egal ob das nun Bush, Cheney, Rumsfeld oder auch Chirac, Schröder oder Putin mit Hand aufs Herz und mit voller Optimismus in alle Herren Länder hinausposaunen - Errare humanum est.




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